Von Reinhard Boest.
Nach der Fußgängerzone zwischen Place de Brouckère und Place Fontainas im Brüsseler Zentrum steht bereits ein neues großes Verkehrsprojekt in der Stadtmitte an. Es handelt sich um die neue Metrolinie 3, die künftig das Zentrum in Nord-Süd-Richtung unterqueren und letztlich im Süden bis zur Station Albert in Forest und im Norden bis Bordet in Evere reichen soll. Sie wird dann 18 Stationen auf einer Gesamtlänge von gut 10 km umfassen. Ganz neu gebaut wird der nördliche Teil vom Nordbahnhof bis Bordet, während die restliche Strecke heute schon als Teil der bisherigen „Pre-Metro 3“ besteht.
Die neue Linie soll in zwei Phasen realisiert werden: bis 2024 die Umstellung der bisherigen Pre-Metro und bis 2030 ein Neubau zwischen Nordbahnhof und Bordet, der dann die bisherige Straßenbahnlinie 55 ersetzen soll. Die Pre-Metro ist eine insbesondere Brüsseler Spezialität; sie bezeichnet Straßenbahnlinien, die unter die Erde verlegt werden als Vorstufe für eine “echte” Metro (Metro lourd), die mit eigenen, schwereren und auch leistungsfähigeren Fahrzeugen betrieben wird. Auf diesem Weg sind fast alle Metrolinien im Stadtzentrum an Stelle früherer Tramlinien entstanden; in der Übergangszeit fuhren die Straßenbahnen im Tunnel, so etwa die Tramlinien 39 und 44 von 1969-1976 zwischen De Brouckère und Schuman auf ihrem Weg nach Tervuren bzw. Ban Eik. Nach der Umstellung des Tunnels unter dem Stadtzentrum bleibt der Tunnel zwischen Diamant und Boileau die einzige verbleibende Premetro-Strecke, die Tramlinien 7 und 25. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass auch hier eine echte Metro-Linie entsteht.
Die Tunnel und die meisten Stationen auf der Pre-Metro-Strecke zwischen Nordbahnhof und Albert sind schon für die normale Metro vorbereitet, so dass es vor allem um die Verlegung von Stromschienen (statt der Oberleitung) und die Anpassung der Bahnsteighöhe geht. Allerdings sind auch drei größere Maßnahmen erforderlich. Am südlichen Ende muss die Station Albert zur Endstation der Metro und Umsteigestation auf die anschließenden Straßenbahnlinien 3, 4 und 51 umgebaut werden. Die Station Gare du Nord wird zwischen 2024 und 2030 provisorische Endhaltestelle der Metro sein; es wird daher Platz für eine Wendeanlage für die Züge gebraucht. Dazu wird ein Tunnel unter den Gleisen des Nordbahnhofs gebaut, an den sich später der Tunnel für die Weiterführung der Linie anschließt. Die dritte große Maßnahme betrifft den Abschnitt zwischen den Stationen Anneessens und Gare du Midi. Dieser Streckenteil mit der Station Lemonnier ist nämlich wegen zu enger Kurvenradien für Metrozüge nicht passierbar. Der Tunnel stammt hier noch aus der Zeit vor der Pre-Metro. Daher ist vorgesehen, unter der Place de la Constitution eine neue, 650 Meter lange Tunnelverbindung zwischen Gare du Midi und Anneessens zu bauen; unter der Avenue Stalingrad entsteht eine zusätzliche Station, die den Namen “Toots Thielemans”, nach dem bekannten belgischen Jazz-Musiker, erhalten soll. An dieser Stelle haben jetzt die ersten vorbereitenden Arbeiten begonnen; das imposante Gebäude des “Palais du Midi” muss abgestützt werden, um darunter den Tunnel in Angriff zu nehmen.
Für den Nordabschnitt wurde 2014 nach der Untersuchung mehrerer Varianten die endgültige Trasse, zwischen Nordbahnhof und Bordet festgelegt, insbesondere wurde auf Initiative der Gemeine Schaarbeek eine Haltestelle direkt am bzw. unter dem Rathaus vorgesehen. Es soll mit einer Tunnelbohrtechnik gearbeitet werden, die den Vorteil hat, dass sie den Verkehr an der Oberfläche nicht behindert und der Abriss von Bebauung vermieden werden kann. Ohne Behinderungen wird es jedoch nicht überall gehen. Um am Nordbahnhof den Tunnel unter den Gleisen der SNCB zu graben, müssen an beiden Enden Baugruben ausgehoben werden. Während in der Rue du Progrès die Straße für Autos passierbar bleibt, wird die Rue d’Aerschot eine riesige Baustelle sein. Die Straße wird für fast vier Jahre für den Autoverkehr gesperrt, so dass die anliegenden Häuser in dieser Zeit nur für Fußgänger über die Bürgersteige erreichbar sind. Die Avenue Stalingrad gibt heute schon einen ersten Vorgeschmack auf die kommenden Zustände.
Das Für und Wider
Der Bau der Metrolinie 3 war von Anfang an umstritten, und die Kritik hält bis heute an. Sie kommt vor allem von Stadtteilkommittees, aber auch von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Ihre wichtigsten Argumente sind die hohen Kosten; derzeit ist von 1 Mrd. Euro die Rede. Außerdem geht es um die mangelnde Berücksichtigung von Alternativen, die Dauer der Beeinträchtigungen und die unzureichende Bürgerbeteiligung bei der Planung. Befürchtet wird auch eine Förderung bzw. Beschleunigung der Gentrifizierung, vor allem im Viertel Lemonnier/Stalingrad. Am südlichen Ende der neuen Linie (Albert) komme man künftig nur noch mit Umsteigen weiter Richtung Uccle, während man heute mit der Tram ohne Umsteigen zum Südbahnhof und ins Zentrum fahren könne.
Ausschlaggebend für die Befürworter war die Überlastung der bestehenden Tramlinie, die auch mit der neuen Generation von Fahrzeugen nicht bewältigt werden kann. Die Trasse führt durch enge Straßen und belebte Viertel ohne Möglichkeit eines vom übrigen Verkehr getrennten Gleiskörpers, so dass eine einigermaßen attraktive Reisegeschwindigkeit nicht erreicht werden kann. Sie liegt derzeit bei etwa 15 km/h, die Metro erreicht 30 km/h. Außerdem wird entlang der Trasse mit einer weiteren Zunahme der Einwohnerzahl gerechnet.
Es bleibt abzuwarten, ob die Bauarbeiten im Rahmen des vorgesehenen Zeitplans wirklich realisiert werden. Erfahrungen mit großen Infrastrukturprojekten gibt es ja nicht nur in Belgien, sondern auch anderswo. In ihrem neuen Mobilitätskonzept “Good Move Brussels” rechnet die Region für eine neue Tramlinie mit einer Planungs- und Bauzeit von fünf Jahren, für eine Metrolinie mit zehn Jahren. Diese Spanne ist bei der Linie 3 schon deutlich überschritten. Für den Tunnel Schuman/Josephat hat man am Ende 25 Jahre gebraucht.
Immerhin geht es jetzt los…
Weitere Informationen:
Mobilitätsplan “Good Move Brussels”
– Plan der neuen Linie 3
Fotos:
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– Avenue Stalingrad
– Palais du Midi
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