Aktuell, Geschichte

Auf mysteriöser Reise aus Altägypten ins äthiopische Hochland

Eine Besprechung des Romans „La fabuleuse épopée d´un peuple oublié“ von Alain Coppejans

Von Michael Stabenow

Haben Sie schon mal die Lust verspürt, sich auf eine literarische Reise aus dem antiken Ägypten ins äthiopische Hochland einzulassen? Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, sind Sie bei der Lektüre des Romans „La fabuleuse epopée d´un peuple oublié“ (Das sagenhafte Heldenepos eines vergessenen Volks) von Alain Coppejans gut aufgehoben. In seinem Erstlingswerk ist es dem belgischen Autor, der lange Jahre Mitarbeiter einer Großbank war, gelungen, historisch mehr oder wenige belegte Fakten mit einer seiner Phantasie entsprungenen, spannenden Erzählung zu verweben.

Ausgangspunkt der vor über 3000 Jahren, im 14. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung, zunächst in Mittelägypten spielenden Handlung ist der Hof des der 18. Dynastie entstammenden Pharaos Echnaton. Er wird vielfach als Begründer des Monotheismus mit dem zum Sonnengott erhobenen Aton angesehen. In seinem Roman lässt Coppejans den offenbar sowohl seiner eigenen Vergänglichkeit sowie der seiner Hauptstadt Achet-Aton bewussten Pharao seinen Neffen Djoser mit Getreuen auf die Reise nach Süden schicken. Der Auftrag lautet, die Glaubenslehre des durch eine goldene Sonnenscheibe symbolisierten Gotts in ein neues Königreich unter der Obhut Djosers zu tragen und zu bewahren.

Jener Djoser ist eine, zweifellos die wichtigste, der vielen erfundenen Gestalten, mit denen Coppejans seine Erzählung ausschmückt. Historisch nachgewiesen ist dagegen, dass es die Henuttaunebu, eine Schwester Echnatons, im Roman die Mutter Djosers, tatsächlich gegeben hat. Erwähnung findet auch Nofretete, Hauptgemahlin des Pharaos, deren heute in den Staatlichen Museen Berlins in Berlin ausgestellte Büste zu den Schmuckstücken altägyptischer Bildhauerkunst zählt.

Spätestens als die im Roman durch Echnaton ausgerichtete Hochzeit seiner – historisch nicht belegten – „Lieblingstochter“ Tétishéri mit Djoser gefeiert wird, lässt der Verfasser die Erzählung fließend von der Realität in die Fiktion übergehen. An der Spitze seiner Getreuen und einer kleinen Flotte mit sechs Schiffen tritt Djoser die Reise an. Das mitgeführte Gold soll dazu beitragen, mögliche Widersacher in Afrika günstig zu stimmen. Wichtigstes Gepäckstück ist jedoch eine in einer Ebenholztruhe unter Verschluss bewahrte Platte aus reinem Gold – 80 Zentimeter lang, 40 Zentimeter sowie drei Zentimeter dick.

Verziert ist sie mit kleinen Darstellungen des dem Sonnengotts huldigenden neuen Königspaars sowie winzigen, Hieroglyphen tragenden Obelisken. Unweigerlich kommt einem der biblische Auszug von Moses aus Ägypten in das Land, in dem Milch und Honig fließen, in den Sinn. Doch führt Djosers Reise nicht nach Kanaan, sondern nach Süden. Echnaton hat ihm folgenden Auftrag mitgegeben: „Djoser, ich möchte, dass Du der Bewahrer meines Werks wirst und den Aton-Kult in Äthiopien verewigst, jenseits des Puntlands (einer Region im heutigen Somalia, Anm. des Verfassers), in einem noch jungfräulichen Gebiet.“

Coppejans geleitet den Leser auf einer langen, oft beschwerlichen Abenteuerreise, die den Tross über das äthiopische Hochland zum großen Tana-See und schließlich zum Endpunkt führt, einem märchenhaften und fruchtbaren Tal unweit des äußersten Oberlaufs des Nils. Herausgekommen ist eine oft spannende Geschichte, geprägt durch Intrigen, grausame Verbrechen, aber auch menschliche Zuneigung und Mitgefühl. Beschrieben wird nicht zuletzt, darin liegt vielleicht eine auf die Gegenwart bezogene Botschaft von Coppejans, eine Gesellschaft, in der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen – hier Ägypter, Amharen und Nubier – zu einem gedeihlichen Miteinander finden können (und müssen).

Auf der Rückseite des Buchumschlags heißt es, die Geschichte der alten Zivilisationen könne nach Ansicht von Coppejans dazu beitragen, „die Herausforderungen unserer modernen Welt besser zu erfassen“. In diesem Sinne könnte auch ein scheinbar beiläufig Echnaton zugeschriebener Satz zu verstehen sein. So lässt der Autor den Pharao die Erwartung äußern, dass die überbrachten, auch überkommenen Traditionen Ägyptens „sich mit anderen Gepflogenheiten verschmelzen werden, um die Herausbildung einer neuen, auf der Liebe gründenden Religion zu ermöglichen“.

Alain Coppejans bedient sich einer klaren, überzogene Emotionen vermeidenden Sprache. Ein kleiner, zwangsläufig dem historischen Umfeld geschuldeter Wermutstropfen ist, dass sich der Leser trotz eines an den Anfang des Buches gestellten, und mehr als 30 Personen umfassenden Registers immer wieder schwertut mit der Fülle oft exotisch anmutender Namen – dem Lesevergnügen tut dies jedoch kaum einen Abbruch.

Alain Coppejans, La fabuleuse épopée d´un peuple oublié, Éditions Baudelaire, Lyon, 2024, 364 Seiten; ISBN 979.10-203-7685-5; 26 Euro

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