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Startnummer 51 – Glücksfee für Tour-Siegerin Ferrand-Prévot

Podium der Tour de France Femmes 2025 © Visma-Lease a Bike

Gemischte Bilanz aus belgischer Sicht: Weltmeisterin Kopecky fuhr hinterher, Landesmeisterin Ghekiere in den Vordergrund

Von Michael Stabenow

Sieg bei der Tour de France mit der Rückennummer 51? Vor gut einem halben Jahrhundert schienen sich Fahrer, die damit in der international schwersten Etappenrundfahrt starten durften, häufiger in der Rolle des Geheimfavoriten wiederfinden zu können. Angefangen hatte es 1969 mit der belgischen Legende Eddy Merckx. Er hatte damals die Konkurrenz in Grund und Boden gefahren. 1973, als der kürzlich 80 Jahre alt gewordene Merckx nach vier Gesamtsiegen bei der Tour fehlte, trat der Spanier Luis Ocaña in seine Fußstapfen – mit der Rückennummer 51. Und das galt auch für die französischem Tour-Gesamtsieger der Jahre 1975 und 1978, Bernard Thévenet und Bernard Hinault.

Die Rückennummer 41 bescherte der amtierenden belgischen Straßenradweltmeisterin Lotte Kopecky in diesem Jahr kein Glück. 2023 hatte die aus Rumst in der Provinz Antwerpen stammende Fahrerin die Tour de France Femmes auf dem zweiten Platz der Gesamtwertung beendet. In diesem Jahr sprang dagegen nicht mehr als ein elfter Platz in einer der Etappen heraus. In der Gesamtwertung landete Kopecky weit abgeschlagen auf Platz 45 mit mehr als einer Stunde Rückstand auf die französische Gesamtsiegerin Pauline Ferrand-Prévot. Die 29-jährige Kopecky, die über Knie- und Rückenbeschwerden vor Beginn der Tour geklagt und – vergleichsweise – schlapp gewirkt hatte, schien sich aber im Verlauf des Rennens etwas gefangen zu haben. Nun hat sie sich die Titelverteidigung bei den Ende September im zentralafrikanischen Ruanda stattfindenden Weltmeisterschaften zum Ziel gesetzt.

Aber zurück zur legendären Startnummer 51. Nicht weniger als 47 Jahre sind seit Hinaults ersten von fünf Gesamtsiegen vergangen. Bei der diesjährigen „Tour de France Femmes“ war es dann wieder so weit. Mit der legendären Rückennummer 51 entschied die 33 Jahre alte Ferrand-Prévot das in neun Etappen aus der Bretagne bis in die Savoyer Alpen ausgetragene Rennen für Sicht. Mit deutlichem Abstand folgten hinter ihr die Siegerinnen der Jahre 2023 und 2024. Die Niederländerin Demi Vollering und die Polin Kasia Niewiadoma-Phinney endeten in der Gesamtwertung mit gut vier Minuten Rückstand auf die Siegerin.

Obwohl Ferrand-Prévot im Frauen-Radsport keineswegs unbekannt ist, kam ihr Sieg dennoch einigermaßen überraschend. Neben den aus der Rundfahrt bereits als Siegerinnen hervorgegangenen Niewiadoma-Phinney und Vollering zählten vor allem zwei weitere Fahrerinnen zum engsten Favoritenkreis. Sowohl die Italienerin Elisa Longo Borghini als auch die Schweizerin Marlen Reusser hatten allerdings wegen Magen-Darm-Infekten frühzeitig aus der Tour aussteigen müssen.

Ferrand-Prévot hatten dagegen wenige Experten ganz oben auf dem Zettel. Dabei ist sie, um im Sprachbild zu bleiben, keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Schon 2014 gewann die aus Reims stammende Französin die Straßenweltmeisterschaft. Dazu gesellten sich zahlreiche Titel bei anderen Disziplinen hinzu – nicht zuletzt im vergangenen Jahr der Gewinn der Mountainbike-Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Paris.

Nach ihrem jüngsten Wechsel zum Rennstall Visma Lease a Bike, für den neben dem zweifachen Tour-Sieger und diesjährigen Zweitplazierten der Männer-Rundfahrt, Jonas Vingegaard, auch ihr niederländischer Lebensgefährte Dylan van Baarle fährt, hatte Ferrand-Prévot das Ziel ausgegeben, in drei Jahren die Tour de France Femmes für sich zu gewinnen. Dass die Fahrerin schon jetzt auf dem Siegerpodest stehen würde, hatte wohl kaum jemand erwartet. Dabei hatte sie im Frühjahr schon das für seine unerbittlichen Kopfsteinpflasterpassagen berüchtigte Rennen Paris-Roubaix für sich entschieden.

Da Ferrand-Prévot in den ersten Etappen der Tour meist im Windschatten der Konkurrenten fuhr, zog sie zunächst nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf sich. Das änderte sich dann, als sie am vergangenen Samstag auf der Königsetappe in den Alpen zu der gut 2000 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Passhöhe des Col de la Madeleine, anscheinend locker und ohne eine Miene zu verziehen, der Konkurrenz davonfuhr.

Dem ersten folgten auf der ebenfalls bergigen Schlussetappe ein zweiter souveräner Tages- sowie der Gesamtsieg der gerade einmal 1,65 Meter großen Fahrerin, die vor dem Tourstart offenbar drei ihres zuvor ohnehin geringen Körpergewichts von 53 Kilogramm abtrainiert hatte. Ungleich schwerer wog der erste französiche Tour-Gesamtsieg seit 1985, als Hinault zum fünften Mal als Sieger in Paris ins Ziel gekommen war, in der französischen Heimat. So erreichte die Übertragung der Schlussetappe durch den französischen Sender France 2 eine Einschaltquote von 41,2 Prozent.

Auch im radsportbegeisterten Belgien dürften dieser Tage wieder zahllose Fans die Übertragungen der Frauen-Tour durch die öffentlichen Fernsehsender VRT und RTBF verfolgt haben. Dass Kopecky in den vergangenen Tagen den Hauptkonkurrentinnen oft hinterher fuhr, tat der Begeisterung kaum Abbruch. Außer auf Weltmeisterin Kopecky, für die das gerne verwendete Klischee der „Tour der Leiden“ dieses Mal besonders gut zugetroffen haben dürfte, richtete sich das Interesse vor allem auf die belgische Landesmeisterin Justine Ghekiere, die in der Gesamtwertung auf einem ansehnlich 14. Platz landete.

Ähnlich wie Landesmeister Tim Wellens, der dem slowenischen Toursieger Tadej Pogačar im Juli als Edelhelfer zur Seite stand und zudem noch einen Etappensieg einfahren konnte, war die 29 Jahre alte Ghekiere aus dem westflämischen Izegem selten zu übersehen. In den belgischen Landesfarben fuhr sie mehrfach Löcher zu Ausreißergruppen für zwei Spitzenfahrerinnen ihres Teams zu: die vier Tage im gelben Trikot strampelnde, aus Mauritius stammende Kim Le Court sowie die letztlich auf Platz 6 der Gesamtwertung gelandete Australierin Sarah Gigante.

Besonders beeindruckend war, wie Ghekiere auf einer langen Abfahrt hinter – der für mäßige Bergabfahrkünste bekannten – Gigante ständig laut Ratschläge brüllte und es so der Australierin ermöglichte, den Anschluss zu halten. „Das war eine der schönsten Wochen meines Lebens“, erzählte, wie meist in Interviews gut gelaunt, Ghekiere, die vor Jahresfrist die Bergwertung gewonnen hat, nach Abschluss der Tour dem Sender VRT. Und lachend fügte sie hinzu: „Wir kommen nächstes Jahr bestimmt wieder“.

Für weitere Lichtblicke aus belgischer Warte sorgte die wie Ghekiere aus der Provinz Westflandern stammende 26 Jahre alte Margot Vanpachtenbeke. Sie hielt mehrfach in den Anstiegen den Anschluss an die Spitzenfahrerinnen und beendete die Tour in der Gesamtwertung auf einem achtbaren Rang 29. Zwei Plätze dahinter, an 31. Stelle, landete die aus der Provinz Ostflandern stammende Lotte Claes. Die 32-Jährige, die in diesem Jahr den „Omloop Her Het Nieuwsblad“, das traditionellen Eröffnungsrennen der belgischen Straßensaison, gewonnen hat, hatte wie Kopecky über gesundheitliche Beschwerden geklagt, im Verlauf der Tour sich aber häufiger an prominenter Stelle des Feldes zeigen können.

Erfreulich aus belgischer Sicht ist auch, dass keine einzige der acht an den Start gegangenen – allesamt flämischen – Fahrerinnen bei der diesjährigen Tour ausgeschieden ist. Fünf der acht belgischen Teilnehmerinnen kommen übrigens aus der Provinz Westländern: neben Ghekiere und Vandepachtenbeke gilt dies auch für Julie Van de Velde (Platz 62), Shari Bossuyt (Platz 81) und Valerie Demey (Platz 94). Wie Weltmeisterin Kopecky in der Provinz Antwerpen beheimatet ist Marthe Truyen. Die 25-Järige belegte in der Gesamtwertung mit einem Rückstand von über zwei Stunden auf die diesjährigen Tour-Siegerin Ferrand-Prévot Platz 104 unter den 124 ins Ziel gekommenen Fahrerinnen. Und zu – nicht ganz so – guter Letzt. Toursiegerin Ferrand-Prévot kassiert mit 50.000 Euro offenbar nur ein Zehntel des Preisgeldes von 500.000 Euro, das Tour-Sieger Pogačar erhalten hat.

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