Wer ist schuld am Ersten Weltkrieg? Wann ist ein Soldat ein Soldat? Diese und Fragen über Belgien anlässlich des 100. Jubiläums des Ersten Weltkriegs stellte Heide Newson in einem Interview an Prof. Dr. Gerd Krumeich, einem der führenden Experten des Ersten Weltkriegs sowie Leiter des wissenschaftlichen Beirats der Ausstellung „Sommer 1914, Nancy und Lothringen im Krieg“, die derzeit in Nancy große Beachtung findet.
Belgieninfo:
Dr. Krumeich, Sie sind ein ausgewiesener internationaler Experte des Ersten Weltkriegs. Dabei ist Ihre Expertise nicht nur in dieser Region Frankreichs stark gefragt. Wie sieht es in Belgien aus, wo der Erste Weltkrieg ein ebenso großes Ereignis ist? Gibt es eine Zusammenarbeit?
Prof. Krumeich:
Es ist richtig, dass ich im Zusammenhang mit den Jubiläumsfeierlichkeiten des Ersten Weltkriegs stark in Frankreich tätig bin, aber in belgische Projekte bin ich ebenso eingebunden. Bei der Errichtung des neuen Informationszentrums „Ploegsteert“ (Comines-Warneton), das modernste, das es über den ersten Weltkrieg gibt, und das weitgehend von der australischen Regierung finanziert wurde, arbeitete ich z. B. mit den Belgiern aufs Engste zusammen. Zur Eröffnung im Jahr 2013 traf sich dort die ganze Welt. Aktuell plane ich mit einer belgischen Gesellschaft ein neues Projekt, und zwar mit einem Ausstellungsbus, den wir im deutsch-belgischen Grenzbereich einsetzen wollen. Für dieses Projekt fehlt uns noch das Geld, obwohl alles geplant, und der Bus startbereit ist. Ich muss mal sehen, ob ich für das gesamte Projekt ein Funding bekomme.
Die Frage der Schuld am Ersten Weltkrieg ist 100 Jahre nach seinem Beginn auch in Belgien wieder neu aufgeflammt. Nicht nur ausgewiesene Historiker wie Sie oder Christopher Clark, liefern sich derzeit eine kontroverse Debatte. Hätte er verhindert werden können? Trifft die Deutschen die Hauptschuld?
Bis zum 1. August konnte jeder den Ersten Weltkrieg verhindern. Man hätte sich nur besser zusammensetzen und diskutieren müssen. Aber das ist auch die besondere Verantwortung der Deutschen, obwohl sie nicht die alleinige Schuld tragen. Damals hatten alle mit ihrem Imperialismus und Allianzensystemen viel Sprengstoff für einen Krieg angesammelt. Für all das kann man nicht die Deutschen alleine verantwortlich machen. Aber es waren im Jahr 1914 die Deutschen, die auf den Zünder drückten, und nicht die Franzosen oder Russen, wobei sich die Frage nach dem „Warum“ stellt. Aber wenn man vom Ersten Weltkrieg und seinen Verantwortlichkeiten spricht, so darf man nicht vergessen, dass alle Beteiligten damals nicht wussten, was für ein Krieg das werden würde. Ein Angriffskrieg war im Jahr 1914 noch nicht verboten, das war erst ab 1928 der Fall, und im Jahr 1914 hatten die Staatsleute und Militärs noch ganz eindeutig die Vorstellung, „wenn es politisch nicht zu regeln ist, dann machen wir halt Krieg“. Das war normal. Aber die „Moltkes“, der Kaiser, die „Falkenhayns“, etc., hätten den Krieg ja auch nicht gemacht, wenn sie gewusst hätten, was an der Somme und in Verdun passieren würde. Sie alle hatten geglaubt, in drei Monaten wieder zu Hause zu sein. Sie dachten, die Franzosen in vier Wochen „im Sack“ zu haben, dann die Russen, und danach wieder Politik zu machen. So hatten es sich die Deutschen vorgestellt, was sehr arrogant war.
Mit der gleichen Arroganz stürmten die Deutschen durchs neutrale Belgien und brachen damit ganz eindeutig das Völkerrecht?
Das ist völlig richtig. Die Verletzung der belgischen Neutralität war reiner Militarismus der Deutschen, und das ist deren ganz große Verantwortung. Auch der französische Plan der Militärs sah vor, die Deutschen vorzugsweise über Belgien anzugreifen. Dafür hatte sich in den Jahren 1911 und 1912 Marschall Joffre stark gemacht, und betont, dass er einen Angriff über Belgien vorziehe. Aber Politiker, wie Poincaré sagten ihm, davon die Finger zu lassen, und Joffre gehorchte. Er machte einen anderen Kriegsplan, der zwar nicht besser, aber politisch korrekt war. Als französischer Militär musste er seine Regierung fragen, was die Armee nun durfte oder was nicht. In Deutschland brauchten die Militärs ihre Regierung nicht zu fragen.
Erkundigte sich der damalige deutsche Außenminister z. B. bei General Schlieffen, was er militärisch denn so vorhabe, so erhielt er nicht einmal eine Auskunft. Das ist der generelle Unterschied zwischen einem solchen konstitutionellen, vom Militär beherrschten Regime, wie es das Kaiserreich war, und einer Republik.
Die Deutschen glaubten, mit ihrem Schlieffen Plan den Krieg ganz schnell entscheiden zu können, und empfanden es als fast illegitim, dass sich die Belgier zur Wehr setzten und sich verteidigten. Dementsprechend gingen die Deutschen sodann auch mit den Belgiern, die Widerstand leisteten, um. Sie behandelten sie so, als ob sie kein Recht zur Verteidigung hätten.
Wie verhielten sich die Belgier? Kämpften sie, leisteten sie Widerstand, waren sie gute und tapfere Soldaten?
Die Belgier, kämpften an verschiedenen Fronten, sie hielten Antwerpen, waren im Grenzgebiet äußerst aktiv, und bei der Unterwassersetzung des Landes sehr tapfer. Sie haben den anderen Soldaten in nichts nachgestanden. Das Problem war aber ein ganz anderes. Die Deutschen hatten in Belgien das Problem mit den „sogenannten Zivilisten“, die sich ihnen in den Weg stellten. Das war das große Missverständnis. Die Deutschen konnten einfach nicht akzeptieren, dass sich die „Garde Civic“, Feuerwehrleute, etc. zusammentaten, um sich zu verteidigen, was vom internationalen Recht völlig legitim war, was die Deutschen aber in ihrem völkerrechtlichen Verständnis nicht akzeptierten. Dazu gibt es nach dem Motto „was macht einen Soldaten aus?“, auch noch heute sehr schwierige Fragen, z. B. „wie erkennt man ihn“? Die Franzosen, Belgier und Briten waren der Ansicht, dass ein Soldat, um als solcher erkenntlich zu sein, ein militärisches Teil tragen müsse, eine Jacke oder Binde am Arm. Die Deutschen dagegen betonten damals, dass sie nur jemanden mit kompletter Uniform als gegnerischen Soldaten akzeptieren würden, die die Belgier in der Nationalgarde nicht besaßen.
Sie liefen mit einer Uniformhose, oder einer halben herum, waren nach eigenem Bekunden jedoch Soldaten, was die Deutschen nicht akzeptieren. Die ersten Meldungen, bzw. Gerüchte über angebliche „Franktireurs“, ein wichtiger Auslöser für Repressalien, machte die Runde. Das war ein schreckliches Missverständnis, eins das 6000 Menschenleben zuviel kostete.
Wieso nahm die Französische Armee, die ja auf belgischem Boden gegen die Deutschen kämpfte, die Belgier nicht einfach unter ihren militärischen „Flügel“?
Das lag schon daran, dass die Belgier ihre staatliche und völkerrechtliche Souveränität behalten wollten. Abgesehen davon waren die Franzosen auch nicht daran interessiert, sie unter ihre Flügel zu nehmen, zumal sie schon genügend Schwierigkeiten mit den Engländern hatten. Erst später kämpften die Belgier in Charleroi an Seite der Engländer gegen die Deutschen, wobei es überhaupt keine Probleme gab. Dabei muß man verstehen, dass es erst ab 1918 ein alliiertes Oberkommando gab. Die Franzosen, ebenso wie die Engländer, waren zwar darauf bedacht, zusammen zu arbeiten, aber sie alle hatten ihre eigenen Befehlsstrukturen und ihre Abhängigkeit, und wollten sich da nicht von den Belgiern reinreden lassen.
Heide Newson
Info:
„Sommer 1914, Nancy und Lothringen im Krieg“ 15.02. – 21.09.2014 Ausstellungsort: Musée Lorrain im Palais Ducal – 64, Grande Rue, F-54000 Nancy, 1. Etage, Galerie des Cerfs (Galerie für temporäre Ausstellungen des Musée Lorrain) Öffnungszeiten: Bis 21. September 2014, jeweils Dienstag bis Sonntag 10:00 Uhr – 12:30 Uhr und 14:00 Uhr – 18:00 Uhr
Krumeich im ZDF: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2170844/Schuld%253F-Gerd-Krumeich-zum-1.-Weltkrieg#/beitrag/video/2170844/Schuld%253F
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