Politik

Dunkle Wolken am politischen Horizont Belgiens

Alexander De Croo by Filip Roefs CC BY-NC-ND 2.0 via FlickR

 Von Michael Stabenow

Zwei Jahre vor den nächsten belgischen Parlamentswahlen wächst beiderseits der Sprachgrenze die Nervosität. Noch ist die Corona-Pandemie nicht bewältigt. Und die Folgen des Ukraine-Kriegs werden nicht nur an den Zapfsäulen, beim Blick auf die Strom- und Gasrechnungen sowie an der Kasse im Supermarkt spürbar. In einer prekären innen- und außenpolitischen Situation ist es den sieben Parteien der „Vivaldi“-Koalition bisher gelungen, einigermaßen den Zusammenhalt zu wahren. Dennoch deuten Umfragen darauf hin, dass die Parlamentswahl 2024 die Kräfteverhältnisse neu mischen und dem Land eine weitere Zerreißprobe bescheren dürfte.

Schlechte Umfragewerte für drei Regierungsparteien

Die dunklen Wolken am politischen belgischen Horizont zeigen sich besonders im niederländischsprachigen Landesteil. Eine neue Umfrage im Auftrag des Fernsehsenders VRT und der Zeitung „De Standaard“ (De Stemming 2022 | CD&V wordt kleinste partij van Vlaanderen: ‘De trend lijkt onomkeerbaar’ | De Standaard), ergab, dass drei der vier flämischen Regierungsparteien erhebliche Stimmeneinbußen befürchten müssen. Lediglich die unlängst von sp.a in „Vooruit“ umgetauften flämischen Sozialisten unter ihrem oft forsch auftretenden Vorsitzenden Conner Rousseau könnten in Flandern mit einem erklecklichen Zuwachs des Stimmenanteils von 10,4 Prozent bei der Parlamentswahl 2019 auf jetzt 15,5 Prozent rechnen.

Dramatisch stellt sich die Lage für die Liberalen (Open VLD) von Premierminister Alexander De Croo sowie vor allem für die flämischen Christlichen Demokraten (CD&V) dar, die einst nicht nur in Flandern, sondern in ganz Belgien übermächtige Partei. Sie kämen, wären jetzt Wahlen, nur noch auf 8,7 gegenüber 15,4 Prozent im Mai 2019. Damit fällt die Partei in der flämischen Wählergunst vom dritten auf den sechsten Platz zurück.

Vlaams Belang und N-VA fast Kopf an Kopf

Der fremdenfeindliche und rechtsextreme Vlaams Belang konnte seine Führungsposition in Umfragen knapp verteidigen. Er kann derzeit mit 22,9 Prozent rechnen – 4,4 Prozentpunkte mehr als 2019. Etwas erholt zeigt sich die gemäßigtere flämisch-nationalistische N-VA des Antwerpener Bürgermeisters Bart De Wever. Seine Partei steht derzeit bei 22,4 gegenüber 24,8 Prozent im Mai 2019.

Fast drei Prozentpunkte weniger – 10,2 statt 13,1 Prozent – holen die Liberalen in der Umfrage, während sich die derzeit absehbaren Verluste bei den ebenfalls mitregierenden Grünen mit 9,4 statt 10,1 Prozent in Grenzen halten. In Flandern zunehmend Zuspruch findet die seit Jahren in Wallonien bei vielen Wählern beliebte linkspopulistische PTB-PVDA. Sie könnte, nicht zuletzt unter Führung des perfekt zweisprachigen und rhetorisch begabten Spitzenmanns Raoul Hedebouw, in Flandern auf 9,1 gegenüber 5,4 Prozent im Mai 2019 vertrauen.

Joachim Coens | Foto: privat

Flämische Christliche Demokraten weiter im Niedergang

Besonders ungemütlich ist die Lage für die flämischen Christlichen Demokraten. Die Partei hatte sich 2020 erst nach langem Zögern dazu durchgerungen, in die „Vivaldi“-Koalition mit den Sozialisten, Liberalen und Grünen beider Landesteile einzusteigen. Sie hatte damals auf einen Wiedereintritt der N-VA in die Regierung gehofft; diese Hoffnung hatte sich aber zerschlagen. Die CD&V hatte sich letztlich für die heutige Koalition entschieden, da sie sich anderenfalls dem Vorwurf ausgesetzt hätte, die Regierungsbildung 16 Monate nach der Wahl zu vereiteln.

Auffällig ist, dass die drei CD&V-Vertreter im Kabinett De Croo keineswegs zu Nebenakteuren der „Vivaldi“-Regierung zählen. Innenministerin Annelies Verlinden konnte sich durch überzeugende Auftritte zum Corona-Management, Finanzminister Vincent Van Peteghem durch seine Kompetenz im Umgang mit den Folgen der Pandemie sowie – zuletzt – des Ukraine-Kriegs profilieren. Überstrahlt werden beide Regierungsmitglieder häufig durch den 34 Jahre alten Sammy Mahdi, der als Staatssekretär für das heikle Dossier Asyl und Migration zuständig ist und beiderseits der Sprachgrenze großen Respekt genießt.

Gelitten hat das Renommee der einstigen „Staatspartei“, die Premierminister wie Wilfried Martens und Jean-Luc Dehaene hervorgebracht hat, unter der vielfach als halbherzig empfundenen Führung des Parteichefs Joachim Coens. Auch die unglückliche Figur, die sein Vorgänger, der heutige flämische Gesundheitsminister Wouter Beke, zuletzt abgegeben hat, dürfte die Talfahrt der Partei in den Umfragen beschleunigt haben. Er war nicht nur wegen ihm vorgeworfener Versäumnisse beim Umgang mit der Pandemie in die Kritik geraten. Vorwürfe wurden Beke auch gemacht, als Berichte auftauchten, wonach eine Kindertagesstätte trotz des gegen ihre Betreiberin erhobenen Vorwurfs der Kindesmisshandlung nicht habe schließen müssen.

Hoffnungsträger Sammy Mahdi

Sammy Mahdi | Foto: © Website Sammy Mahdi

Als Favorit für den Parteivorsitz gilt Asyl-Staatssekretär Mahdi. Er hat jetzt offiziell seine Bereitschaft dazu erklärt. 2019 war er im Rennen um den CD&V-Vorsitz Coens noch knapp unterlegen. Ob der dynamisch wirkende Sohn eines irakischen Zuwanderers und einer Belgierin den Niedergang der Partei aufhalten kann, ist indes schwer abzusehen.

Unlängst hat sich die CD&V der Devise „Aus dem Volk, für das Volk“ verschrieben. Von einer Volkspartei, wie sie sich einst als „CVP“ – Christliche Volkspartei – zu Recht bezeichnet hat, ist die CD&V heute weit entfernt. Die drei Säulen, auf der sie einst ihre Macht aufbaute und abstützte, bestehen nach wie vor. Aber es dürfte schwer sein, die Interessen von Mittelstand, ländlicher Bevölkerung sowie dem Gewerkschaftsflügel in einer in der Wählergunst unter 10 Prozent geschrumpften Partei miteinander zu versöhnen.

 

Conner Rousseau © Christophe De Muynck-5Sozialist Rousseau sorgt für hochgezogene AugenbrauenSozialist Rousseau sorgt für hochgezogene Augenbrauen

Sozialist Rousseau sorgt für hochgezogene Augenbrauen

Mit dem erst 29 Jahre alten „Vooruit“-Vorsitzenden Conner Rousseau spricht ein Politiker einen Teil jener Klientel an, auf die auch Mahdi zielen dürfte. Rousseau, der sich in der Öffentlichkeit gerne locker gekleidet mit Jeans und T-Shirt zeigt, ist zuletzt wegen zweifelhafter Auftritte und Aussagen in die Kritik geraten. Kurz nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs trat er als „Kaninchen“ in der Fernsehshow „The Masked Singer“ auf.

Für manch hochgezogene Augenbrauen sorgte der flämische Sozialist anschließend mit einer Äußerung über die Brüsseler Gemeinde Molenbeek-Saint-Jean. Die weist einen der höchsten Anteile von Bevölkerung mit Migrationshintergrund in der Hauptstadt auf. CD&V-Mann Mahdi hat dort seine politische Karriere gestartet. „Wenn ich durch Molenbeek fahre, fühle ich mich nicht in Belgien“, hatte Rousseau erklärt.

Ob der Sozialist damit auf Stimmenfang im rechten nationalistischen Lager gehen wollte? Der ehemalige Asyl-Staatssekretär Theo Francken (N-VA) lästerte über den von ihm als „King Connah“ bezeichneten Rousseau: „Mit zu viel Inhalt hat ihn niemand bisher ertappen können. Aber schon die Römer wussten, dass man mit Brot und Spielen ein ganzes Stück weit gelangt.“

Vorgeschmack auf den Wahlkampf des Jahres 2024

Die Äußerung Franckens war Teil eines offenen Briefs an den Vlaams Belang-Parteichef Tom Van Grieken. Darin forderte der N-VA-Politiker ihn auf, bei den Wahlen zum belgischen Parlament 2024 keine eigenen Listen aufzustellen und somit dank einer in Brüssel gestärkten N-VA „mit voller flämischer Kraft“ den Weg zu „einem konföderalen Modell mit maximalen Befugnissen für Flandern“ zu ebnen.

Der so umworbene Van Grieken ließ – wenig überraschend – Francken postwendend abblitzen. Er unterstellte der N-VA, mit den französischsprachigen Sozialisten eine Regierung in Brüssel bilden zu wollen und ließ auf „Twitter“ wissen: „Theo kann seine Träume begraben. Wir werden immer und überall Vlaams Belanger vertreten. Ob es nun in Arbeitervierteln oder im föderalen Parlament ist.“ All dies gibt einen Vorgeschmack auf den Wahlkampf in zwei Jahren, bei dem voraussichtlich noch mehr Fetzen fliegen werden.

 

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