Von Rainer Lütkehus
Die 27 EU-Energieministerinnen und –minister haben sich auf ihrer Sondersitzung am 9. September in Brüssel zur Energiepreiskrise nicht auf den Vorschlag Belgiens einigen können. Die belgische Regierung fordert seit Monaten eine Preisdeckelung für sämtliche Erdgasimporte in die EU als Hauptlösung gegen die Energiepreiskrise. Die EU-Kommission hatte zwar einen Preisdeckel vorgeschlagen, aber nur einen für aus Russland importiertes Erdgas.
Dieser Vorschlag scheiterte am Widerstand Ungarns, das sehr abhängig von russischem Erdgas ist und sogar mit Gazprom für September und Oktober noch zusätzliche Lieferungen vereinbart hatte. Auch Österreich wollte dem Vorschlag der Kommission wegen seiner Abhängigkeit von russischem Gas nicht zustimmen. Ein solcher Schritt würde zu einem sofortigen Stopp russischer Lieferungen führen, so die Befürchtung dieser beiden Länder. Für Deutschland, das zurzeit – angeblich aus technischen Gründen – überhaupt kein russisches Gas über die Gaspipeline Nord Stream 1 mehr bekommt, ist das kein so akutes Problem, denn seine Untergrundspeicher sind zu rund 84 Prozent gefüllt und es kann damit weniger beschadet durch den kommenden Winter kommen. Das, gilt übrigens auch für Belgien, das schon vor dem Ukraine-Krieg kaum russisches Erdgas bezogen hatte.
Nun soll die EU-Kommission sich aber doch mit Forderung der belgischen Regierung befassen, der sich insbesondere die italienische und die luxemburgische Regierung angeschlossen haben. Die EU-Behörde hat von den Energieministerinnen und –ministern den Auftrag erhalten, an einem Preisdeckel für sämtliche Erdgasimporte zu arbeiten, solche von Flüssigerdgas (LNG) aus Übersee eingeschlossen.
Für Belgien mit seinem LNG-Terminal in Zeebrügge ist es unannehmbar, dass LNG den europäischen Importeuren teurer angeboten wird als den asiatischen. Ein Preisdeckel für alle Gasimporte sei wichtig, um die Gas- und Strompreise im Zaume zu halten, so die grüne Energieministerin Tinne Van der Straeten: „Es muss jetzt schnell gehen. Der Ball liegt bei der Kommission. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren, denn der Winter und das kalte Wetter stehen vor der Tür.“
Auf keinen Fall wird die EU-Kommission schon am kommenden Dienstag, wenn sie gesetzliche Sofortmaßnahmen gegen die Energiepreiskrise präsentiert, einen Vorschlag für einen Gaspreisdeckel für sämtliche Gasimporte in die EU vorweisen können. „Geben Sie uns und der Kommission etwas Zeit”, hatte der tschechische Industrieminister Jozef Síkela, der den Vorsitz des Sonderenergieministerrats innehatte, nach der Sitzung gesagt.
Zu erwarten sind von der EU-Kommission am 13. September vier konkrete Sofortmaßnahmen, die auch von der belgischen Regierung befürwortet werden. Dabei handelt es sich erstens um ein verbindliches Ziel für die Verringerung des Stromverbrauchs zu Spitzenzeiten, zweitens um eine Erlösobergrenze für Unternehmen, die derzeit Strom zu niedrigeren Kosten produzieren als Gaskraftwerke (die zurzeit den EU-weiten Strompreis an der Strombörse bestimmen), etwa Windkraft-, Atomkraft- Kohlekraftwerke, drittens um einen Krisensolidaritätsbeitrag für Öl- und Gasunternehmen und viertens um Liquiditätshilfen für Energieversorger, die zurzeit auf den Gas- und Stromterminmärkten enorme finanzielle Schwierigkeiten haben, ihre Lieferverträge zu erfüllen.
Laut Experten droht dem Energiehandel in Europa der Kollaps. Insgesamt müssten die Energiehändler Nachschuss-Forderungen von über 1,5 Billionen Euro erfüllen. Das Problem konzentriere sich nicht auf dem physischen Markt, sondern auf den Derivatehandel, wo die Energieversorger ihre physischen Verträge absicherten. Das macht sie anfällig, wenn die dortigen Preise sich stark bewegen und ihre Positionen in die Verlustzone geraten, wie es zurzeit der Fall ist und was noch nie vorgekommen ist, seit es den gemeinsamen Energiebinnenmarkt gibt.
Nachschussforderungen der Broker, der Banken oder der Börsen zwingen die Versorger, zusätzliche Barmittel („Margin Calls“) als Sicherheit zu stellen. Und die letzte Woche von der europäischen Zentralbank (EZB) beschlossene Erhöhung des Leitzinses auf 1,25 Prozent macht es den Energieversorgern noch teurer.
Auch das Liquiditätsproblem an den europäischen Energiebörsen kann nur europäisch gelöst werden, wie eben eine Preisobergrenze für Erdgasimporte in die EU, für die Belgien so vehement eintritt. Eine Preisobergrenze für Erdgas könnte auch die Lage auf dem angespannten Strommarkt mildern, wo zurzeit der Gas- den Strompreis bestimmt.
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