Von Rüdiger Lüdeking.
Die Bedrohung durch Terrorismus sowie Instabilitäten und bewaffnete Konflikte in der Nachbarschaft der EU sollten uns verdeutlichen, dass Europa nur durch enge und solidarische Zusammenarbeit in der heutigen Welt bestehen kann. Nach den Pariser Attentaten im November 2015 haben auch die Brüsseler Anschläge am 22. März dieses Jahres die Unmittelbarkeit der Gefahren vor Augen geführt. Es sollte klar geworden sein: Nicht nur Frankreich oder Belgien, sondern alle offenen, den westlichen Werten von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichteten Staaten stehen in der Gefahr, Opfer terroristischer Anschläge zu werden.
Es muss deshalb jetzt besonders darum gehen, Solidarität zu zeigen und gemeinsam in enger Zusammenarbeit nach Wegen zu suchen, wie wir dem Terrorismus noch wirkungsvoller begegnen können. Deutschland und Belgien können dazu wichtige Impulse in der gegenwärtigen Diskussion setzen. Zudem sollte nach meiner Überzeugung die praktische Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern – sowohl was die polizeilich-nachrichtendienstlichen Kontakte als auch den Dialog zur Integration von Minderheiten und zur Deradikalisierung gefährdeter Jugendlicher angeht – weiter ausgebaut werden.
Lassen Sie mich angesichts der Medienberichterstattung auch in Deutschland noch eine Anmerkung zur Situation in Belgien nach dem 22. März machen: Die in dem Vorwurf gipfelnde Kritik, Belgien sei ein „failed state“, ist eindeutig überzogen. Belgien ist – dies belegt für mich bereits die aktuelle innenpolitische Auseinandersetzung wie auch die lebendige Presselandschaft Belgiens – ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat, der den Vergleich mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht zu scheuen braucht.
Deutsch-belgische Partnerschaft
Premierminister Michel hat nach den Anschlägen vom 22. März die Losung ausgegeben: „Rückt zusammen!“ („Serrez les rangs“). Diese Aufforderung hat er an seine belgischen Landsleute gerichtet. Diese Losung gilt jedoch nicht nur für Belgien, sie gilt auch für Europa. Denn die zentralen Herausforderungen Belgiens sind auch die zentralen Herausforderungen Europas.
Ist verlässliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Schlüssel für die erfolgreiche Selbstbehauptung Europas und Ordnung in der Welt, so ist sie selbstverständlich auch zu den anstehenden Fragen im bilateralen deutsch-belgischen Verhältnis unverzichtbar. Deutschland steht daher nicht nur zu europapolitischen Themen im engen Kontakt mit unserem belgischen Partner. Auch zu anderen Fragen suchen wir die enge Zusammenarbeit. So haben wir beispielsweise im Rahmen des laufenden Planungsprozesses zum Ausbau des deutschen Verkehrswegenetzes bis zum Jahre 2030 Belgien in die Konsultationen eingebunden, da wir ein gemeinsames Interesse an der Gewährleistung leistungsfähiger Verkehrsverbindungen zwischen unseren beiden Ländern haben. Auch die Energiepolitik ist ein Feld für fruchtbare bilaterale Zusammenarbeit. Dies gilt beispielsweise für den Ausbau erneuerbarer Energien ebenso wie für Fragen der Nuklearenergie, die in den letzten Wochen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen.
Nukleare Sicherheit
Fragen der Energieversorgung und des Energiemixes fallen selbstverständlich in die souveräne Zuständigkeit der einzelnen Länder. Die Auswirkungen von nuklearen Unfällen machen jedoch nicht an Landesgrenzen halt. Es ist daher zu begrüßen, dass bei einem Treffen am 1. Februar der für nukleare Sicherheit in Belgien zuständige Innenminister Jambon und die in Deutschland zuständige Bundesumweltministerin Hendricks eine verstärkte bilaterale Zusammenarbeit zwischen den Experten unserer beiden Länder vereinbart haben. Diese ist inzwischen in konstruktiver und offener Art angelaufen.
Am 20. April hat Frau Hendricks die belgische Regierung gebeten, bis zur Klärung offener Sicherheitsfragen die beiden Reaktorblöcke Tihange 2 und Doel 3 vom Netz zu nehmen. In den Druckbehältern beider Reaktoren sind Wasserstoffflocken gefunden worden, ein Fertigungsmangel, der aus Sicht der unabhängigen Experten der deutschen Reaktorsicherheitskommission die Frage aufwirft, ob bei der Annahme einer Störfallbelastung die erforderlichen Sicherheitsmargen bei beiden Reaktorblöcken eingehalten werden. Deshalb sollten aus deutscher Sicht weitere Untersuchungen erfolgen. Bis zum Abschluss dieser Untersuchungen könnte Belgien mit der Entscheidung, die Reaktoren vorübergehend vom Netz zu nehmen, ein Zeichen setzen, dass es die deutschen Sorgen ernst nimmt.
Rüdiger Lüdeking ist Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Königreich Belgien
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