Mehr als 50 belgische Künstler und Akteure setzen sich mit der Sinnkrise des Landes auf ihre Art auseinander. Für ihre Exponate fanden sie in der Brüsseler Gemeinde Jette einen symbolträchtigen Ort, eine Fabrikhalle. Bis zum 8. Dezember kann man die Kunstwerke dort besichtigen. Und dann wird groß gefeiert!
Bloß kein Foto, kein Aufhebens um seine Person! Er bleibt am liebsten anonym im Hintergrund. Dabei war es wieder mal Paul Gonze, der die Idee für die Aktion .be-day hatte. Zwei Monate vor dem belgischen Gedenktag zum Waffenstillstand, am 11. November, trommelte er seine Leute zusammen, ein Netzwerk aus mehr als 50 Künstlern und Kreativen. Das Thema drängte sich dieses Mal geradezu auf: die belgische Regierungskrise, das gestörte Verhältnis zwischen Flamen und Wallonen, die bedrohte Einheit des Landes.
Auf der Suche nach einem geeigneten Ausstellungsraum wurden die Künstler in der Brüsseler Commune Jette fündig. Eine ausgediente Fabrikhalle in der Chaussee de Wemmel 99 bot riesig Platz und ist nun, bis sie demnächst abgerissen wird, das „Belgicarium“, eine Art „belgisches Laboratorium für kreative Gemischtwaren“ oder „Labor für vermischte Kreativität“. Es befindet sich nur unweit des Gemeindehauses von Jette und nahe einer symbolträchtigen Gegend, wie sie sich in Brüssel kein zweites Mal findet. Hier verlaufen parallel und dicht nebeneinander die Rue des Flamands und die Rue des Wallons. Beide führen einträchtig auf den Square des Bruxellois, den Platz der Brüsseler.
Der .be-day, die Eröffnungsfete, wurde ein voller Erfolg. Ein bunter Zug von Musikern, Vaganten und Feuerjongleuren paradierte an den akkuraten Reihenhäusern des Viertels vorbei. Und nicht zu übersehen, im Zug und in den Fenstern, überall die belgischen Landesfarben. Wie bei einem richtigen belgischen Stadtteilfest durften natürlich die Stände mit Fritten, Waffeln und Bier nicht fehlen. Und so mancher Bürger, der noch niemals seine Schritte in eine Kunstgalerie gelenkt hatte, warf einen Blick auf die zahlreichen Exponate in den Hallen der früheren Pfizer-Fabrik. Bis zum 8. Dezember ist die sehenswerte Ausstellung dort noch zu sehen.
„Le Noeud Belge“, der belgische Knoten
Vor dem großen Hallentor empfängt den Besucher eine mannshohe, aus Rohren in Schwarz, Gelb und Rot geformte Skulptur mit der Botschaft „Reunion“. Und Paul Gonze erklärt, die Anspielung auf die deutsche Wiedervereinigung sei durchaus gewollt, denn in den belgischen Farben sei auch das deutsche Schwarz-Rot-Gold unübersehbar.
„Le Noeud Belge“, der belgische Knoten, heißt das Objekt der Künstlergruppe „L‘aurore d’Utopie“ an der Stirnwand im Innern der Halle. Eine Landesfahne von etwa drei mal acht Metern wurde in der Mitte zu einem großen Knoten gewirkt, Symbol für das Politproblem, das die Belgier zurzeit bedrückt.
Die meisten Künstler nähern sich diesem Thema über das Bild der flandrisch-wallonischen Trikolore. Dabei darf Manneken Pis nicht fehlen: In einer Glasvitrine versprüht es sich aus einem Röhrchen in den heraldischen Farben. Pour la patrie oder Ironie? Aus dem gelben Mittelstreifen einer Flagge reckt ein Hirsch stolz sein Geweih. In den Hallen vorgefundener Sperrmüll wurde nach den drei Farben geordnet zu einem mächtigen Quader zusammengeschoben.
Böses Omen? Von einem anderen Drapeau lässt sich der rote Streifen mit einem Reißverschluss vom übrigen Schwarzgelb abtrennen. Drastischer noch: An einer Säule drei Röhren in den typischen Farben, mit Zünddraht, Wecker und Batterie montiert zu einer sinnbildlichen Sprengfalle. Ist Belgien in Gefahr auseinander zu fliegen? Die Ideen der Künstler scheinen nur so zu sprudeln, wenn es darum geht, die akute Misere des Vaterlandes symbolisch zu demonstrieren.
Roter Diwan, schwarze und gelbe Kissen
In einem Nebenraum lädt der rote Lederdiwan von Francois de Coninck so gar nicht recht zum Sitzen ein. Das schwarze Kissen in der einen Ecke, das gelbe in der anderen, sie scheinen sich fast feindselig gegenüber zu sitzen. De Coninck, geboren im afrikanischen Kinshasa, heute 38 und Vater von zwei Kindern, ist vielleicht ein typischer Vertreter der jungen belgischen Kunstszene. Er hat einen Teilzeitjob, eröffnet gerade in Antwerpen, wo er lebt, einen Galerieladen für Exponate, Kunstbücher und -karten, Musik, Schokolade, verfasst Essais über dieses und jenes und macht Kunst, wenn ihm was einfällt.
Er hatte auch die Idee für einen witzigen Aufkleber mit dem Motto: to .be or not to .be, das Internetkürzel .be selbstverständlich gestaltet in Schwarzrotgelb. Ob das ein gutes Geschäft werden könne? Das ist de Coninck ganz gleich. Es war einfach eine gute Idee. Belgien, willst du einig sein? Sein oder nicht sein? Eine Antwort darauf hat auch De Coninck nicht. „Ich möchte, dass Belgien zusammen bleibt. Klar, zusammen leben, zusammen arbeiten und bauen. Aber eine richtige nationale Einheit gibt es nicht. Egal, ich bleibe Belgier.“
Und er ist auch dabei, wenn Paul Gonze wieder eine Idee hat. Im Kulturzentrum von Woluwe-Saint-Lambert, wo Paul als künstlerischer Berater tätig ist, nennen sie ihn nur „l’électron libre“, das ewig quirlige, frei schwebende Elektron. Für die anderen ist er eine Autorität. Immer wieder hat er junge Künstler und Akteure zu Happenings und Aktionen in Brüssel zusammen gebracht. Als beispielsweise das Standbild des Gottfried von Bouillons auf der Place Royale zu Restaurationsarbeiten vom Sockel gehoben werden musste, war Gonze mit der Truppe „Tout“ zur Stelle. An Stelle des martialisch protzenden Haudegens richteten die Künstler zwei Bäume auf: eine Palme als Sinnbild für den Orient, einen Tannenbaum als christliches Weihnachtssymbol, für Brüssel wahrlich ein Zeichen der Versöhnung zwischen den Kulturen.
Heidenspaß
Wer sich einen Heidenspaß machen will, kann sich auf Paul Gonzes Webseite www.toutopia.be“ durch die schier endlosen Bildergalerien der Happenings, Installationen und Aktionen klicken. Doch einfach .be-autiful ist es, sich die Kunstwerke zum .be-Thema im Belgicarium anzusehen. Bis zum 8. Dezember ist dazu noch Zeit. An dem Samstag sollte man sich aber abends ab acht Uhr den großen Abschlussball, die „.be-night“, nicht entgehen lassen. Dort könnte man bei flotter oder verrückter Musik, bei Bier, Wein und Fritten auch mal Paul Gonze und die anderen Kreativen live kennen lernen. „Meine Aufgabe ist es nur“, sagt Paul bescheiden, „Menschen mit ihren Ideen, Träumen und individuellen Interessen zusammenzuführen. Seine Träume muss man leben“. Merci, Paul.
Also: .be there, .be happy.
Bericht und Fotos: Thomas Brandenburg
Bild 1: Selten im Bild, der Macher: Paul Gonze, hier in Landesfarben
Bild 2: Jean-Pierre Bredo: Titel, Blanc Bleu Belge
Bild 3: Deborah Toussaint: Big Bang Bouuum
Bild 4: Wie schön kann Belgien sein: La Belle Ginette
Bild 5: Kreativer Kauz mit Ideen: François de Coninck
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