Von Marion Schmitz-Reiners.
Warum steht Belgien unter dem Generalverdacht, Terroristen freies Spiel zu lassen? Warum ist in den einst so weltoffenen Niederlanden der Ausländerhasser Geert Wilders so populär? Was sagen die Luxemburger selber zum traditionellen Vorwurf, dass ihr Land das Paradies der Steuerhinterzieher sei? Auf diese und viele andere Fragen gibt das gerade erschienene Buch „Benelux – Porträt einer Region“ von Ute Schürings Antworten.
Wenige Länder an der Grenze Deutschlands sind so wenig bekannt und werden gleichzeitig so oft mit Negativschlagzeilen bedacht wie Belgien, aber auch die Niederlande und gelegentlich Luxemburg. Zusammen bilden sie die Großregion Benelux, gegründet 1947 als erste europäische Wirtschaftsunion. Ihr hat nun Ute Schürings, Dozentin für Niederländische Literatur und Kulturgeschichte und Trainerin für interkulturelle Kommunikation, das Buch „Benelux – Porträt einer Region“ gewidmet. Es beschäftigt sich mit Geschichte, Kultur, Gesellschaft, Wirtschaft und Alltag der Benelux-Staaten und zeichnet ein differenziertes Porträt dreier Länder, die entgegen der Außenwahrnehmung alle einen höchst individuellen Charakter haben.
„Hallo, ich bin Hans.“
Kennzeichnend für den Norden ist seine protestantisch-calvinistische und für den Süden die katholische Prägung. So sind die Niederländer nur zu verstehen, wenn man das calvinistische Postulat der Bescheidenheit kennt, das aber einhergeht mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein, welches sich aus dem „goldenen“ 17. Jahrhundert der Niederlande nährt. Dies kann Deutsche im Umgang mit Niederländern gehörig verwirren. Auch Unternehmensleiter stellen sich gerne, eher leger gekleidet, mit den Worten vor: „Hallo, ich bin Hans und mein Hobby ist Wandern.“ Schließlich sind für Calvinisten alle Menschen gleich, worauf sich auch Geert Wilders bei seinen politischen Kampagnen beruft – alle, ausgenommen natürlich Menschen mit nicht-niederländischen Wurzeln.
Belgien – einer der stabilsten Staaten der Welt
Das Buch zeichnet sich durch scharfe Beobachtungen und treffende Analysen aus. „Im März 2016 erreichten die Welt verstörende Bilder aus Brüssel. … Schnell und einmütig stellt die Presse in ganz Europa – wieder einmal – fest, dass in Belgien chaotische Zustände herrschen. … Oftmals wurde unterstellt, dass Belgien selbst an diesem Terror die Schuld trage.“ Ein Vorwurf, der gegen andere terrorgeplagte Länder so nicht erhoben wurde. Aber in diesen Ländern arbeiten auch nicht so viele Auslandskorrespondenten… Uta Schürings weist darauf hin, dass Belgien laut einer neuen Analyse der US-amerikanischen Denkfabrik Fund for Peace einer der stabilsten Staaten der Welt ist. Es liegt im Ranking (178 Länder) auf Platz 15, gleich hinter Deutschland. Die Kriterien waren unter anderem Justiz, Sicherheit, Pressefreiheit und Korruption.
Die Autorin geht liebevoll auf die belgischen Kunstszene, die Musik, das Filmschaffen ein. Sie erklärt das ausgezeichnete Schul- und Hochschulsystem, erwähnt die sprichwörtliche burgundische Lebensfreude und den engen Familiezusammenhalt. Aber sie benennt auch die Probleme im Zusammenleben von Flamen, Wallonen und Brüsselern und die daraus resultierenden komplizierte Staatsstruktur. Die so weit geht, dass Paul Magnette, Ministerpräsident der winzigen Wallonischen Region, im Oktober 2016 wochenlang die Unterzeichnung des kanadisch-europäischen Handelsabkommens CETA blockieren konnte.
Unkompliziertes multikulturelles Zusammenleben
Dagegen funktioniere das Zusammenleben sehr unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Luxemburg vorbildlich. Obwohl 50 Prozent aller in Luxemburg lebenden Menschen Ausländer sind, meistere das Großherzogtum „die Aufgaben eines souveränen Nationalstaats völlig geräuschlos.“ Und man erfährt auch, dass die drei Landessprachen vollständig gleichberechtigt sind: „Die Bürger können Eingaben auf Luxemburgisch, Französisch oder Deutsch verfassen und erhalten dann in der jeweiligen Sprache Antwort.“ Es sei Belgien ins Stammbuch geschrieben.
Ein Problem des kleinen Luxemburg sei allerdings, dass es „immer nur ein [wirtschaftliches] Standbein hatte: zunächst die Landwirtschaft, dann die Montanindustrie, ab den 1970er Jahren die Finanzdienstleistungen.“ Aber auch das Vorurteil, dass Luxemburg sein Geld vor allem mit „krummen Geschäften“ mache, wird von Ute Schürings korrigiert: Seit Anfang 2015 müssen die 150 in Luxemburg niedergelassenen Banken die Daten ihrer Kunden an deren Heimatländer weiterleiten. Dies sei allerdings noch nicht so richtig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen, was bei den Luxemburgern, die sehr stolz seien auf ihr Land, zu einem „latenten Argwohn gegenüber der Wahrnehmung im Ausland“ führe.
Von der Kunst der Selbstironie
Eine von außen her etwas amorph wirkende Großregion wird im Buch zu einem bunten Kaleidoskop. Jedoch gibt es auch eine Gemeinsamkeit: Niederländer, Belgier und Luxemburger nehmen sich selber nicht immer wirklich ernst. Oder, wie es die luxemburgische Germanistin Germaine Groetzinger stellvertretend für die anderen Länder formuliert: „Wir belächeln ab und zu die deutsche Ernsthaftigkeit und Regelgläubigkeit, dieses Formelle und Unironische. Luxemburger nehmen sich eher auch mal selbst auf den Arm.“
Ute Schürings: „Benelux – Porträt einer Region“, Ch. Links Verlag, Berlin 2016, broschiert, 216 S., 18,00 Euro, ISBN: 978-3-86153-919-3.
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