Aktuell, Panorama

Soumayyas Story

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Soumayya möchte ihr Gesicht nicht zeigen.

Von Angela Franz-Balsen.

Als ich die bildhübsche Sudanesin mit dem elegant geschlungenen Tuch kennenlerne, wechselt sie sofort in ein perfektes Deutsch und zeigt ihr strahlendes Lachen. Von ihrem schweren Weg nach Europa spricht sie – wie ihre Freundinnen aus Somalia und Guinea – nur in Andeutungen und ausweichend. Monate später will sie ihre Geschichte erzählen – um anderen Mut zu machen. Und um all denen zu danken, die sie seit ihrer Ankunft in Belgien begleitet, behandelt und aufgebaut haben.

Ich bin Soumayya, aufgewachsen in einem wohlhabenden und gebildeten Umfeld im Sudan und im Ausland. Wir waren in vielen Ländern Europas, unter anderem auch in Deutschland. Mein Vater war Botschafter, er hat wie sein Vater in Oxford studiert und in England auch seine diplomatische Laufbahn begonnen. In meiner Kindheit war er die wesentliche Bezugsperson, da meine Mutter bei meiner Geburt, einer Vierlingsgeburt, gestorben ist. Mein Vater hat mir sehr viel Selbstbewusstein mitgegeben, er schätzte die demokratischen Werte, die er in Europa assimiliert hatte, und gab sie an uns Kinder, vor allem an die Mädchen, weiter.

Jedes Jahr verbrachten wir drei Monate im Sudan. Dort mussten wir im traditionellen Gesellschaftssystem klarkommen, in dem Frauen und Mädchen jegliche Bewegungsfreiheit und Selbstbestimmung versagt ist: Als Frau darfst du nicht allein das Haus verlassen, Einkäufe werden für dich gemacht, du kannst deine Freundinnen nicht besuche. Die Familie wird dich zwangsverheiraten, als Kind bist du wahrscheinlich beschnitten worden. Doch solange mein Vater lebte, waren die Grenzen für uns nicht so eng, denn wir hatten Diplomatenstatus und konnten uns manche Freiheit nehmen. So konnte ich als junge Frau eine Organisation mitaufbauen, die die Beschneidung von Mädchen zu verhindern versuchte, sie hieß SELIMA.

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Wenn in der deutschen Community in Brüssel über das Thema “Flüchtlinge” diskutiert wird, dann eher selten über die Situation der in Belgien angekommenen Migranten. Darüber wissen wir Expats in aller Regel kaum etwas. Belgieninfo wird in den kommenden Wochen darüber berichten: mit Reportagen, Interviews und Portraits.

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Nach dem Tod meines Vaters kippte die Situation. Meine Stiefmutter wollte mich zwangsverheiraten, denn unverheiratet war ich eine Schande für die Familie, Erbschaftsangelegenheiten spielten ebenfalls eine Rolle. Als ich mich gegen eine solche Heirat wehrte, versuchte ein Stiefbruder, mich mit einem Messerstich umzubringen. Da ich weiterhin für SELIMA im Untergrund arbeitete, war es ein Leichtes, mich festnehmen zu lassen. Insgesamt kam ich viermal ins Gefängnis. Einmal wurde ich auf dem Marktplatz an den Pranger gestellt und mit 100 Peitschenhieben bestraft. Da fing ich 2013 an, an Flucht aus dem Sudan zu denken. Amnesty International hat mich schließlich aus dem Gefängnis geholt und mich auf die Route gebracht. Den weiten Weg durch die sudanesisch-lybische Wüste habe ich allein gemacht. Da ich wusste, dass Frauen auf dieser Schlepperroute gefangen genommen und vergewaltigt werden, habe ich mich als Junge verkleidet, das hat bis zuletzt funktioniert. Aber ich habe mit ansehen müssen, wie Frauen aus unserem Transporter herausgeholt und am nächsten Morgen krank zurück gebracht wurden.

Angstträume

Über die Überfahrt über das Mittelmeer kann ich nicht gut sprechen, ich habe heute noch Angstträume und bin in Behandlung, um mit den schrecklichen Bildern meiner Flucht weiterleben zu können. Man hatte uns für die hohe Summe, die wir an die Schlepper bezahlt hatten, eine gediegene Schiffspassage mit Kabine versprochen, aber dann hat man 500 Menschen in einen kleinen Kahn gepfercht. Das überladene Boot brach vor Lampedusa auseinander, mehr als die Hälfte der Menschen an Bord sind ertrunken.

Als ich meine Augen öffnete, fragte man mich, welche Sprache ich spreche. Da wusste ich, dass ich noch lebe – und bin für zwei Wochen ins Koma gefallen. Und jetzt beginnen die guten Geschichten:

Eine italienische Krankenschwester hat sich mit ihrer ganzen Familie, ja sogar ihrem ganzen Dorf, meiner Genesung angenommen. Sie hat mich gefragt, ob ich ihr vertraue und mit zu ihr nach Hause kommen möchte, andernfalls würde ich der Polizei übergeben werden und in ein Lager kommen. Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht registriert. Als ich das Krankenhaus mit ihr verlasse, ist die ganze Familie versammelt, um mich abzuholen, im Dorf werde ich von vielen Menschen in die Arme genommen und geküsst, und es gibt so viel zu essen …. In den folgenden Wochen wurde ich aufgepäppelt wie ein eigenes Kind, die Oma saß an meinem Bett und gab mir zu essen. Als ich wieder bei Kräften war, habe ich bei der Olivenernte im Familienbetrieb geholfen, etwa zwei Monate lang. Doch die Familie versteht, dass ich noch nicht am Ziel meiner Reise bin, und organisiert die letzte Etappe meiner Flucht: Ich steige in einen stinkenden Fischtransporter und komme nach drei Tagen am Brüsseler Nordbahnhof an.

Wer mich unterstützt hat

Hier werde ich freundlich empfangen, sofort bekomme ich etwas zu essen und zu trinken. Auch die Mitarbeiter im Bundesamt sind zuvorkommend, sogar die Polizisten, als sie mich zur medizinischen Untersuchung bringen. Seitdem haben mir sehr viele Menschen und Organisationen Unterstützung angeboten und mich auf dem Weg nicht nur zur Einbürgerung, sondern auch zur psychischen Stabilisierung und körperlichen Heilung begleitet. Es ist mir wichtig, sie hier alle zu nennen: die ehrenamtlich Engagierten (Maison de Migrants, Citizens‘ Platform, Maximilian Hall, Espace Femmes), dann professionelle Helferinnen und Helfer, also Sozialarbeiterinnen und –arbeiter (Fedasyl, Samousocial, Intact), sowie Ärzte und Psychologinnen (Médecins du Monde, Constat, GAMS, Women DO). Nicht zu vergessen mein Anwalt, der sich um meine Anerkennung als Asylantin bemüht.

Mittlerweile habe ich eine Arbeitserlaubnis und hoffe, mit meiner Doppelausbildung in Politikwissenschaften und Computer Sciences hier bald einen Job zu finden.

Allen oben genannten Einrichtungen und Personen möchte ich danken. Sie haben mich so stark gemacht, dass ich dabei bin, selbst eine Initiative für Flüchtlingsfrauen zu gründen. Sie heißt SELMA, in Anlehnung an SELIMA. Ich möchte Flüchtlingsfrauen die Gelegenheit geben, ihre Stimme zu erheben und ihre Geschichte zu erzählen.

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Refugees welcome Brussels’ Citizens Platform for Refugee Support. Weitergehende Informationen:

(Red.) Wo der belgische Staat sich deutlich zurückhält, kümmern sich ehrenamtliche Helferinnen und Helfer bis an ihre eigenen Grenzen um die Angekommenen. Seit Mitte des Jahres hat ein Unternehmen der „Citizens Platform for Refugee Support“ (http://www.bxlrefugees.be/en/qui-sommes-nous/) ein Gebäude zur Verfügung gestellt, die Maximilian Hall (http://www.bxlrefugees.be/en/le-hall-maximilien/) in Jette. Dort erhalten Neuankömmlinge alle Unterstützung, die sie für die ersten Schritte nach der Ankunft und darüber hinaus benötigen. Wichtig für den Erfolg ist, dass – wie im Fall Soumayya – zahlreiche etablierte und neue Hilfsorganisationen Hand in Hand arbeiten.

Maison de Migrants : http://www.cbcs.be/La-Maison-des-Migrants-ouvre-ses

Espace Femmes : http://www.bxlrefugees.be

Fedasil : http://fedasil.be/fr

Samousocial : http://www.samusocial.be/

Médecins du Monde : https://www.medecinsdumonde.be/

Constats : http://www.constats.be/

GAMS : http://gams.be/

Intact : http://www.intact-association.org/

Women DO: https://asblwomando.wordpress.com/

SELMA: https://www.facebook.com/SELMA Initiative

 

Diese Artikel-Serie von Angela Franz-Bahlsen umfasst insgesamt fünf Artikel. Hier geht es zu den anderen Artikeln der Serie:

2. Teil: „Es geht um mehr als heiße Suppe und warme Decken…“ (28. Oktober 2016)

3. Teil: Das erste Lächeln, der erste offene Blick (12. Dezember 2016)

4. Teil: RANA im Brussels-Bubble (28. Februar 2017)

5. Teil: Von Willkommenskultur zu Abschreckungspolitik (2. Juli 2017)

 

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