Von Michael Stabenow
Aller schlechten Dinge könnten drei sein – zumindest für Domenico Tedesco. Nach der dritten Nations League-Niederlage hintereinander schwinden die Chancen, dass der Trainer der belgischen Fußball-Nationalmannschaft sich noch länger im Amt halten kann. Lediglich eine von den belgischen Medien kolportierte üppige Abfindungssumme von mehr als einer Million Euro könnte dem 1985 in Kalabrien geborenen, aber in Schwaben aufgewachsenen deutsch-italienischen Trainer noch eine Schonfrist bescheren.
Die Darbietung der von Tedesco seit Februar 2023 trainierten „Roten Teufel“ im abschließenden Qualifikationsspiel gegen Israel markierte am vergangenen Sonntag einen Tiefpunkt für die Nationalmannschaft, die vor noch nicht allzu langer Zeit an Platz 1 der Weltrangliste stand. Passend zum Nebel in Budapest, wo die israelische Mannschaft ihr Heimspiel austrug, ähnelte die belgische Darbietung eher einem Gestochere. Letztlich ging der durch ein Tor kurz vor Ende der regulären Spielzeit gesicherte 1:0-Erfolg der Israelis vollkommen in Ordnung, zumal sie die besseren Chancen hatten, darunter einen Schuss an den Pfosten.
Natürlich fehlten den „Roten Teufeln“ etliche Stammkräfte, darunter die aus der „Goldenen Generation“ noch verbliebenen Kevin De Bruyne und Romelo Lukaku. Dass kurz vor dem Spiel auch Mittelfeldspieler Amadeo Onana, zuletzt noch einer der besten Spieler, und der für Eintracht Frankfurt spielende Verteidiger Arthur Theate in Budapest ausfielen, reicht nicht aus, die enttäuschende Leistung der „B-Elf“ zu erklären.
Erfahrene Spieler wie Gelegenheits-Mannschaftskapitän Timothy Castagne, der für Arsenal London spielende Leandro Trossard, aber auch der bei RB Leipzig unter Vertrag stehende Stürmer Lois Openda blieben weit unter den Erwartungen. Und hätte nicht Torhüter Koen Casteels eine solide Leistung geboten, hätte es für die Roten Teufel in Budapest noch dicker kommen können. Warum der beim englischen Zweitligisten Coventry City spielende und in dieser Saison erst auf sechs Einsätze gekommene 20 Jahre alte Norman Bassette sein Debüt als Nationalspieler geben konnte, ist Tedescos Geheimnis.
Unter dem Strich bleibt, dass die „Roten Teufel“ in den sechs Qualifikationsspielen der Nations League gerade einmal vier Punkte sammeln konnten. Nur dank des besseren Torverhältnisses ließen sie die punktgleichen Israelis hinter sich und können noch darauf hoffen, bei den Relegationsspielen im März den Abstieg zu verhindern. Dass man gegen Gruppengegner wie Frankreich (zuletzt mit 1:3) und Italien (0:1) verlieren kann, wird kaum jemand bestreiten – was hingegen wurmte, war das harmlose Auftreten, nicht zuletzt gegen Italien.
Hört der belgische Fußballverband auf „Volkes Stimme“, dann ist das Schicksal Tedescos besiegelt. In einer Online-Umfrage der Zeitung „Het Nieuwsblad“ mit knapp 3700 Antworten sprachen sich 84 Prozent für einen Rauswurf und nur neun Prozent dagegen aus, während sieben Prozent dem Nationaltrainer noch eine Chance bei den anstehenden Relegationsspielen geben wollen. In einem Gespräch mit derselben Zeitung zeigte sich Tedesco entschlossen zum Weitermachen. Auf die Frage, ob er noch „der richtige Mann am richtigen Platz“ sei, antwortete der frühere Trainer des FC Schalke 04 sowie von RB Leipzig und Spartak Moskau: „Ich bin davon überzeugt, da ich an erster Stelle mir selbst vertraue. Ich weiß, wie ich arbeite. Ich weiß, dass ich alles für Belgien tue. Alles für das Team, alles für den Stab. Zweitens vertraue ich dem Stab und drittens unseren Spielern.“
Dennoch hat die Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Tedesco begonnen. In der Gerüchteküche tauchen unter anderen die Namen des früheren Nationaltorwarts Michel Preud´homme, der mit Standard Lüttich (2008) und dem FC Brügge (2016) den belgischen Landestitel holte, sowie des in Belgien sehr beliebten Hein Vanhaezebrouck auf. Er bescherte 2016 als Trainer KAA Gent die Meisterschaft. Auch der zuletzt bei Schalke 04 in Ungnade gefallene frühere „Rote Teufel“-Trainer Marc Wilmots wird genannt.
Die Entscheidung über die Trennung von Tedesco dürfte in den Händen von Vincent Mannaert liegen, der Anfang Dezember das Amt des Sportdirektors der „Roten Teufel“ antreten wird. Er stand zuletzt in entsprechender Funktion in Diensten des FC Brügge. Mannaert beginnt sein Amt freilich mit einer schweren Hypothek, da der belgische Fußballverband mit einer zweistelligen Millionenhöhe in den roten Zahlen steckt. Dass Tedesco mit einer vergleichsweise hohen Abfindung rechnen kann, liegt a n einer Vertragsverlängerung, auf die sich der Fußballverband mit dem Trainer vor der jüngsten Europameisterschaft verständigt hatte, die dann für Belgien enttäuschend verlief.
Schon zuvor hatte es im Gebälk der „Roten Teufel“ geknirscht. So hatte sich Tedesco mit dem bei Real Madrid spielenden und seit Jahren als unumstrittene Nummer Eins der Nationalmannschaft geltenden Torhüter Thibaut Courtois überworfen. Obwohl die öffentliche Meinung in Belgien in dieser Auseinandersetzung überwiegend Tedesco zuneigte, war sie dessen Image nicht zuträglich. Dabei war der Einstand des deutschen Trainers ausgesprochen gelungen verlaufen. Nach einem 3:0 in Schweden gelang den „Roten Teufeln“ Ende März 2023 ein 3:2 Auswärtserfolg in Köln – gegen die deutsche Nationalmannschaft.
Es schien, als könne Tedesco dem Team nach sechs Jahren unter dem zuletzt amtsmüde wirkenden spanischen Coach Roberto Martínez neuen Schwung verleihen. Anfangs wurde Tedescos taktisches Geschick gerühmt – spätestens aber als er den offensiv ausgerichteten Yannick Carrasco bei der Europameisterschaft auf dem ungewohnten Posten des linken Außenverteidigers aufstellte, wuchsen die Zweifel.
Fairerweise muss man sagen, dass Tedesco vor der schwierigen Aufgabe stand, den Übergang von der „Goldenen Generation“ zu den heutigen „Roten Teufeln“ zu bewältigen. Routiniers wie die Innenverteidiger Toby Alderweireld und Jan Vertonghen beendeten die Karriere in der Nationalmannschaft. Der verletzungsanfällige, inzwischen 33 Jahre alte Mittelfeldstar Kevin De Bruyne will zwar bei der Weltmeisterschaft noch dabei sein. Genau wie Mittelstürmer und Rekordtorschütze Romelu Lukaku hat er sich allerdings schon hin und wieder eine Auszeit in der Nationalmannschaft gegönnt.
An Talenten mangelt es im belgischen Fußball nicht. So werden nicht nur auf Onana und Openda, sondern auch auf den wie De Bruyne bei Manchester City unter Vertrag stehenden Flügelspieler Jeremy Doku große Hoffnungen gesetzt. Aber auch Mittelfeldspieler Youri Tielemans von Aston Villa, mit 27 Jahren im besten Fußballeralter und mit 73 Länderspielen einer der erfahrensten in der Nationalmannschaft, blieb zuletzt immer wieder hinter den Erwartungen zurück.
Ob sich das ändern wird – mit oder ohne Tedesco? Auf die Frage im „Het Nieuwsblad“-Interview, ob er es als ungerecht empfände, sollte sich der Fußballverband vom ihm aufgrund der Leistungen bei der jüngsten Europameisterschaft und in der Nations League von ihm trennen, antwortete der Noch-Trainer: „Ich denke darüber nicht nach. Ich denke nur an meine Arbeit und verrichte sie so gut wie möglich.“
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