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Belgischer Staat wird Miteigentümer von zwei Kernreaktoren in Belgien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Von Rainer Lütkehus

Belgien wird bis 2036 nicht auf Atomkraft verzichten. Die belgische Regierung hat mit dem französischen Energiekonzern Engie eine Grundsatzvereinbarung über die Laufzeitverlängerung der zwei jüngsten der insgesamt  sieben Atommeiler des Königreichs getroffen. Es handelt sich um den Kernreaktor Doel 4 bei Antwerpen (1008 MW) und um den Kernreaktor Tihange 3 (1015 MW), 60 km westlich von Aachen (zwischen Namur und Lüttich) gelegen. Die Laufzeit beider Reaktoren, die ursprünglich im Juli bzw. September 2025 vom Netz genommen werden sollten, wird um zehn Jahre verlängert. Sie sollen nach einer einjährigen Renovierungspause im Herbst 2026 wieder ans Netz gehen und dann noch bis 2036 laufen.

 Der Grundsatzvereinbarung soll bis Jahresende ein verbindlicher Vertrag folgen

 Engie hatte sich zuvor gegen die Laufzeitverlängerung gesträubt, für die sich die belgische Regierung aufgrund der mit dem Ukraine-Krieg einhergehenden Energieversorgungskrise im März entschieden hatte. Dafür komme sie zu spät, und überhaupt sei das Kapitel Kernenergie in Belgien für ihn abgeschlossen, hatte es von Seiten des Konzerns geheißen.

Engie lenkte nun ein, weil der belgische Staat Miteigentümer der zwei Reaktoren wird, d.h. sich zu 50 Prozent beteiligt, und damit auch an den Kosten der Laufzeitverlängerung. Branchenkenner vermuten auch die Abhängigkeit Frankreichs von der belgischen Stromproduktion bei Engpässen als Grund für das Entgegenkommen des französischen Konzerns. Das war im vorigen Jahr so, als der belgische Übertragungsnetzbetreiber Elia einen Rekord an Stromexporten (plus 59 Prozent) verzeichnete. Immer wieder gibt es Schwierigkeiten in der Stromversorgung Frankreichs, die mit der Belgiens eng zusammenhängt. So sind in Frankreich derzeit 28 von 58 Kernreaktoren abgeschaltet.

Wir haben mit Engie eine ausgewogene Vereinbarung getroffen, weil unsere Interessen identisch sind“, sagte der belgische Premierminister Alexander De Croo nach dem Deal. Es sei nunmehr klar, wer wofür zuständig sein werde. Da es sich zunächst nur um eine Grundsatzvereinbarung handele, müssten Details noch ausgehandelt werden, räumte er ein. Vor Ende des Jahres soll ein verbindlicher Vertrag ausgearbeitet sein.

 Anlehnung an deutsches Entsorgungsmodell

 Unser Land wird ein ähnliches Modell wie in Deutschland verwenden“, so der Premierminister. Beim deutschen Modell übernehmen die Energiekonzerne die Kosten für die Stilllegung und den Abriss ihrer Atomkraftwerke, und der Bund trägt die Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung des nuklearen Abfalls. Die AKW-Betreiber in Deutschland konnten 2016 ihre Verantwortung mit der Einzahlung von insgesamt 24 Mrd. Euro in einen Fonds, dem Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung“ (KENFO), an den deutschen Staat abtreten.

Das belgische Modell sieht vor, dass der belgische Staat und Engie  die Gewinne und Risiken des Betriebs der zwei renovierungsbedürftigen Reaktoren über ein neu zu gründendes Unternehmen gemeinsam tragen. Die Kosten für den Rückbau der Kraftwerke und für die Entsorgung des Atommülls, der für die Zeit vor 2026 anfällt, sollen von Engie-Electrabel getragen werden. Das Geld dafür soll aus dem 1965 zu diesem Zweck errichteten Fonds „Synatom“ kommen, der dem Energiekonzern selbst gehört. An den Entsorgungskosten, die nach 2026 anfallen, will sich der belgische Staat beteiligen. Er übernimmt den Teil, der eine bestimmte Obergrenze überschreitet, die für Engie festgelegt wird. Die Obergrenze und eine Risikoprämie für Engie will die belgische Regierung bis Jahresende ausgehandelt haben.

 Belgien muss ohne Kernkraft über den Winter 2025/2026 kommen

Durch den Deal werden 2026 noch zwei der insgesamt sieben Reaktoren in Betrieb sein. Zurzeit sind, wie die Redaktion auf Anfrage bei Elia erfuhr, zwei der sieben Reaktoren wegen Wartung nicht am Netz: Tihange 2 bis zum 4. August 2022 und Tihange 1 bis zum 19. September 2022.

 Am 24. September 2022 geht der Reaktor Doel 3 (1006 MW) vom Netz, am 1. Februar 2023 Tihange 2 (1008 MW). Die beiden Reaktoren sind gleicher Bauart und werden von Atomkraftgegnern wegen Rissen in den Reaktorbehältern als „Pannenreaktoren“ bezeichnet. Falls für die Stromversorgungssicherheit im kommenden Winter erforderlich, soll die Laufzeit von Tihange um zwei bis drei Monate gestreckt werden.

Doel 1 (392 MW), Doel 2 (433 MW) und Tihange 1 (962 MW) werden im Laufe des Jahres 2025  endgültig vom Netz genommen. Diese drei Reaktoren, die 1975 in Betrieb genommen und deren Laufzeit vor einiger Zeit um zehn Jahre verlängert worden war, werden dann 50 Jahre lang am Netz gewesen sein.

Übrig bleiben Doel 4 (1008 MW) und Tihange 3 (1015 MW), die allerdings 2025 vorübergehend abgeschaltet werden, weil sie wegen ihrer zehnjährigen Laufzeitverlängerung überholt werden müssen.

Belgien wird also zwischen Herbst 2025 und Herbst 2026 über keine Kernenergie verfügen. Kritischer Zeitraum ist der Winter 2025/2026. Bis dann soll aber für die nötigen Ersatzkapazitäten gesorgt sein. Dazu gehören erneuerbare Energien und der beschlossene Bau von zwei neuen Gaskraftwerken. Die belgische Regierung erwägt eine weitere Ausschreibung für eine dritte gasbefeuerte Anlage. Man hofft, dass sich die durch den Ukraine-Krieg verursachte kritische Gasversorgungslage bis dahin entspannt haben wird.

Laut Angaben von Elia hatte Erdgas 2021 einen Anteil von rund 25 Prozent am belgischen Strom-Mix, Offshore- und Onshore-Wind von 7 bzw. 4 Prozent, Solarenergie und Biogas von 5 bzw. 2 Prozent  – und  Kernenergie von rund 52 Prozent.

One Comment

  1. Rainer Kirmse , Altenburg

    ATOMAUSSTIEG – Gedicht

    Jahrzehnte nur Nutzbarkeit,
    Jahrtausende Strahlungszeit.
    Unwägbarkeiten beim Betrieb,
    für Endlager die Aussicht trüb.
    Teuer, riskant und nicht geheuer,
    wir beenden dieses Abenteuer.

    AKW adé ☢️ AUSGESTRAHLT

    Gegen den GAU ist kein Land gefeit,
    der Atomausstieg verhindert Leid.
    Deutschland hat die Weichen gestellt,
    beispielgebend für die ganze Welt.

    Kernenergie war mal der Renner,
    auserkoren als Dauerbrenner.
    Atomstrom wurde huldvoll kreiert,
    die Gefahren hat man ignoriert.

    Das Energieproblem schien gelöst,
    bis Tschernobyl den Traum zerstößt.
    Fukushima brachte die Wende,
    deutschen Reaktoren das Ende.

    Wohin das strahlende Material?
    Die Suche entwickelt sich zur Qual.
    Atommüll ist nicht Stoff der Träume,
    da öffnet man ungern die Räume.

    Tonnen von radioaktivem Kies,
    Aus für jedes Urlaubsparadies.
    Lager gesucht für die Ewigkeit,
    Grab für Relikte der Atomzeit.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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