Am 20. Januar 2015 brachte der Schauspieler Volker Ranisch Heinrich Manns Klassiker „Professor Unrat“ auf die Bühne der Internationalen Deutschen Schule Brüssel (iDSB), ein Abend, der den Zuschauern noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Wer kennt nicht das Chanson „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und sieht dabei Marlene Dietrich vor seinem geistigen Auge? Der Film „Der Blaue Engel“ aus dem Jahre 1930 wurde weltberühmt, und zumindest die bekannte Gesangsszene mit der großen Schauspielerin ist es bis heute. Wenige aber kennen die Vorlage, den Roman „Professor Unrat“ (geschrieben 1905).
Volker Ranisch, dessen Theaterkarriere ihn bisher unter anderem an das „Schauspielhaus Zürich“, das „Deutsche Theater“ und das „Theater im Palais“ in Berlin führte, gelingt es, quasi als ‚Alleinunterhalter‘, diesen Text aus einer vergangenen Epoche lebendig zu machen. Mehrfach verweist er dabei auf den Film – und zieht an der entsprechenden Stelle kokett das Hosenbein hoch, um die Sicht auf einen Strumpfhalter freizugeben. Doch nicht nur die Sängerin Rosa Fröhlich nimmt auf diese augenzwinkernd-komische Weise Gestalt an, sondern vor allem der verschrobene Gymnasialprofessor, der der leichten Dame so hoffnungslos verfällt.
Ein Gymnasiallehrer wird verführt
Schulgeschichten sind, so scheint es, eine Spezialität der deutschen Literatur. Der Bogen der Schulsatiren spannt sich von Frank Wedekind („Frühlings Erwachen“) über Ludwig Thoma („Lausbubengeschichten“) bis zu Hermann Hesse („Unterm Rad“). Sie zeigen sämtlich den Typus des autoritären Lehrers als Stütze einer hierarchischen Gesellschaft, der in einem ausgeklügelten System der Unterwerfung seinen Schülern vor allem Disziplin und Gehorsam einimpft, mit brutalen Mitteln: Unterrichtung als Dressur.
Wie schnell eine solche Stütze der Gesellschaft jedoch einstürzen kann, und das ist das Besondere des Romans, zeigt das Beispiel Professor Raats, nicht zufällig von allen nur ‚Unrat‘ genannt, der bei einer seiner nächtlichen Strafexpeditionen gegen Schüler der ‚Künstlerin‘ Rosa Fröhlich begegnet und ihren Reizen selbst verfällt, viel bedingungsloser als seine Schüler, die das ‚Etablissement‘ frequentieren. Plötzlich bricht aus dem Tyrannen, wie es heißt „endgültig der Anarchist heraus“, und aus dem gleichermaßen gehassten wie gefürchteten Pädagogen wird schließlich ein Bordellinhaber, Spielbankhalter und Schuldenmacher, der seine Mitbürger bewusst nicht nur ins sittliche, sondern auch ins ökonomische Verderben stürzt.
Ranisch bringt mit seinem Minenspiel auf imponierende Art zum Ausdruck, wie die „Barfußtänzerin“ Rosa Fröhlich die verborgenen und zuvor verdrängten Seiten des Lehrers mehr und mehr zum Vorschein bringt, sehr zur Freude des Publikums. Haben sich auch die Zeiten geändert, schmunzeln kann man noch immer über diese augenscheinliche Verwandlung des verknöcherten, alternden Schulmannes in eine vielleicht lächerliche, aber immerhin dynamische und vitale Persönlichkeit. Verführungen aller Art gibt es heute ebenso, aber wenn nicht die ‚Zöglinge‘, sondern der Erzieher selbst ihnen erliegt, dann hat dies nach wie vor eine herrlich amüsante Seite.
Und der Schauspieler vermittelt sein Können
‚Wie macht der Schauspieler das?‘, mögen sich viele gefragt haben. Staunen muss man allein schon über diese Gedächtnisleistung: Einen über 1 1/2-stündigen Monolog auswendig zu lernen und fehlerlos darzubieten, ganz ohne ‚Stichwortgeber‘ und Souffleur. Wie man den Körper als Instrument einsetzen kann und die Kunst der Imagination entwickelt, zeigte Volker Ranisch den Schülern des Fachs „Darstellendes Spiel“ und der Theater-AG am Vortag persönlich im Rahmen eines Theater-Workshops, eine einmalige Gelegenheit für angehende Darsteller, die Kunst des Schauspiels ‚aus erster Hand‘ zu lernen, mit Sicherheit zwei sehr gelungene ‚Lehrstunden‘ an der iDSB.
Bericht und Fotos: Friedhelm Tromm
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