Die zahlreichen Veranstaltungen, Ausstellungen, Lesungen und Konzerte, die in diesen Monaten in Frankreich, Belgien und Großbritannien zum Gedenken an „La Grande Guerre“ von 1914 – 1918 stattfinden, zeigen deutlich, wie tief sich dieser grausame Krieg in das Gedächtnis und das Geschichtsbewusstsein dieser Völker eingeprägt hat. In Deutschland dagegen steht der 1. Weltkrieg deutlich im Schatten des 2. Weltkriegs und der Nazi-Herrschaft. In Belgien ist die Stadt Ypern in Westflandern zum Symbol für das Grauen und die vielen Toten des 1. Weltkriegs geworden.
So erlebt Ypern in diesem Jahr einen großen Zustrom an Touristen, vor allem auch aus Großbritannien und den Commonwealth-Ländern. Inzwischen ist die Mohnblume Poppy nicht nur auf der Insel, sondern auch in Flandern zum Symbol für die Erinnerung an die Millionen gefallenen Soldaten geworden. Selbst auf den deutschen Soldatenfriedhöfen in Flandern werden die künstlichen roten Poppies niedergelegt. Schließlich wurde das weltberühmte Gedicht „In Flanders fields the poppies blow… „ in einem Schützengraben bei Ypern von dem kanadischen Sanitätsoffizier und Dichter Alexander McCrae verfasst. Dieses Gedicht hat auch dem eindrucksvollen und berührenden Kriegsmuseum „In Flanders Fields“ in Ypern seinen Namen gegeben.
Oft wird vergessen, dass der 1. Weltkrieg nicht nur in Flandern und an der Marne, sondern zuerst auch in anderen Regionen des von deutschen Truppen überfallenen neutralen Belgien tobte und große Opfer unter der Zivilbevölkerung forderte. So stießen in den belgischen Ardennen, also in den dortigen Provinzen Namur und Luxembourg, die deutschen Truppen bei ihrem Vormarsch zur französischen Grenze auf heftigen Widerstand französischer Einheiten, die in erbitterten und auf beiden Seiten verlustreichen Kämpfen nach Frankreich an die Marne zurückgedrängt werden konnten. Dort begann dann ein zermürbender vierjähriger Stellungskrieg (guerre des tranchées). Bei Kriegsbeginn standen sich im August 1914 entlang der belgisch-luxemburgisch-französischen Grenze sechs französische und sieben deutsche Armeen gegenüber.
Im Geschichtsbewusstsein der Bewohner Südbelgiens ist jedoch auch heute noch der „Bewegungskrieg“ (batailles de rencontre) zu Beginn des 1. Weltkriegs sehr gegenwärtig. Bei den dortigen Gefechten wurden nicht wenige belgische Städte und Dörfer in Brand gesteckt und verwüstet, hunderte von Zivilisten kamen zu Tode. Die deutschen Truppen hatten den Belgiern unterstellt, auf Seiten der Franzosen als Freischärler zu kämpfen. Daher gab es in diesem Jahr fast in jedem Ort in Südbelgien Gedenkveranstaltungen für die Opfer des „Grande Guerre“.
Nächtliches Gefecht im belgischen Ardennendorf
Das vor kurzem erschienene Buch „Ardenne 1914 – La perte d´une illusion“ verbindet ein Gefecht in dem Ardennendorf Porcheresse mit dem Schicksal und den Kriegseindrücken des schon damals berühmten deutschen Malers August Macke. Der Verfasser, Dr. Franz Eppe, ist ein ehemaliger EU-Beamter, der in diesem Dorf seit 1984 seinen zweiten, seit 2000 sogar seinen ersten Wohnsitz hat. Franz Eppe hat sich dort auf historische Spurensuche begeben. Er beteiligte sich in Porcheresse auch an der Vorbereitung zum Gedenken daran, dass in diesem Dorf in der Nacht vom 22. auf 23. August 1914 ein mörderisches Gefecht zwischen deutschen und französischen Truppen stattgefunden hatte. Auf deutscher Seite hatte der Unteroffizier August Macke mit dem Rheinischen Infanterie-Regiment 160, das in Bonn kaserniert war und zur IV. deutschen Armee gehörte, an diesem Gefecht teilgenommen. Die Tage und Nächte vom 22. bis 24. August 1914 gelten als die verlustreichsten des 1. Weltkriegs. Innerhalb von 24 Stunden sollen auf beiden Seiten zusammen 26 000 Soldaten gefallen sein.
Es war schauerlich, was ich erlebt habe
Der Maler der Schönheit, der Farben und des Lichts erlebte in Porcheresse seine Feuertaufe – baptême du feu. Nach seinen Erlebnissen in dieser Nacht hatte er all seine Illusionen über den Krieg als eine Art fröhliches Abenteuer verloren. Er schreibt an seine Ehefrau Elisabeth in Bonn: „Es war schauerlich, was ich erlebt habe. Ich mag nicht daran denken. Es ist zu traurig.“ Dazu muss man wissen, dass das Dorf Porcheresse bei diesem Gefecht fast völlig zerstört wurde und in Flammen aufging. Viele Zivilisten wurden getötet. Macke hatte sehr bald realisiert, dass der Krieg mit seinem Verständnis vom Leben, der Schönheit und der Harmonie unvereinbar war.
August Macke war sich auch bald im Klaren darüber, dass er diesen Krieg nicht überleben würde. So kam es auch. Am 26. September 1914 – also knapp acht Wochen nach Kriegsbeginn – traf ihn eine Kugel in den Kopf bei einem völlig sinnlosen Sturmangriff seines Bataillons an der Marne. Seine Leiche wurde nie identifiziert; sie liegt wahrscheinlich in einem Massengrab auf dem Soldatenfriedhof Souin in der Champagne. Vor seinem Tode hatte er noch an mehreren erbitterten Gefechten teilgenommen und war sogar mit einem „Eisernen Kreuz“ dekoriert worden.
Ein Bewunderer der französischen Malerei
August Macke hatte nach der Jahrhundertwende mehrere Reisen nach Paris unternommen, um die neuen und revolutionären Trends im Mekka der modernen Malerei kennen zu lernen. Er war gut befreundet mit den französischen Malern Robert Delaunay und Le Fauconnier, ebenso mit dem Dichter Guillaume Apollinaire. Noch im Frühjahr 1914 hatte er mit dem Maler Paul Klee über Marseille eine Reise nach Tunesien unternommen. Dort waren sie auf der Suche nach der „reinen Farbe – couleur pure“: Zahlreiche Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen waren die Ausbeute. Überhaupt war Macke als Maler äußerst fleißig. Bevor er im Alter von 27 Jahren in den Krieg zog, hatte er schon rund 11 000 Kunstwerke geschaffen, darunter rund 1000 Ölgemälde und Aquarelle sowie 10 000 Zeichnungen. Zu seinen letzen Gemälden gehört „Der Abschied“; es zeigt ihn Abschied nehmend von Frau, zwei kleinen Söhnen und Hund. Es ist ein unvollendetes Bild in für Macke ungewöhnlich düsteren Farben, wohl eine Vorahnung der Tragödie des nahenden Krieges und des eigenen Todes.
Für August Macke musste es tragisch gewesen sein, in seinen französischen Freunden nun plötzlich Feinde sehen zu sollen, auf die man schießen musste. Auf der Seite der Franzosen waren die Gefühle sicher ähnlich.
Macke hat die Kunst enorm bereichert
August Mackes engster Malerfreund war Franz Marc, mit dem er auch eine zeitlang der Gruppe „Blauer Reiter“ um Vassily Kandinsky angehört hatte. Franz Marc schrieb zum Tod seines Freundes: „Der gierige Krieg ist um einen Heldentod reicher, aber die deutsche Kunst um einen Helden ärmer. Macke hat die Kunst enorm bereichert durch sein wunderbares Werk, das er der Nachwelt überlassen hat. Man kann sich denken, welche Entwicklung seine Malerei genommen hätte, wenn er den Krieg überlebt hätte.“ 18 Monate nach Macke fiel auch Franz Marc an der „Westfront.“ Über beide Maler und ihre Freundschaft sind sowohl im Bonner Kunstmuseum als auch im August Macke-Haus in Bonn noch einige Monate lang sehr schöne Ausstellungen zu sehen.
Das Buch von Franz Eppe „Ardenne 1914 – La perte d´une illusion“ liegt bis jetzt nur in französischer Sprache vor.
Es ist sehr verständlich geschrieben, gut recherchiert, dokumentiert und bebildert. Es enthält eindrucksvolle Vorworte des Gouverneurs der belgischen Provinz Luxemburg, Bernard Caprasse, und des deutschen Botschafters in Belgien, Dr. Eckart Cuntz.
Es ist herausgegeben vom Verlag Weyrich Edition, Route de la Maladrie 5, Longlier, B 6840 Neufchâteau/Belgique, 140 Seiten, Preis 17,50 Euro.
NB: Außer beim Verlag (http://weyrich-edition.be/ardenne_illusion#.VF4lyWdkC1s) oder im Buchhandel kann das Buch (zzgl. Versandkosten) auch beim Verfasser (eppe.franz@gmail.com) bestellt werden.
Text: Egon C. Heinrich
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