Es ist fast unmöglich, Zugang zu einem Land zu gewinnen, wenn man seine Geschichte nicht kennt. Das trifft auch auf Belgien zu. Seit der Ersterwähnung durch Gaius Julius Cäsar im Jahr 54 v.Chr. hat die Gegend des heutigen Belgien ständig den Besitzer gewechselt. Und auch nach der Staatsgründung im Jahr 1831 kam es nicht wirklich zur Ruhe. Das hat auch seine Einwohner geprägt, die einerseits bemerkenswert flexibel und pragmatisch, andererseits ziemlich widerborstig sind.
„Ganz Gallien ist in drei Teile aufgeteilt“, notiert Cäsar in sein Kriegstagebuch „De bello gallico“, als er in die Gegend des heutigen Belgien einmarschiert. Und er rühmt den Charakter eines der drei Stämme, die dort leben: „Die Belgen sind von allen die tapfersten.“ Dennoch werden sie von Cäsars Truppen überrollt. Die Römer halten sich bis Anfang des 5. Jahrhunderts in der Provinz Gallica Belgica (später Gallica Secunda genannt). Dann bricht das Imperium zusammen und in Tournai wird Merowech geboren, der legendäre Stammvater des Frankenreichs.
Das Frankenreich breitet sich schnell aus und erreicht seine größte Ausdehnung unter Karl dem Großen, der in Herstal bei Lüttich das Licht der Welt erblickt haben soll. Nach der Teilung seines Reichs durch den Vertrag von Verdun (843) fällt das Gebiet rechts der Schelde ans Ostfrankenreich (das spätere Deutschland) und das linksscheldische Gebiet ans Westfrankenreich (das spätere Frankreich). In Brügge residieren im 10. Jahrhundert starke flandrischen Grafen, die zwar Frankreich lehnspflichtig, aber weitgehend unabhängig vom Mutterland sind. Im 14. Jahrhundert heiratet Philipp der Kühne, Bruder des französischen Königs und Herzog von Burgund, die flandrische Grafentochter Margarete. Unter den vier burgundischen Herzögen erlebt „Belgien“ eine Zeit des Friedens und der kulturellen Blüte.
Das „Burgundische Zwischenreich“ endet 1477, als Karl der Kühne bei Nancy fällt und seine einzige Tochter Maria von Burgund den Habsburger Maximilian von Österreich heiratet. „Belgien“ wird ein Teil des riesigen spanischen Habsburgerreichs, dessen Herrscher ab 1515 Karl V. ist, ein Enkel Marias und Maximilians, der in Spanien residiert. Die Habsburger sind katholisch, in der „Niederlande“ genannten reichen Provinz aber macht sich der Protestantismus breit. Philipp II., Karls Sohn, schickt Ende des 16. Jahrhunderts seinen Feldherrn Alba in den aufständischen Norden. Das heutige Holland weiß den Spaniern zu widerstehen. Das heutige Belgien fällt an die Spanier zurück.
Die Holländer riegeln die Schelde für die Schifffahrt ab, die protestantischen Gelehrten, Künstler und Kaufleute verlassen „Belgien“ und die Provinz versinkt in Lethargie. 1714 geht die Region an die österreichische Habsburgerlinie über. Unter Kaiserin Maria-Theresia blühte sie zaghaft wieder auf.
Aber 1792 marschiert Napoleon ins Land ein. 1815 wird er bei Waterloo südlich von Brüssel vernichtend geschlagen. Noch im gleichen Jahr beschließt der Wiener Kongress die Zusammenlegung der nördlichen mit den herrenlosen südlichen Niederlanden.
Aber auch dem Königreich der Vereinigten Niederlande soll kein langes Leben beschieden sein. Der katholische, zur Hälfte französischsprachige Süden kann sich mit der autoritären Politik des protestantischen Königs Willem I. von Oranien nicht abfinden.
Am 25. August 1830 bricht in Brüssel ein Aufstand aus und Belgien erklärt seine Unabhängigkeit. Holland gibt den ungeliebten Süden, mit dem es im Grunde wenig anfangen kann, schnell auf. Am 4. November finden sich auch die europäischen Großmächte während der Londoner Konferenz mit der zweiten Spaltung der Niederlande ab. Belgien ist geboren.
Von Marion Schmitz-Reiners
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