
Von Heide Newson
Ich wollte mal kurz raus aus meinem Brüsseler Alltag, einfach abtauchen, mal alles stehen und liegen lassen, mir eine frische Prise (belgische) Nordseeluft um die Nase wehen lassen und viel frische Seeluft „tanken“. Gesagt getan. An einem Dienstagmorgen lasse ich alles liegen und stehen, werfe meine Surfschuhe und ein wenig Sonnencreme in meinen kleinen Beutel, und dann nix wie los…. Und da ich wie viele Belgier deren Küste liebe, und Blankenberge ihr besonders beliebter Badeort ist, entscheide ich mich zunächst dafür.
„Du willst dich wirklich in die Höhle der Löwen begeben? Blankenberge platzt gegenwärtig aus allen Nähten, die Züge sind überfüllt, die Küste proppenvoll, zum Entspannen ist das während der belgischen Schulferien wirklich nichts,“ sagte meine langjährige belgische Freundin Geneviève. Und dann fügte sie hinzu: „Warum machen wir uns nicht einen schönen Tag in Brüssel?“
Aber ich sehnte mich nach einem Tag am Strand, nach maritimem Flair, um genauer zu sein, nach der belgischen Nordseeküste mit all ihren Ecken und Kanten. Ich nahm den Zug nach Blankenberge am Zentralbahnhof um 11.41 Uhr, bewusst so spät, um vielleicht einen Sitzplatz zu ergattern. Und ich wurde nicht enttäuscht. Der angeblich volle Zug war erstaunlich leer. In Blankenberge erwartete mich ein strahlend blauer Himmel, viel Sonne und ein Badeort für Familien mit Kindern wie aus dem Bilderbuch. Die Kids flitzten auf der breiten Promenade mit bunten Fahrzeugen, Tret-und Elektroautos, Dreirädern, Ketcars und Rollern hin und her.
In den unendlich vielen Lokalen wurde bereits geschlemmt. Überall roch es nach Miesmuscheln mit Fritten, Garnelenkroketten, nach frischem Fisch, während das Riesenrad non-stop große und kleine Urlauber in die Höhe schaukelte. Hier sei richtig was los, mit einem Megablick über die Nordsee bis hin zu den benachbarten Küstenorten, schwärmten einige Urlauber. Und schon dröhnten mir Musik, Kinderlärm und andere Geräusche entgegen, die mich sonst eigentlich nicht stören. Aber heute wollte ich fernab vom Trubel nur das Rauschen des Meeres hören.
Gut, dass es an Belgiens Nordseeküste jede Menge Küstenorte, einen etwa 65 Kilometer langen Strand und eine Straßenbahn gibt, die den ganzen Tag die Küste entlangrattert und wunderschöne Badeorte miteinander verbindet. Weit wollte ich nicht fahren, da ich ja einen langen Strandspaziergang eingeplant hatte. Mit der Straßenbahn steuerte ich Wenduine an, einen charmanten Badeort , der zur Gemeinde De Haan gehört und als Prinzessin der belgischen Badeorte bezeichnet wird.
WENDUINE, DIE PRINZESSIN DER BELGISCHEN BADEORTE
Nach ein paar Stopps erreichte ich die tatsächlich etwas verträumte „Prinzessin“, und da ich diesen Badeort so gar nicht kannte, begab ich mich sofort zum Informationsbüro. Eine nette Dame gab mir Auskunft über den Charakter und die entspannte Atmosphäre dieses kleinen Ortes, der sich für mich als ein einzigartiges Juwel entpuppte. Wenduine sei bekannt für seinen breiten und weitläufigen Sandstrand, der sich über viele Kilometer erstrecke. Der Ort sei zwar aktuell sehr gut besucht, aber selbst in der Hochsaison biete der Strand ausreichend Platz für Urlauber, die ihre Ruhe suchten. Ganz entspannt könne man bis nach De Haan laufen.
Nur auf eines, sagte mahnend meine Gesprächspartnerin, solle ich achten, nämlich die Petermännchen. Seit April hätten sie in der Nordsee die Plage mit dem bis zu 40 Zentimeter langen Fisch, der Giftstacheln besitzt, sich gerne im flachen Wasser im Sand vergräbt, und für Badende sowie Spaziergänger zur gleichermaßen giftigen wie Schmerzen verursachenden „Tretmine“ werden kann. Einige unangenehme Begegnungen mit diesen Nordseebewohnern habe es schon gegeben.
Am Strand, der aus feinstem Puderzucker zu bestehen scheint, zog ich schnell meine Surfschuhe an. Meine Begleiter als ich zum Meer lief…. ein starker Wind, ein blauer Himmel und eine rauhe Nordsee mit schäumenden Wellen, soweit das Auge reichte. Im Gegensatz zu einigen anderen Küstenstädten, die von Hochhäusern geprägt sind, hat Wenduine seinen Charme der Belle Epoque sehr authentisch bewahrt. Die umliegenden Dünen und Wälder werde ich beim nächsten Mal erkunden, dachte ich, während ich durchs kühle Wasser der Nordsee über weiße recht große Quallen stapfte und auch ein totes Petermännchen entdeckte. Ich kam mit Kitesurfern ins Gespräch, die die Zeichen das Winds zu deuten wussten, denn der Wind ist der Schlüssel, um die besten Wellen zu finden. Ich bestaunte ihre Ausrüstung, den Schirm, der mir wie ein großer komplizierter lenkbarer Drachen vorkam. In der Ferne flogen Surfer und Kitesurfer bei dem starken Wind geradezu übers Wasser. Nichts für mich, dachte ich und setzte meinen Spaziergang im kühlen Nass nach De Haan fort.
DE HAAN MIT DEUTSCHEN URAUBERN
De Haan bietet das ganze typische belgische Programm. Puderzuckerstrand, kulinarische Verwöhnungsmomente am Meer und unendlich viele Urlauber, darunter viele deutsche. In der Strandbar „bum bum“ ließ ich mich nach meinem etwa sechs Kilometer langen Wasserstapfen-Lauf vom „Winde verweht“ an einem bereits belegten Tisch häuslich nieder. Ich glaubte mich an einem deutschen Badeort zu befinden, da mir von allen Seiten Deutsch entgegentönte. Auch meine Tischnachbarn waren Deutsche, Jan aus Trier, seine Freundin aus Koblenz. Ganz toll sei es hier, mit dem Wohnmobil seien sie auf dem Campingplatz. Unsere Gespräche sprudelten mit Wein, Sekt, Aperol und anderen Köstlichkeiten um die Wette. Da es hier so lustig „deutsch“ zuging, blieb ich in der Strandbar viel länger als geplant.
FLANIEREN AUF DER PROMENADE
Flanieren auf der Promenade, Shoppen, einfach Verweilen – all dies bereitet in De Haan ein besonderes Vergnügen. Die Architektur mit dem Flair der Belle Epoque ist wirklich einzigartig. Kein Wunder, dass Albert Einstein hier lebte und nach einer Vortragsreise in den Vereinigten Staaten im Jahr 1933 nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte, wo mittlerweile die Nationalsozialisten die Macht übernommen hatten. Auf Einladung des belgischen Königpaares lebte Einstein mit seiner Ehefrau sechs Monate lang in De Haan, bevor beide im September 1933 endgültig in die Vereinigten Staaten emigrierte. Auch der aus dem nicht weit entfernten Ostende stammende Maler James Ensor wurde in den 1930er Jahren häufig in De Haan gesichtet.
Ich dagegen treffe in einem Restaurant auf deutschsprachige Belgier, mit denen ich gleich die Adresse austausche. Wir melden uns, sagten sie zum Abschied und wünschten mir eine gute Rückfahrt nach Brüssel. Und diese verlief so reibungslos wie sie am Morgen begonnen hatte. Zufrieden, gelöst, erholt und voller Sand in der Kleidung kehrte ich nach meinem entspannten Tagestrip von der belgischen Küste nach Brüssel zurück.







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