Von Jan Kurlemann
Comedy oder Politisches Kabarett?
Ein verjüngtes Publikum war am 29. Juni 2015 in die “W-Halll”in Brüssel geströmt, um sich Abdelkarim mit “Zwischen Ghetto und Germanen” anzusehen. Zum ersten Mal war der gebürtige Bielefelder, Sohn marokkanischer Eltern,in der belgischen Hauptstadt. War die Veranstaltung ein Bruch mit der Tradition des Brüsseler Politischen Sommerkabaretts, zu dem der Ortsverein Brüssel der SPD in das Kulturzentrum der Gemeinde Woluwe-St-Pierre/Sint-Pieters-Woluwe eingeladen hatte? Oder war es einfach eine Weiterentwicklung des bewährten Formats?
450 Zuschauer füllten den Theatersaal und waren gespannt auf den Kabarettabend.
Für den Künstler war es schwierig, vom Bahnhof zum Kulturzentrum zu kommen, weil das Taxi wegen der neuen Fußgängerzone nicht durch die Innenstadt kam. Abdelkarim kam der Brüsseler Straßenverkehr “sehr islamisch” vor. Als Kompliment war das wohl nicht gedacht.
Vom Klassenclown zum Comedian “mit Migrationsvordergrund”
In der Bielefelder Bronx war Abdelkarim schon als Schüler ein “Frechdachs”, ein Klassenclown, der aus jedem traurigen Ereignis einen Witz zu machen wusste. Neuerdings wohnt er in Duisburg, nach seiner Überzeugung seit zwei Jahren die “Hauptstadt Rumäniens”. Das hat dort zu ganz neuen Sympathien zwischen Türken und Deutschen geführt.
Abdelkarim hatte es schwer in der Hauptschule. Kein Wunder, er konnte kein Türkisch. Auch sonst hatte er eine harte Kindheit. Sein Vater suchte die Kleidung aus: Billigste Schuhe, eine grobe, schmutzfarbene Cordhose, eine Jacke dazu wie die Hose, mit kombinierten Adidas- und Puma-Aufklebern. Dazu der riesige Schulranzen, mit dem man durch keine Tür kam. Doch das Aussehen war dem Jungen “scheißegal”.
Jeden Sommer fuhr die Familie mit dem Auto nach Marokko.
Für “Comedy” konnte der Sohn seinen Vater nicht gewinnen. Das könne man in Marokko nicht brauchen: “Man kann damit nicht angeben”.
Wer wird im Zug kontrolliert?
Der Künstler berichtete von einer mühseligen Zugreise voll enttäuschter Erwartungen: Keine Zivilpolizisten im Zug, die man so leicht an ihren charakteristischen Hemden erkennen kann. Wären schwarze Reisende im Zug gewesen, hätte man sie zuerst kontrolliert, noch vor ihm.
Integration beschäftigt Abdelkarim sehr, und er berichtet davon, wie er sich täglich darum bemüht. So versuchte er vor kurzem an der Supermarktkasse einen älteren Herrn vorzulassen. “Nein danke”, war die Reaktion,”ich will Sie im Auge behalten.”
Ein gelungenes Integrationsbeispiel liefert ihm sein Nachbar Achmed. Er will ihm eine Hausratversicherung vermitteln. Großartig, meint Abdelkarim. “Früher hätte man die Hausratsversicherung wegen Achmed abgeschlossen”.
Der kabarettistische Höhepunkt ist die Geschichte vom NPD-Flyer auf Türkisch, dessen Übersetzung auf Deutsch lautet “Dieser Flyer ist nur für Deutsche”.
Belgien, Deutschland und Fußball
Mit Integration in Belgien ist Abdelkarim nicht vertraut, zum Beispiel im Fußball. Vielleicht so: Im Stadion rechts die Flamen, links die Wallonen und in der Mitte die “Kanaken”.
In Deutschland kommen die Spieler der Nationalmannschaft aus allen möglichen Ländern. Was noch fehlt, ist ein Indianer.
Der “harte” Ali
Abdelkarims Freund Ali ist ganz anders als er. Er will als “Gangster” wahrgenommen werden. Polizisten starrt er an, bis sie den Blick abwenden. Manchmal kommt es zu überraschenden Reaktionen – wie einer Dönerbestellung.
Bei Bewerbungen beim depressiven Personal im Arbeitsamt sind beide Freunde chancenlos. Der Job als Türsteher bleibt für die, die nicht in die Disco hineinkommen.
Zur Zeit tun dem Künstler die Griechen leid. In den Medien und in der öffentlichen Debatte würden sie “fertiggemacht, als ob sie Moslems wären”.
Auf Wiedersehen
Herzlich, aber ohne Zugabe verabschiedet sich Abdelkarim vom Brüsseler Publikum. Sein Auftritt war eine überraschende Erfahrung. Scharfsinnig deckte der Künstler Stereotypen auf, bürstete die Integration gegen den Strich. Die geübten Kabarettfreunde hatten viel von dem Abend, und der jüngere Publikumsteil ebenfalls. Gelacht haben sie alle, auch wenn das Lachen manchmal fast im Halse stecken blieb.
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