Von Michael Stabenow.
Seit vergangenem November steht Conner Rousseau, 27 Jahre alt, an der Spitze jener Partei, deren Ursprünge in das Jahr 1885 zurückreichen und die heute unter der Bezeichnung „Socialistische Partij Anders“ (SP.A) firmiert. Forsch kündigte Rousseau nach seiner Wahl im Fernsehsender VRT an, er werde für „Feuer in der Maschine“ sorgen.
Zehn Jahre alt war er, als die flämischen Sozialisten im Jahr 2003 bei den Parlamentswahlen im Norden Belgiens an die 25 Prozent der Stimmen errangen. Es war die Zeit der „lilagrünen“ Koalition mit Liberalen und Grünen. Und es war die Zeit der sogenannten “Teletubbies”, eines damals vom telegenen Parteivorsitzenden Steve Stevaert angeführten und unverbraucht wirkenden Quartetts flämischer Sozialisten. Bei Rousseaus Amtsantritt im letzten Jahr dagegen, lag die Partei reichlich in Trümmern. Unter seinem glücklosen Vorgänger John Crombez war sie bei der belgischen Parlamentswahl 2019 im flämischen Landesteil unter die Schwelle von 10 Prozent gesackt und gewann gerade noch neun Sitze.
Mittlerweile konnte die SP.A – zumindest in einer jüngsten Meinungsumfrage – um fast drei Prozentpunkte auf 12,5 Prozent zulegen. Unter ihrem jungen Vorsitzenden, der sich gerne im lockeren Outfit mit Jeans und T-Shirt zeigt und nicht mit flotten Sprüchen geizt, gelant eine Trendwende. Rousseau gilt nicht nur vielen Parteifreunden als politischer Shootingstar.
Lediglich beim Antrittsbesuch bei König Philippe erschien der studierte Jurist in Anzug und Krawatte, wenn auch mit weißen Sneakers. Dass er bei einem Treffen mit dem ebenfalls auf Außenwirkung bedachten, sieben Jahre älteren Vorsitzenden der französischsprachigen Liberalen (MR), Georges-Louis Bouchez, mit einem Rucksack auftauchte, quittierte dieser mit dem herablassend wirkenden Spruch: „Sieh da, der Schuljunge ist da.“
So erfrischend Rousseau auch wirkt – er stammt, wie viele Politiker im Land, aus einem Elternhaus mit parteipolitischem Stallgeruch. Seine Mutter war Bürgermeisterin der ostflämischen Stadt Sint-Niklaas und Senatorin in Brüssel, der Vater ist seit Jahrzehnten sozialistisches Mitglied des Gemeinderats des Küstenstädtchen Nieuwpoort.
Die erste Nagelprobe in seiner kurzen Laufbahn begann für Rousseau Ende Juni. Zunächst scheiterte sein Versuch, gemeinsam mit Paul Magnette, dem Vorsitzenden der französischsprachigen Schwesterpartei PS, eine über 71 Sitze verfügende Sechserkoalition aus Sozialisten, Liberalen und Christlicher Demokraten beider Landesteile zu schmieden. Damit schlug die Stunde der „drei Könige“. So werden halb scherz-, halb ernsthaft MR-Parteichef Bouchez sowie die Vorsitzenden der flämischen Liberalen (Open VLD), Egbert Lachaert, und der flämischen Christlichen Demokraten (CD&V), Joachim Coens, genannt. Ihre drei Parteien bilden mit gerade einmal 38 von 150 Sitzen im belgischen Parlament das schmale Rückgrat der aktuellen Minderheitsregierung.
Erklärtes Ziel des Trios ist es, mit Hilfe der 24 Parlamentarier der flämisch-nationalistischen Neu-Flämischen Allianz (N-VA) und den fünf Abgeordneten der CDH, der frankophonen Schwesterpartei der CD&V, eine Regierung ohne Beteiligung der PS zu bilden. Mit 76 Sitzen würde diese gerade einmal über eine Mehrheit von einem Sitz verfügen. Zudem hätte dieses “Arizona-Bündnis” nur 19 der 63 französischsprachigen Abgeordneten hinter sich.
Eigentlich hoffte man im Arizona-Bündnis auf Verstärkung durch den unabhängigen Abgeordneten und ehemalige Judoka Jean-Marie Dedecker, der 2019 als 25. Abgeordneter auf der N-VA-Liste ins Parlament gewählt worden war. Dass mit dessen Unterstützung jedoch nicht zu rechnen ist, zeigt sein, jetzt von der Wochenzeitschrift „Knack“ veröffentlichter, Brief an Rousseau. Darin heißt es spöttisch: „Du bis das Christkind, nach dem die drei Könige von MR, CD&V und Open VLD suchen, um den Regierungsstall zu füllen. Sie wedeln mit Gold, Weihrauch und Myrrhe, um Dich über die Ziellinie zu locken. Entweder springst Du als kleiner Prinz in die Regierung oder Du wirst weiter als Käferchen von Paul Magnette den Mond ankläffen.“
So boshaft diese Sätze Dedeckers sind – sie legen durchaus ein Dilemma offen, in dem der junge SP.A-Vorsitzende jetzt steckt. Mehrfach hat er verkündet, es gehe jetzt in erster Linie um Inhalte. Andererseits sind die Bande mit Magnette eng und Rousseau gilt zudem als Gegner einer weiteren Schwächung des belgischen Föderalstaats. So hat er sich in der Kontroverse um den Umgang mit der Coronavirus-Pandemie für die Rückübertragung von Zuständigkeiten von den Regionen auf die föderale Ebene ausgesprochen.
Rousseau hat ein feines Gespür für die Fallstricke der belgischen Politik. Er wird sich darüber im Klaren sein, dass im Falle eines Scheiterns der Bestrebungen der „drei Könige“ ihm der Schwarze Peter zugeschoben werden könnte. Daher hat er für weitere Gespräche eine Reihe inhaltlicher Bedingungen gestellt, die insbesondere für die Liberalen und N-VA schwer verdaulich wirken. Sie betreffen höhere Mindestlöhne und Renten, erheblich mehr Investitionen und eine Art Reichensteuer auf hohe Einkommen.
Dass es Rousseau nicht an Selbstbewusstsein mangelt, zeigt ein Ende Juni veröffentlichtes Interview mit der Zeitung „De Morgen“. Auf die Frage, ob er der „neue Steve Stevaert“ sei, antwortete er: „Ich will nicht die zweite Version von jemandem sein. Ich will die beste Version meiner selbst sein. Conner I.“ Wolle er also, so die Nachfrage, Regierungschef werden? „Das wäre prima, ja. Es ist so falsch, dass man in diesem Land keinen Ehrgeiz haben darf. Ich will Wirkung entfalten, und als Premier kann man das. Aber dieser Ehrgeiz geht nicht über alles“, sagte Rousseau.
Foto: SP.A Pressestelle
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