Von Reinhard Boest
Lange hat es gedauert, jetzt ist sie endlich da: Floya, die neue Brüsseler Mobilitäts-App, mit der die kombinierte Nutzung aller in der Stadt verfügbaren Verkehrsmittel erleichtert werden soll. Schon 2020 wurde ein solches Angebot im Mobilitätsplan der Region “GoodMove” angekündigt. Leicht zugängliche Informationen über Alternativen zur Nutzung des eigenen Autos sollen nicht zuletzt dazu beitragen, die chronische Verstopfung der Straßen zu reduzieren und die Stadt lebenswerter zu machen.
Das Region hatte das Nahverkehrsunternehmen STIB/MIBV und die Verkehrsverwaltung Bruxelles Mobilité/Brussel Mobiliteit mit der Entwicklung eines solchen MaaS-Systems (Mobility as a Service) beauftragt, das es in einigen Städten schon gibt. Mitte 2021 startete ein Pilotprojekt unter dem Namen “MoveBrussels”. Ziel war es, verschiedene Transportmodi zusammenzuführen (ÖPNV, Fahrräder, Roller, Fußweg, aber auch Carsharing oder Taxis) und dem Nutzer ein auf sein Profil zugeschnittenes Angebot für seinen konkreten Reisewunsch zu unterbreiten (siehe https://belgieninfo.net/mobility-as-a-service-maas-ein-neues-angebot-fuer-bessere-mobilitaet-in-bruessel/).
Seit dem 7. September ist die App operativ. Statt “MoveBrussels” trägt sie jetzt den Namen “Floya” – hat aber mit dem deutschen Pop-Rock-Duo gleichen Namens nichts zu tun. Vielmehr leitet sich der Name vom norwegischen “fløy” (Flügel) ab. Er soll die Freiheit suggerieren, sich unabhängig und ohne große Anstrengung fortzubewegen. Die Farbgebung des Logos kombiniert die Farben der STIB/MIBV (rot und blau) und der Region (blau und gelb).
Mit Hilfe der App soll es möglich sein, für eine Fahrt oder Reise die jeweils geeignetsten Transportmittel (gegebenenfalls kombiniert) zu finden und diese auch zu buchen und zu bezahlen. Das war bisher für die verschiedenen Verkehrsträger – öffentliche Verkehrsmittel oder Mietfahrzeuge wie Autos, Roller oder Fahrräder – teilweise auch schon möglich, aber nur für den jeweiligen Anbieter über dessen App. Die neue App soll diese Angebote nun zusammenführen: nur noch eine App statt zehn.
Aktuell sind neun Partner an dem Projekt beteiligt: die öffentlichen Verkehrsunternehmen STIB/MIBV, De Lijn (Flandern), TEC (Wallonie) und die belgische Eisenbahn SNCB/NMBS; außerdem die privaten Anbieter dott (E-Roller und Fahrräder), TIER (E-Roller), Villo (Fahrräder) sowie Cambio und Poppy (Carsharing). Im nächsten Jahr sollen ein Taxiunternehmen (Taxis Verts) sowie die Anbieter voi. (E-Scooter) und Bolt (E-Roller und Carsharing) dazukommen. Ob damit das Ergebnis der Ausschreibung für die künftig begrenzte Zahl von E-Roller-Anbietern schon vorweggenommen wird? (siehe https://belgieninfo.net/bruessel-definiert-regeln-fuer-e-roller-co-ab-2024/)
Wie bisher bei den einzelnen Anbietern muss auch bei Floya ein Nutzerkonto eingerichtet werden. Die notwendigen Angaben richten sich nach den gewünschten Leistungen. Wenn man über die App Tickets oder ein Mietfahrzeug buchen will, muss sie mit einer Zahlungsart verbunden werden; derzeit ist das nur mit einer Kredit- oder Debitkarte von Visa oder Mastercard möglich. Tickets können mit Hilfe der App vorerst nur für Fahrten mit De Lijn und der SNCB gekauft werden; bei TEC und STIB/MIBV muss wie bisher ein Papierticket gelöst oder eine MOBIB-Karte genutzt werden. Bei STIB/MIBV kann eine Einzelfahrt mit Metro, Tram oder Bus auch kontaktlos mit einer Bankkarte oder einem System wie Google oder Apple Pay bezahlt werden; sie kostet dann nur 2,10 Euro statt 2,60 Euro für das Papierticket.
Für die Anmietung von E-Rollern oder Fahrrädern muss außerdem die Identität nachgewiesen werden, für das Carsharing zusätzlich die Fahrerlaubnis. Das geschieht durch Einscannen der entsprechenden Dokumente und ein ebenfalls im System gespeichertes Selfie.
Wenn schließlich noch die Standortlokalisierung auf dem Smartphone aktiviert wird, ist die App betriebsbereit. Sie zeigt dann auf einem Stadtplan den eigenen Standort und alle Verkehrsmittel in der Nähe an: Metro-, Bus- und Tramstationen sowie verfügbare Mietfahrzeuge (Fahrräder, Roller, Autos). Man kann eine gewünschte Verbindung eingeben und erhält Vorschläge, mit welchem Verkehrsmittel (einschließlich Fußweg oder eigenem Auto oder Fahrrad) es wie lange dauert und auch wieviel es kostet. Verfügbare Roller, Räder oder Autos lassen sich unmittelbar über die App reservieren.
In der Regel ist eine Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mit Abstand am günstigsten (wenn auch nicht immer am schnellsten), obwohl der Preis eines Einzelfahrscheins zugrunde gelegt wird (Mehrfachkarten und Abonnements sind pro Fahrt natürlich noch billiger). Dagegen kommt man bei der Nutzung eines E-Rollers, Fahrrades oder Autos etwa für eine Strecke von 6 Kilometern schnell auf Beträge zwischen 5 und 10 Euro. Selbst für eine zweiminütige Fahrt zur nächsten Metrostation sind 1,50 Euro fällig – und dann natürlich noch der Fahrpreis für die Metro.
Angebote für intermodale Verbindungen, also etwa eine Kombination von Roller und Metro/Tram, zeigt das System – vorerst? – fast gar nicht an. Die Nutzung von Rollern und Fahrrädern ist ohnehin auf das Gebiet der Region Brüssel-Hauptstadt begrenzt, da die Anbieter nur dafür eine Lizenz haben. Eine Fahrt in unmittelbar angrenzende Gemeinden wie etwa Kraainem oder Wezembeek-Oppem ist also nicht möglich. Die Ortung verfügbarer Mietfahrzeuge mit der App ist nur von Interesse, wenn man sofort losfahren will, nicht wenn man eine Verbindung in der (nahen oder ferneren) Zukunft sucht. Vielleicht ändert sich das, wenn ab 2024 Abstellzonen verbindlich und Roller nur noch dort abgeholt und abgestellt werden können.
Wird die Mobilität in Brüssel jetzt “beflügelt”, wie es der neue Name verspricht? Für eine Bewertung des neuen Angebots ist es sicher noch zu früh. Zunächst gibt es noch zu viel “Vorläufiges”. Dass die Entwicklung der App so lange gedauert hat, ist angesichts der Komplexität nicht überraschend. Das einzig wirklich Neue ist die Zusammenführung von ÖPNV und privaten Mobilitätsanbietern. Es ist daher zweifellos ein Fortschritt, dass man, wenn man das ganze Mobilitätsangebot in Brüssel nutzen will, nur noch eine App braucht. Wenn man nur ein einziges Verkehrsmittel nutzt, käme man mit der App des jeweiligen Anbieters aber auch in der Zukunft zurecht. Die digitalen Informations- und Buchungssysteme der öffentlichen Verkehrsmittel sind oft so untereinander vernetzt, dass Verbindungen angeboten werden, die etwa STIB und De Lijn kombinieren. Im Gebiet der Region Brüssel-Hauptstadt und im unmittelbaren Umland braucht man dafür seit Anfang 2021 zum Glück auch nur noch eine Fahrkarte (und nicht für jeden Träger eine gesonderte), siehe https://belgieninfo.net/brupass-und-brupass-xl-neue-angebote-fuer-bus-und-bahn-in-bruessel-und-umgebung/).
Ein integriertes Verkehrssystem in Brüssel, das alle Mobilitätsformen sinnvoll kombiniert, ist allerdings weiterhin nicht in Sicht. Es ist wegen der erheblichen Pendlerströme aus/in die Wallonie und Flandern ohnehin nur gemeinsam mit den anderen Regionen zu realisieren. Und das ist in einem so komplizierten Gebilde wie Belgien außerordentlich schwierig. Eine Vereinfachung der Tarife wäre doch einmal ein Anfang – was in Deutschland mit dem 49 Euro-Ticket gelungen ist und jetzt auch in Frankreich ernsthaft erwogen wird, sollte auch in einem kleinen Land wie Belgien möglich sein.
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