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Eine zweite Chance für Bart De Wever

© N-VA

Von Michael Stabenow

Es hatte sich schon in den vergangenen Tagen angedeutet: Bart De Wever erhält eine weitere Chance zur Bildung einer Koalitionsregierung in Belgien. Ein erster Anlauf hin zu einer sogenannten Arizona-Koalition aus seiner Neu-Flämischen Allianz (N-VA), den flämischen Christlichen Demokraten (CD&V) und Sozialiten (Vooruit), der zentristischen Partei „Les Engagés“ sowie der rechtsliberalen, ebenfalls frankophonen Partei MR war – zumindest vordergründig – am Streit um eine Gewinnsteuer auf Wertpapierverkäufe gescheitert.

Unter „Les Engagés“-Parteichef Maxime Prévot als königlichem Vermittler war es gelungen, die Gemüter wieder zu beruhigen. König Philippe betraute De Wever daher am Montag abermals mit der Regierungsbildung. Einen Zwischenbericht soll er dem Staatsoberhaupt am 23. September vorlegen. Schon jetzt ist jedoch absehbar, dass sich die gewiss weiter kniffligen Koalitionsverhandlungen über den Termin der Kommunalwahlen am 13. Oktober hinziehen werden. Dabei hatte die Europäische Kommission Belgien eine Frist bis zum 20 September gesetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte Klarheit über eine Entlastung des Staatshaushalts in einer Größenordnung von mindestens 23 Milliarden Euro in den kommenden Jahren herrschen.

Prévot sprach am Montag von einem „Erfolg“ seiner Mission. Alle fünf Parteien seien entschlossen, umfangreiche Reformen zu verwirklichen, die Belgien in die Lage versetzen sollten, Wohlstand und Wohlfahrt der Bevölkerung sowie der Wirtschaft des Landes zu sichern. Als Sündenbock für das Scheitern der Regierungsbildung beim ersten Anlauf De Wevers war – insbesondere in Flandern – MR-Parteichef Georges-Louis Bouchez ausgemacht worden. Er hatte seine Ablehnung der von De Wever erarbeiteten Kompromissvorschläge nicht nur mit der geplanten sogenannten Reichensteuer, sondern auch mit den ins Auge gefassten Mehrwertsteuererhöhungen auf Grundnahrungsmittel begründet.

Als weitere Einzelheiten der geplanten Eingriffe – nicht zuletzt Kürzungen beim Arbeitslosengeld, Renten, der Staatsbahn SNCB/NMBS sowie der Wissenschafts- und Entwicklungshilfepolitik  – an die Öffentlichkeit drangen, gerieten die flämischen Sozialisten in Erklärungsnot. Scharfe Kritik kam insbesondere vom sozialistischen Gewerkschaftsbund FGTB/ABVV. Die Vorsitzende Miranda Ulens nannte die Pläne „asozial“. Sie liefen darauf hinaus, die sozialen Errungenschaften des Landes der vergangenen acht Jahrzehnte zu opfern.

Dass jetzt offenbar die heiklen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Themen in den Verhandlungen auf die Zeit nach den Kommunalwahlen verschoben werden sollen, bietet zwar keine Garantie für ihren Erfolg. Vooruit-Parteichef Conner Rousseau könnte jedoch mit der Zusicherung in den Wahlkampf ziehen, dass noch nichts entschieden sei und seine Partei in den Verhandlungen darauf pochen werde, dass das neue Kabinett nicht allzu sehr auf einen Rechtskurs einschwenke.

Ob sich eine entsprechende Strategie auszahlt, dürfte sich erst am Wahltag erweisen. De Wever, der nach dem Scheitern der Verhandlungen von der für ihn „größten Enttäuschung“ gesprochen hatte, kann sich jetzt zunächst auf andere Themen konzentrieren, die weniger politischen Sprengstoff bergen. So haben die Sozialisten bereits zu erkennen gegeben, eine deutliche Verschärfung der Asyl- und Zuwanderungspolitik mitzutragen. Auch in der Energiepolitik und beim Thema der inneren Sicherheit scheinen die Gräben zwischen den fünf Parteien nicht unüberwindbar zu sein.

Was schon seit Tagen für den nun erteilten zweiten Auftrag an De Wever gesprochen hatte, war die Tatsache, dass derzeit keine andere Option als die Arizona-Koalition realistisch erscheint. Weder die bei den Parlamentswahlen im Juni abgestraften flämischen Liberalen (Open VLD) noch die durch die langen Jahre an der Macht ebenfalls zerschlissen anmutenden französischsprachigen Sozialisten (PS) scheinen dafür in Frage zu kommen.

Selbst der umtriebige MR-Parteichef Georges-Louis Bouchez hatte zuletzt keinen Zweifel an den Plänen für eine Arizona-Koalition unter einem Premierminister De Wever gelassen. Das bedeutet freilich nicht, dass der zu Überraschungen neigende wallonische Politiker nicht abermals für Stunk bei den Verhandlungen sorgen könnte. Derzeit scheint er nach dem spektakulären Erfolg seiner Partei bei der jüngsten Parlamentswahl vor allem damit beschäftigt zu sein, bei den Kommunalwahlen nachzulegen.

Dass seine Partei das Zugriffsrecht auf den Posten des belgischen EU-Kommissars hat, rückte dabei offenbar für Bouchez in den Hintergrund. Die von EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen bis Ende vergangener Woche gesetzte Frist, ließ Bouchez – und damit Belgien – als einziges EU-Land verstreichen. So wurde noch nach am Montag weiter darüber gerätselt, ob es zu einer zweiten Amtszeit für Didier Reynders kommt oder eine erste für Außenministerin Hadja Lahbib kommen wird.

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