
Von Reinhard Boest
Die Sommerpause geht zu Ende, und eine neue Figur betritt die Brüsseler Politbühne: der „facilitateur“ oder niederländisch „facilitator“. Immerhin gibt es diesen Begriff in den beiden Amtssprachen der Region Brüssel-Hauptstadt – im Deutschen ist er eher unbekannt. Man versteht darunter etwa eine Person, die einer Gruppe dabei helfen soll, besser zusammenzuarbeiten, die gemeinsamen Ziele abzustecken und Pläne zu entwickeln, diese zu erreichen. Also genau das, worauf Brüssel auch 14 Monate nach den Wahlen noch immer wartet. Und inzwischen geht vielen Projekten und Einrichtungen in der Hauptstadt das Geld aus, weil es ohne Regierung natürlich auch keine verlässliche Finanzplanung gibt, zumal die Region ohnehin budgetmäßig am Abgrund steht.
Gerade in der belgischen Politik mit ihren komplizierten Strukturen und Parteikonstellationen gab es solche „Mehrheitssucher“ in den verschiedensten Ausformungen schon in der Vergangenheit häufiger, vor allem auf der föderalen Ebene. Dort hat die Regierungsbildung auch schon einmal länger gedauert als jetzt in Brüssel. Wir haben dabei den „explorateur“ und den „informateur“ kennengelernt (beides so eine Art Pfadfinder), auch verschiedene Vorstufen des Regierungsbildners, der dann wirklich eine Regierung zusammenbringt, wie etwa den „pré-formateur“.
Einen „formateur“ gab es in Brüssel in den vergangenen 14 Monaten schon: David Leisterh, der Vorsitzende der frankophonen Liberalen (MR) in der Hauptstadt, die als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgegangen sind. Er ist mit dem Vorhaben bekanntlich gescheitert, genau wie die beiden „informateurs“ Christophe De Beukelaer (Les Engagés) und Elke Van den Brandt (Groen). Die Tageszeitung „Le Soir“ hat noch zwei weitere bisher unbekannte Funktionen identifiziert: den „expérimenteur“ Ahmed Laaouej (PS), der vergeblich eine „linke“ Mehrheit zu zimmern versucht, und den „solutionneur“ Georges-Louis Bouchez (MR), der eher auf den Holzhammer gesetzt hat.
Anders als auf der föderalen Ebene, wo der König im Hintergrund mitwirkt, müssen die Politiker auf der regionalen Ebene eigenständig Lösungen finden. Nun soll also ein „facilitateur“ den Weg aus der Sackgasse erkunden. Die Initiative ging erneut von den Zentrumsdemokraten („Les Engagés“) und den flämischen Grünen („Groen“) aus, die sich schon vor sechs Monaten als „informateurs“ versucht hatten, diesmal allerdings zusammen mit den niederländischsprachigen Sozialisten (Vooruit) und Christdemokraten (CD&V). Die Wahl fiel auf den 49-jährigen Yvan Verougstraete, seit 2024 Mitglied des Europäischen Parlaments und des Gemeinderats von Woluwe Saint Pierre sowie seit vier Monaten Vorsitzender von „Les Engagés“ als Nachfolger des jetzigen belgischen Außenministers Maxime Prévot. Vor seiner erst 2021 begonnenen politischen Karriere war er als Gründer und CEO der Medi Market Kette, die pharmazeutische und parapharmazeutische Produkte verkauft, ein erfolgreicher Unternehmer.
Verougstraete will schon in dieser Woche Gespräche mit „allen demokratischen Parteien“ (außer dem Vlaams Belang) führen mit dem Ziel, ein „ausgewogenes, ambitiöses Projekt für Brüssel“ zu entwickeln. Er will zunächst über Inhalte sprechen und dafür dann Mehrheiten finden – also den umgekehrten Weg als bisher gehen, der bekanntlich bei mehreren potentiellen Partnern einer Koalition an verschiedenen „Unvereinbarkeiten“ gescheitert ist. Dabei soll auch nicht ausgeschlossen sein, dass es zunächst nicht in beiden Sprachgruppen des Parlaments eine Mehrheit gibt; die Suche nach Mehrheiten sei eine ständige Aufgabe. Ob dies angesichts der komplizierten Organisationsstruktur der Hauptstadtregion rechtlich überhaupt möglich ist, wird von manchen bezweifelt.
Die vorrangig auf Inhalte setzende Herangehensweise ist herausfordernd genug. Der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez ist mit diesem Ansatz gescheitert, weil das von ihm für die Verhandlungen vorgelegte Dokument zu deutlich die Handschrift der eigenen Partei trug. Auch deshalb ist wohl die Wahl auf einen Vertreter des politischen Zentrums gefallen, dem mehr Ausgewogenheit zugetraut wird.
Verougstraete hat nach eigenen Angaben die anderen Parteien vorab von der Initiative unterrichtet. Vor allem auf MR und PS kommt es nun an, denn ohne die beiden größten Parteien im Brüsseler Parlament wird es keine Mehrheit geben. Während vom MR keine sofortige Reaktion erfolgte, nahm der PS den Vorstoß „zur Kenntnis“ und erklärte sich gesprächsbereit. Auch auf die Positionen der flämischen Nationalisten (N-VA) und Liberalen (Open VLD) darf man gespannt sein. Die Liberalen, die der noch amtierenden Regierung angehören, will ohne N-VA zu keiner Mehrheit beitragen, während der PS eine Beteiligung des N-VA bisher strikt ablehnt.
Es bleibt also spannend zu sehen, wie der „facilitateur“ eine inhaltliche Basis für eine Regierung hinbekommen will, ohne die bisherigen, vor allem gemeinschaftspolitisch begründeten „Mühlsteine“ angehen zu müssen. Falls es ihm gelingen sollte, würde der „formateur“ übernehmen (aller Voraussicht nach wieder der französischsprachige Liberale Leisterh) und eine Regierung bilden. Verougstraetes selbstgesetztes Ziel ist es, dies bis zum Beginn der nächsten Sitzungsperiode des Brüsseler Parlaments zu schaffen, also bis zum 15. September. Dann steht im übrigen auch ein weiterer wichtiger Termin an: eine erneute Bewertung der Kreditwürdigkeit des Region durch die Ratingagentur Standard and Poors.







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