Geschichte, Wanderungen

Auf den Spuren von und rings um Neutral-Moresnet

Von Michael Stabenow

Wer auf der Autobahn E40 nach Deutschland fährt, lässt diesen Flecken in der Regel meist links liegen. Dabei lohnt sich ein Abstecher nach Kelmis, mit rund 11000 Einwohnern zweitgrößte Gemeinde im deutschsprachigen Ostbelgien. Das „Museum Vieille Montagne“ lässt Besucher in die Geschichte des einst größten Zinkabbaugebiets Europas und des ein Jahrhundert lang bestehenden und über einen Sonderstatus verfügenden Mini-Staat „Neutral-Moresnet“ abtauchen.

Wer Zeit und Muße hat, sollte sich überdies den jenseits der Hauptstraße beginnenden, rund 10 Kilometer langen und überraschend reizvollen Rundwanderweg nicht entgehen lassen. Das in einem zweistöckigen Bau mit Jugendstilelementen untergebrachte Museum war einst das Direktionsgebäude der „Société Anonyme des Mines et des Fonderies de Zinc de la  Vieille Montagne“. Dieser Gesellschaft war im 19. Jahrhundert der Aufschwung des schon seit dem Mittelalter in dieser Region bestehenden Zinkabbaus zu verdanken. Schon 1810 hatte eine neuartige, durch den Lütticher Ingenieur Jean-Jacques Dony entwickelte Methode zur Verdampfung des Erzes Galmei – daher der Ortsname Kelmis – zu Zink die technische Grundlage für die spätere Blütezeit gelegt.

Das Museum wartet mit anschaulichen Erklärungen und Illustrationen zur Ausbeutung und Verwendung der örtlichen Bodenschätze sowie der Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg auf. Es ist aber mehr als nur ein klassisches Bergbaumuseum. Es schildert eindrucksvoll, wie 1816 – ein Jahr nach dem Wiener Kongress – die damaligen Nachbarn Niederlande und Preußen mangels Verständigung über die Grenzziehung in diesem Gebiet mit seinen Zinkerz-Vorkommen zwischen beiden Ländern „Neutral-Moresnet“ ins Leben riefen.

Erst nach dem Ersten Weltkrieg und der Niederlage des Deutschen Reiches kam das Gebiet 1919 endgültig zu Belgien. Es handelte sich um einen gerade mal knapp 3,5 Quadratkilometer großen, mehr als ein Jahrhundert lang  eigenständigen Flecken. Schließlich hatten sich  dort mehr als 3000 Einwohner, aber auch einige Dutzend Gastwirtschaften getummelt. Überdies hatte sich Neutral-Moresnet, wie die Dauerausstellung ebenfalls anschaulich dokumentiert, zu einem regelrechten Schmugglerparadies entwickelt.

Der Publizist David Van Reybrouck, Autor unter anderem des 2012 erschienen und die belgische Kolonialgeschichte kritisch beleuchteten, fast 700 Seiten langen Werks „Congo“, hat 2018 ein – mit rund 60 Seiten – ungleich schmaleres Bändchen unter dem Titel „Zink“ veröffentlicht. Darin gibt er, mit Hilfe der Lebensgeschichte des Düsseldorfer Dienstmädchens Maria Rixen und ihres 1903 in Neutral-Moresnet geborenen uneheliche Sohnes Emil, spannend geschrieben, Einblicke in die besondere Stellung des Gebiets und seiner Bewohner.

In der Ausstellung, ebenso wie in Van Reybroucks Bändchen werden auch die Bestrebungen erwähnt, zu Beginn des 20. Jahrunderts Esperanto als offizielle Sprache in dem  nicht nur von Deutsch-, Niederländisch- und Französischsprachigen besiedelten Flecken   einzuführen. Besonders stark betrieben hatte dies damals der aus den Pyrenäen stammende und in Aachen wohnende Sprachlehrer Gustave Roy.

Van Reybrouck zitiert in seinem Büchlein einen 75 Jahre alten örtlichen Anbieter von Esperanto-Kursen mit folgenden Worten: „Gustave Roy lief damals durch Neutral Moresnet. Esperanto war auch neutral. Letztlich wollte er, sehen Sie, die jeweilige Neutralität miteinander verbinden. Er wollte Esperanto ein Vaterland geben.“

Einige Zeitzeugen der wechselvollen Geschichte des Landstrichs kommen in einem Nebenraum des Museum in Videofilmen zu Wort. Eisenbahnfreunde finden im Museum oberhalb des Eingangsbereichs eine Sammlung mit Erinnerungsstücken – nicht nur aus der Zeit bis 1951, als in Neutral-Moresnet eine eingleisige Bahnstrecke endete.

Die jenseits der Hauptstraße am „Casinoweiher“ beginnende und mit einem grünen Rechteck gezeichnete Rundwanderung „Im Land des Galmeis“ bietet ein überraschend abwechslungsreiches Kontrastprogramm. Schritt für Schritt entfernt man sich aus dem modernen Zeitalter. Zunächst geht es an dem oberhalb des nördlichen Ufers von schmucken Wohnhäusern gesäumten „Casinoweiher“ in den Wald hinein – und hinauf, vorbei an der imposanten und auf das Mittelalter zurückgehenden, seit 2011 aber leider nicht mehr für Besucher zugänglichen Eynenburg.

Nach der Durchquerung des Staatsforsts Hohnbachtal erreicht man den putzigen Weiler Astenet mit dem Schloss Thor. Von dort geht es über Felder und die Außenbezirke von Lontzen wieder in den Wald hinein und durch ein tief eingeschnittenes Tal am Hohnbach entlang zurück zum Ausgangspunkt.

Praktische Informationen

Museum Vieille Montagne, Lütticher Straße 278, 4720 Kelmis, Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 10 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 11.30 bis 17 Uhr. Eintritt 6 Euro, Ermäßigungen für Senioren (5 Euro) und Kinder im Alter von sechs bis 17 Jahren (4 Euro).

David Van Reybrouck, Zink, De Bezige Bij, Amsterdam 2016, 64 Seiten, 13,99 Euro; deutschsprachige Fassung: David Van Reybrouck, Zink, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2017, 86 Seiten, 10 Euro (in Deutschland).

Rundwanderung „Im Land des Galmeis“ (grüne rechteckige Markierung): Knotenpunkte 57, 99, 15, 68, 53, 35, 49, 87, 77, 33, 99, 69, 41, 65, 80, 1, 18, 22, 46, 99, 57.


Fotogalerie

MVM Museum Vieille Montagne Foto Martin Roehn Web
Foto: Martin Roehn
MVM Kelmis_Museum_Wandern_H©Oliver_Raatz_Interreg_EFRE (56) Web
Foto: DTMGR_InterregVA / Oliver Raatz
MVM Geoffrey Coonen (3) Web
Foto: Geoffrey Coonen
MVM Geoffrey Coonen Web
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Foto: Geoffrey Coonen
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Foto: Geoffrey Coonen
MVM SchmugglerHerzlicheGrüsseAusDeutschlandHollandBelgienNeutralGebiet1904 Web
Foto: unbekannt

Die Fotos wurden uns vom Museum Vieille Montagne in Kelmis zwecks Wiedergabe im Rahmen dieses Artikels zur Verfügung gestellt. Die Fotografen sind (von links oben beginnend): Foto 1: Martin Roehn; Foto 2: Oliver Raatz; Foto 3-6: Geoffrey Coonen; Foto 7/Titelfoto: unbekannt.

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