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Radfahrer leben getrennt/3. Teil: “Wir danken für Ihre Geduld”

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Unser dritter Ausflug folgt der Maas von Maastricht bis Namur und umfasst etwa 110 Kilometer. Die ersten Kilometer liegen noch in den Niederlanden. Sie schlängeln sich nämlich durch die sanften Landschaften des südlichen Maastrichter Raumes sowie durch das Grenzstädtchen Eijsden. Am hiesigen Bahnhof wartete einst der letzte deutsche Kaiser auf die Abfertigung der Zollformalitäten, bevor ihm die Pforten des niederländischen Exils geöffnet wurden.

Kurz nach der Grenze verschwinden die Knotenpunkte, die noch eine Weile points-noeuds hießen, gänzlich und werden durch RAVeL-Schilder abgelöst. Wir befinden uns auf dem Gebiet der Provinz Lüttich, und RAVeL ist die Kürzelbezeichnung für das Radstreckennetz, das vom wallonischen Ausrüstungs- und Transportministerium entworfen wurde. Nördlich von Lüttich hat man eigentlich die Wahl zwischen zwei RAVeL-Strecken: entweder an der Maas oder am Albertkanal entlang.

Wir entschieden uns für die Kanalstrecke. Die ist bis Lüttich relativ gut eingerichtet und beschildert, wenn auch gelegentlich die Kreativität des Radfahrers gefordert ist. Im südlichen Teil der Stadt hat es, und zwar für die nächsten fünfzig Kilometer, mit der Radtauglichkeit freilich ein Ende.

Im stark industriellen Lütticher Süden, zu dem Gemeinden wie Sclessin, Seraing oder Flémalle gehören, gibt es keinen Treidelpfad, und die Radstrecke entfernt sich von der Maas. Schilder fehlen – übrigens auch für den Autoverkehr. Der nicht ortskundige Radfahrer steht oft ratlos da, muss sich durchfragen, und gerät allmählich in die erstaunliche Zwischenwelt aus DDR und Sizilien, die wir aus den Filmen der Brüder Dardenne kennen. Fassaden aus rußüberzogenen bordeauxroten Backsteinen, verlassene Häuser und Fabriken, Sozialelend und Dauerwirtschaftskrise prägen das Straßenbild.

Paradies für Polizyniker

Die Gegend ist ein Paradies für Politzyniker. Der jüngsten Parlamentswahlen erinnerlich, prangt vor einer Kirche unter einem bekannten Namen der Slogan Wagen wir den Sozialismus! – offensichtlich übersahen die Verfasser, dass hier schon seit Jahrzehnten die Sozialisten am Ruder sind.

Etwas weiter steht vor einer Baustelle ein Schild, auf dem der finanzielle Zuschuss der wallonischen Region noch in belgischen Franken ausgedrückt und das Ende der Bauarbeiten für Ende 1999 vorgesehen wird. Darunter: Wir rüsten die Wallonie aus und danken Ihnen für Ihre Geduld. In einem solchen Umfeld mag der Ausbau eines Radstreckennetzes tatsächlich wie eine Provokation erscheinen. Andererseits zeigen das flämische und das niederländische Vorbild, dass gerade ein gut ausgebautes Radwegnetz die Straßen entlasten und den Gaststättenbetrieb ankurbeln kann.

Umso trauriger wirkt der Zustand des RAVeL-Netzes im touristisch doch potenziell sehr attraktiven Maastal. Die Strecke, die man auf der Karte sieht, ist in der realen Welt inexistent. Die einzigen Schilder, die es gibt, signalisieren den Anfang oder das Ende eines Hafengebiets. Das ist zwar nett, hilft dem Radfahrer bei fehlenden Ausweichmöglichkeiten aber kaum. Im Übrigen fährt man über löcherige Wege, auf der Schnellstraße ohne Radweg direkt neben den Autos, durch die übel riechenden Schwaden einer Ammoniakfabrik, über reifenschädliches Kies, nicht selten zu nahe am Fluss, man plätschert durch Industrieschlacken, steht später plötzlich vor einer Baustelle oder im Schilf, weil dort der Radweg ohne vorherige Umleitung abrupt aufhört, was die geplante Fahrt natürlich um mehrere Kilometer verlängert – nein, keine Familie würde sich mit Kindern in diesen Dschungel hineintrauen. Das hier taugt nur für hartgesottene Fans kriegsgeschädigter Industrielandschaften.

Zum Glück sind da die letzten fünfzehn Kilometer in grüner Umgebung und auf komfortablem Asphalt – als wolle die Provinz Namur, die ja die gleichnamige wallonische Hauptstadt beherbergt, keinerlei Haftung für die Lütticher Strapazen übernehmen.

Text und Fotos: Philipp Bekaert

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