Panorama, Sport

Billardspielen verbindet sich weltweit mit Belgien

Von Thomas A. Friedrich

Neben Radrennen und – natürlich – Fußball gibt es in Belgien eine weitere Sportart, die beiderseits der Sprachgrenze die Herzen höherschlagen lässt: Billard. Am vergangenen Wochenende richteten sich viele Blicke in Flandern und Wallonien wieder auf das niederrheinische Viersen. Dort wird seit 1990 alljährlich die Billard-Weltmeisterschaft ausgetragen. Die Bedeutung des Spiels über die Banden reicht aus belgischer Sicht freilich weit über das sportliche Geschehen hinaus.

So sehr sportliche Größen wie einst Raymond Ceulemans und heute Eddy Merckx, ein Namensvetter der Radsportlegende, für Schlagzeilen sorgen – es sind auch Belgier wie der Chemiker Leo Baekeland und die wallonischen Unternehmen Simoinis und Saluc, die dem Land im Billardsport Weltgeltung verschafft haben. So gehen die weltweit verwendeten Billardkugeln aus Bakelit auf die Erfindung Baekelands zurück. Bis 1912 bestanden nahezu alle Kugeln aus wertvollem Elfenbein. 

Auch beim Wettkampf im Dreiband für Nationalmannschaften, ausgerichtet von der Union Mondial de Billard (UMB) und der Deutschen Billard Union (DBU) stießen die weltbesten Queue-Künstler aus vier Kontinenten beim Kampf um den WM-Titel in Viersen auf drei Kugeln in den Farben weiß, gelb und rot aus belgischer Produktion.  

Ball, Queue und Billard-Tischtuch aus belgischer Produktion 

Nach untauglichen Versuchen der Fertigung von Spielkugeln aus einer Mischung aus Holzschliff und Knochenmehl setzte sich als bestes Material das US-Patent des Belgiers Baekeland durch. Der am besten geeignete Ersatzstoff für das in Verruf geratene Elfenbein besteht aus synthetischen Polymeren, dem Phenolformaldehydharz, kurz auch Phenoplast genannt.  Die 1923 gegründete chemische Fabrik Saluc in dem in der Provinz Hennegau nahe der Grenze zu Frankreich gelegenen Callenelle ist Weltmarkführerin bei der Herstellung von Billardkugeln mit einem Marktanteil von 80 Prozent.  

Seit 1950 konzentrierte sich der langjährige Zulieferer von Gerbereien ganz auf die Produktion von Billardkugeln. Unter dem Markennamen “Aramith werden die Kugeln in weit über 100 Länder geliefert. Alle bedeutenden Meisterschaften in den Disziplinen Pool, Snooker sowie Karambolage werden nahezu ausschließlich mit Aramith-Kugeln ausgetragen. 

Der Erfolg der Firma Saluc basiert auf den nunmehr fast hundertjährigen Erfahrungen der chemischen Anlagen zur Herstellung von Phenol-Harzen. „Die hervorragende chemische und physikalische Zusammensetzung des speziellen Aramith-Phenolharzes ist bis heute ein streng gehütetes Geheimnis, das nur an wenige Mitarbeiter weitergegeben wird. Dazu gehört auch die Oberflächen-Produktion, die entscheidend ist für die Kratzfestigkeit und Haltbarkeit der Kugeln. Die einzigartige Oberflächenstruktur ist bis zu hundertmal feiner als mineralgefülltes Polyester. Daher können Aramith-Kugeln bei normalem Spielgebrauch mehrere Jahrzehnte benutzt werden“. So lautet die Beschreibung der Kugel-Spezifikationen auf der firmeneigenen Website.

Chinesische Nachahmerprodukte haben der Qualität „Made in Belgium“ bisher nichts entgegenzusetzen. Um die professionellen Anforderungen des Billardsports zu erfüllen, vollzieht sich der Fertigungsprozess einer Kugel über mehrere Wochen und sorgt für eine hohe gleichmäßige Qualität in Dichte, Ausgewogenheit, Durchmessertoleranz, Rundheit, Farbpräzision, Oberflächenpolitur und Brillanz.  

Saluc entwickelte 1997 einen viel beachteten Designer-Billardtisch unter der Bezeichnung „Fusion Dining Table“. Darauf wurde der belgische Billardtuchhersteller Iwan Simonis aufmerksam und übernahm Saluc im Mai 2012. So fungiert das fusionierte Unternehmen heute als „global player“ rund um Billardsportartikel wie Kugeln, Queues, Spieltische und eine breite Palette an Zubehör. 

Billard begeisterte über Jahrzehnte die Belgier stärker als Fußball

Nicht nur die außergewöhnliche Infrastruktur der Produktionsstätten rund um die Billardkugel, sondern vor allem die Begeisterung in der belgischen Bevölkerung ließ Billard für lange Zeit zum Volkssport und zur Freizeitbeschäftigung Nummer eins aufsteigen.  Noch vor 25 Jahren stand in jeder zweiten Brasserie oder jedem zweiten Café zwischen Blankenberge und Lüttich ganz selbstverständlich ein Billardtisch – inzwischen leider zunehmend verdrängt durch elektronische Spielautomaten.  

Belgien hat im Billard eine lange Tradition und gehört zur europäischen Avantgarde. Nur drei Jahre nach der Gründung des französischen Nationalverbandes für Billardsport, der Fédération Française de Billard (FFB), konstituierte sich im 1906 der Koninklijke Belgische Biljartbond (KBBB)/ Fédération Royale Belge de Billard (FRBB).  

Der Königliche Belgische Karambolage-Dachverband richtet seit 1927/28 die belgische Dreiband-Meisterschaft aus. Sie findet seit 1998 regelmäßig in Blankenberge statt. In der Erfolgsbilanz ragt als Erster Gustave van Belle (1889-1969) aus Gent heraus. Er war als belgischer Karambolagespieler mehrfach Welt- und Europameister im  Cadre-Spiel. Eine lebende Legende ist der heute 85 Jahre alte Raymond Ceulemans, der 33 WM-Titel gewann. 

Der belgische Billardstar der Gegenwart heißt…Eddy Merckx  

Der belgische Radprofi Eddy Merckx war mit seinem ersten Gewinn des Giro d´Italia im Jahre 1968 Namensgeber für den im gleichen Jahr geborenen späteren Billard-Champion. Der heute 54-jährige Eddy Merckx II. wird, wie sein als „Der Kannibale“ berühmt gewordener radelnder Namensvetter in der Sportpresse als zielstrebiger, ja sogar “rücksichtsloser Siegertyp” bezeichnet. Der Billardspieler Merckx trug in 13 Weltcupspielen 12 Siege für Belgien nach Hause.   

Gold beim „Wimbledon des Billards, wie der WM-Austragungsort Viersen heute apostrophiert wird, holte Merckx 2012 und 2013. Vorausgegangen waren Gewinne im Dreiband-Weltcup in den Jahren 2005, 2009 und 2011 sowie die Dreiband-Europameisterschaft im Einzel in 2007 sowie mit der Mannschafts in den Jahren 2010 und 2019.

Den jüngsten Sieg errang Merckx 2022 in Vietnam. Dort bezwang er im Finale den Italiener Marco Zanetti mit 50:42 in 23 Aufnahmen und sicherte sich so den 12. Weltcupsieg. Damit kletterte Merckx auf den vierten Platz der Weltrangliste hinter dem führenden Niederländer Dick Jaspers, dem Italiener Marco Zanetti und dem Vietnamesen Quyet Chien Tran. Zu erwähnen ist, dass Eddy Merckx II. natürlich auch neun Mal die belgischen Billardmeisterschaften gewonnen hat.  

Weltmeister in Viersen 2023 zum dritten Mal in Folge: die Türkei

Bleiben noch – für alle Zeitgenossen, die bisher den Billiardsport weniger intensiv verfolgen – die Ergebnisse der jüngsten WM nachzutragen. In Viersen vertraten Peter De Backer und Wesley De Jaeger die belgischen Nationalfarben. Aber ebenso wie das Team Deutschland mit Martin Horn und Cengiz Karaca erreichte Belgien nicht das Viertelfinale. Stattdessen konnte sich nach 2021 und 2022 erneut das türkische Duo durchsetzen. Semih Sayginer und Einzel-Weltmeister Tayfun Tasdemir gewannen zum dritten Mal in Folge den Titel. Im Finale besiegten sie die Vertretung aus Schweden, die Niederlande und Spanien teilten sich den dritten Platz. Mehr Informationen und Bilder: https://billard1.net/dreiband-team-wm-viersen-2023/

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