
Der folgende Beitrag erschien bereits am 26. August 2025 auf dem niederländischsprachigen Brüsseler Newsportal BRUZZ. Da sich dieser Artikel mit der grundsätzlichen Frage befasst, wieviele Protestaktionen eine demokratische Stadtgesellschaft aushalten können muss, veröffentlicht Belgieninfo hier eine deutschsprachige Übersetzung des Beitrags. Die Übersetzung und Veröffentlichung erfolgte mit Zustimmung des Autors.
Von Bram Van Renterghem
Der palästinensische Protest an der Börse verläuft nicht immer reibungslos. Dennoch ist er wichtig, und zwar nicht nur für Palästina, schreibt BRUZZ-Redakteur Bram Van Renterghem.
Seit Oktober 2023 werden an der Börse palästinensische Flaggen geschwenkt, zunächst sporadisch, dann jeden Abend. Das führt manchmal zu Reibereien. So hat die Polizei beim Gay-Pride-Umzug Dutzende pro-palästinensischer Demonstranten mit harter Hand vertrieben. Nach Angaben der Polizei auf Wunsch der Organisation, nach Angaben vieler Umstehender jedoch ohne Grund.
Im Juni lief eine Palästina-Demonstration aus dem Ruder, nachdem dort nicht weniger als 2.000 Demonstranten erschienen waren und die Menge unerwartet zum Kleinen Ring zog. Ein Polizeiauto wurde angegriffen, neun Aktivisten wurden festgenommen.
Am vergangenen Wochenende wäre es fast noch schlimmer gekommen. Ein Demonstrant wurde niedergestochen und schwebte kurzzeitig in Lebensgefahr. Das Motiv war zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels noch nicht bekannt, doch auch dies geschah am Rande einer pro-palästinensischen Demonstration. Sowohl der Täter als auch das Opfer sollen aus Gaza stammen und sich kennen. Nach dem Vorfall war es noch eine Weile unruhig an der Börse, mit bellenden Polizeihunden und verängstigten Demonstranten.
Um es klar zu sagen: Die pro-palästinensische Demonstration sorgt für Spannungen rund um die Börse. Es handelt sich um einen sehr zentralen Ort, an dem verschiedene Funktionen wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Tourismus und Vergnügen miteinander verschmelzen, gewürzt mit gelegentlichen Auftritten von DJs. Die pro-palästinensischen Demonstranten nehmen dabei sowohl visuell als auch physisch viel Raum ein und stören in gewisser Weise Besucher, die aus anderen Gründen in die Innenstadt kommen. Zudem findet die Demonstration täglich statt, wodurch das Recht auf Demonstration ausgereizt wird und täglich eine Gruppe von Polizisten benötigt wird, um das Geschehen im Auge zu behalten.
Deshalb werden auch Stimmen laut, die diese Demonstrationen verbieten wollen. Anwohner und Händler beschweren sich darüber bei den Stadträten von Brüssel. In fast jeder Stadtratssitzung wird über diese Aktionen und die damit verbundenen Beschwerden diskutiert, wobei immer wieder die Frage aufkommt, ob man diesen Demonstrationen nicht ein Ende setzen sollte. Das ist verständlich. Ein Verbot würde zweifellos zur Aufrechterhaltung der Ordnung beitragen, worauf man auch im Stadtzentrum ein Recht hat.
„Ein öffentlicher Raum dient nicht nur zum Essen oder Einkaufen, sondern auch dazu, Ideen auszutauschen.”
Dennoch ist es von hoher Bedeutung, dass der Börsenplatz weiterhin Raum für diese Proteste und darüber hinaus für alle friedlichen Proteste bietet. Diesen Raum zu schaffen, und das noch dazu mitten in der Stadt, ist nicht nur ein Ausdruck, sondern auch ein Segen für die Demokratie. Die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit sind wichtige Errungenschaften, die es weiterhin zu verteidigen gilt. Gerade jetzt, wo Proteste, und ganz sicher pro-palästinensische Proteste, in Ländern wie den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich immer mehr kriminalisiert werden. Dies entspricht übrigens auch ganz der Rolle, die Brüssel im Laufe der Geschichte als Zufluchtsort für Exilanten wie Victor Hugo und Karl Marx gespielt hat. Dass es dabei manchmal zu Reibereien kommt, müssen wir in Kauf nehmen.
Deshalb ist es nur zu begrüßen, dass Bürgermeister Philippe Close (PS) und seine Stadträte – auch die von der MR, die manchmal etwas näher an der Seite Israels stehen – so sehr an diesem Recht auf Protest festhalten und die Demonstrationen weiterhin zulassen. Auch sie verstehen letztendlich, dass der öffentliche Raum nicht nur zum Einkaufen oder Essen da ist. Er ist eine Agora, auf der es lärmend zugehen und zu Konflikten kommen darf, bis alle davon profitieren.







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