Aktuell, Politik

Frauentag ist nicht nur am 8. März

Von Reinhard Boest

Frauentag ist nur einmal im Jahr – für die Gleichstellung muss man aber 365 Tage im Jahr kämpfen: das war eine der wichtigsten Botschaften der Veranstaltung „Starke Frauen in MV“, zu der Jacqueline Bernhardt, Ministerin für Justiz und Gleichstellung, am 9. März zusammen mit der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern in Brüssel eingeladen hatte. Trotz gruseligen Wetters und drohendem Streik bei der STIB war die Veranstaltung mit mehr als 120 (nicht nur weiblichen) Gästen sehr gut besuc ht.

Nach der Begrüßung durch Lars Friedrichsen, dem Leiter der Landesvertretung (und einzigem männlichen Redner an diesem Abend), wies die Ministerin darauf hin, dass der Weltfrauentag in diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern erstmalig ein gesetzlicher Feiertag war (in Deutschland außerdem nur in Berlin). Es habe am 8. März im ganzen Land Veranstaltungen und Kundgebungen gegeben, und es sei deutlich geworden, dass der Tag nicht als Feiertag begangen werden sollte, sondern angesichts der weiterhin großen Defizite Kampftag für Frauenrechte sein müsse. Dabei sei die Situation für Frauen in Ostdeutschland schon vergleichsweise gut – so seien sie „nur“ 6 Prozent schlechter bezahlt als Männer (gegenüber 18 Prozent im deutschen Durchschnitt). Die Nachteile bei der Rente seien aber viel höher, und in den oberen Etagen von Unternehmen und Verwaltungen seien Frauen weiter unterrepräsentiert. In der Landesregierung sei seit der letzten Wahl immerhin Parität erreicht. Besonders ärgerlich sei, dass nur ein Viertel der Professorenstellen von Frauen besetzt sei, obwohl die Mehrheit der Studierenden (und Promovierenden) weiblich sei. Veränderungen gingen viel zu langsam, nach Einschätzung der World Economy Forums werde es beim derzeitigen Tempo noch 135 Jahre bis zu einer wirklichen Gleichstellung dauern (die UNO geht sogar von 285 Jahren aus). So lange dürfe man nicht warten. In Mecklenburg-Vorpommern sei im vergangenen Monat der Startschuss für die Erarbeitung eines Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramms mit breiter öffentlicher Beteiligung gegeben worden. Dieses Engagement wolle man gern auch auf die europäische Ebene weitergeben.

In einem Grußwort erläuterte Eva Gerhards, stellvertretende Kabinettchefin der (ersten) europäischen Kommissarin für Gleichstellung Helena Dalli, die Schwerpunkte der aktuellen Arbeit der Kommission in diesem Bereich: Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, Gleichstellung in Unternehmen, Lohntransparenz und Belastung von Frauen in der Pflege (Kinder und alte Menschen).

An einen kurzen Trailer schloss sich eine lebhafte Podiumsdiskussion an, die Gelegenheit gab, konkrete Lebenserfahrungen aus verschiedenen Bereichen zur Sprache zu bringen. Teilnehmerinnen waren Wenke Brüdgam, Landesbeauftragte für Frauen und Gleichstellung der Landesregierung, Prof. Konstanze Marx, Prorektorin für Kommunikationskultur, Personalentwicklung und Gleichstellung an der Universität Greifswald, sowie Katja Reppel, Referatsleiterin in der Europäischen Kommission. Die Kulturunternehmerin Franziska Neumann aus Greifswald konnte krankheitsbedingt nur per Video teilnehmen. Die Leitung hatte Helene Banner übernommen, Unternehmerin aus Schwerin und in ihrem „früheren Leben“ zehn Jahre lang Bedienstete in der Kommission, zuletzt bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Brüdgam sieht ihre wesentliche Aufgabe darin, Gleichstellung als horizontale Zielsetzung in allen Ministerien zu verankern. Außerdem gehe es um Unterstützung konkreter Aktionen, nicht nur finanziell, sondern – was oft noch wichtiger sei – auch moralisch.

Reppel wies darauf hin, dass die EU-Kommission mit ihren verschiedenen Förderprogrammen durchaus Instrumente in der Hand habe, Gleichstellung voranzubringen. Insbesondere im Forschungsrahmenprogramm sei ein Gleichstellungsplan seit dem Sommer 2022 Fördervoraussetzung.

Marx sagte dazu, dass zwar der Frauenanteil bei den Professuren über die letzten Jahre von 12 auf 27 Prozent gestiegen sei; der Anteil sei aber immer noch zu gering, was sich konkret zeige, wenn etwa Bewertungs- oder Auswahlkommissionen paritätisch besetzt sein müssten: das führe zwangsläufig zu einer deutlich höheren Belastung weiblicher Professoren.

Neumann beschrieb den mühsamen Weg, sich in der Kunst- und Kulturszene mit ihrer ungewöhnlichen Geschäftsidee zu etablieren: Kunstberatung aus Vorpommern, etwa für Investoren. Neben Hartnäckigkeit brauche man zuweilen auch Humor, selbst wenn einem eher nach Weinen zumute sei.

Alle legten aber Wert darauf, dass es nicht um Konfrontation mit Jungs und Männern gehe. Frauen helfe es nicht, „wie Männer“ zu sein, etwa bei Vorstellungsgesprächen. Aber was sei „wie Frauen“? Mit Schubladendenken komme man jedenfalls nicht weiter. Das Ziel müsse eine Welt sein, in der niemand mehr Angst haben müsse. Dazu gehöre auch eine „inklusive Kommunikation“ (wobei es durchaus unterschiedliche Auffassungen gab, wie eine „gendergerechte“ Sprache aussehen sollte) und „aktive Fehlerkultur“, etwa bei privaten Konflikten über die Aufgabenverteilung in Haushalt und Familie.

Am Ende lautete die Botschaft an die Frauen: Seid ihr selbst und steht dazu!

Wer mehr starke Frauen aus Mecklenburg-Vorpommern kennenlernen möchte, dem sei ein Film empfohlen, den Sylvia Völzer und Alexander Mannewitz, beide in der Landesvertretung in Brüssel tätig, gestaltet haben: https://youtu.be/ZbWqsM4eqE8

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