Die europäische Glaubwürdigkeit Belgiens wird nach Null tendieren, wenn man das Land nicht wieder auf Vordermann bringen kann, meint Luxemburgs Regierungschef Jean Claude Juncker.
Die politische Krise in Belgien treibt kräftige Sumpfblüten. Geht denn noch etwas zwischen Flamen und Wallonen? Politik und Presse legen nach, heizen ein. Wo nicht Hoffnungslosigkeit, macht sich beim belgischen Normalbürger Resignation breit. Eine Frage wird tatsächlich recht ernsthaft diskutiert: Wenn Belgien aufgespalten wird, was kommt dann?
Es ist nur wenige Tage her, seit sich in einer Telefonbefragung des kommerziellen Fernsehsenders RTL viele Niederländer mehrheitlich für eine Fusion mit dem niederländischsprachigen belgischen Flandern ausgesprochen haben. 61 Prozent der Teilnehmer an der Umfrage gingen davon aus, dass beide Partner nur davon profitieren könnten. Ein Groß-Holland oder eine Wiedervereinigung der Niederen Lande müsse, so sehen es 20 Prozent, vom niederländischen Königshaus dirigiert werden. Glücklicherweise glaubten die meisten Befragten nicht an eine solche Fusion. Man hat auch nicht erfahren, wie diese Befragung zustande kam und ob sie repräsentativ war.
Anschluss?
Inzwischen hat sich auch jemand zu solchen Fragen geäußert, dessen Stimme ungleich mehr Gewicht hat. Ob sich wohl im Fall einer Spaltung Belgiens die französische Gemeinschaft samt Brüssel und der Deutschsprachigen Gemeinschaft an das Großherzogtum Luxemburg anschließen könne, wollte ein Reporter der belgischen Zeitung „Le Soir“ von Jean-Claude Juncker, dem luxemburgischen Ministerpräsidenten, wissen.
« Das kommt mir doch ziemlich weit hergeholt vor », antwortete Juncker, der aber die Frage durchaus ernst nahm. « Le Grand-Duché n’a pas vocation à dépanner une Belgique qui se cherche. » Er bedauere außerordentlich, dass Belgien das einzige Land in Europa sei, das nicht stolz auf sich selbst sei. Die Antwort auf alle Fragen liege in Belgien selbst.
« Ich bin übrigens überrascht, dass Politiker in Belgien – sehr oft zu Recht – anderen Leuten gute Ratschläge geben wollen, während sie doch selbst die Probleme des Zusammenlebens nicht lösen können, die es auf ihrem Gebiet gibt. Die europäische Glaubwürdigkeit Belgiens wird nach Null tendieren, wenn man dort das Land nicht wieder auf Vordermann bringen kann. Viele Landsleute haben mir gesagt: Glücklicherweise haben wir nicht mehr den belgischen Franken als nationale Währung! » Juncker äußerte Sympathie für die Reaktionen der Wallonie und der französischen Gemeinschaft gegenüber den flandrischen Forderungen.
Jetzt wird’s ironisch
Braucht Europa bald Aufnahmestaaten für Belgien-Flüchtlinge? Für Flamen, die in Lüttich wohnen, oder Wallonen, die in Halle nicht mehr für französischsprachige Politiker stimmen können? Was machen wir nur mit den Bürgern der Deutschsprachigen Gemeinschaft, die nicht zu Luxemburg gehören wollen? Heim ins Reich? Bitte sehr: das ist nur eine Scherzfrage, aber sie zeigt die ganze Absurdität einer Situation, die die meisten Bürger Belgiens nicht verstehen und für die sie auch nicht verantwortlich sind.
Autor: Rudolf Wagner
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