Ratgeber, Wanderungen

Wanderungen rund um Brüssel: In der Heimat des „Gobertange-Steins“

Von Michael Stabenow.

Mit Beginn des astronomischen Frühlings ist es an der Zeit, die in den vergangenen feuchten Monaten eigentlich unvermeidlichen Gummistiefel gegen feste Wanderschuhe auszuwechseln. Der zum fruchtbaren Hespengau (Hesbaye) zählende Osten der Provinz Wallonisch Brabant lockt mit meist sanfter Hügellandschaft, idyllisch anmutenden Dörfern und kilometerweit reichenden Blicken.

Der beschriebene Rundweg beginnt und endet im Ortskern von Mélin, das sich als „eines der schönsten Dörfer Walloniens“ rühmt. Für die 13,5 Kilometer lange, reichlich auf und ab führende Strecke sollte man gut drei Stunden veranschlagen. Parkplätze befinden sich zum Beispiel an der im neoklassischen Stil überarbeiteten und einst vom Bildersturm der Reformationszeit gebeutelten Kirche „Notre-Dame-de-la-Visitation“.

Wanderer haben die Wahl zwischen einem grün markierten und 8,5 Kilometer langen Rundweg („Promenade des Censes“) sowie der hier beschriebenen, meist gut mit blauer Raute markierten „Promenade de la Gobertange“. Sie führt, mal entlang wenig befahrener Straßen, mal über Feldwege, gelegentlich aber auch über unangenehmeres Kopfsteinpflaster bis in das südöstlich gelegene Jodoigne, zu dem verwaltungsmäßig Mélin und mehrere weitere umliegende Dörfer gehören.

Jodoigne mit seinen gut 15.000 Einwohnern ist der Hauptort im Osten der Provinz. Hier ist der heutige Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, aufgewachsen. Sein Vater Louis, einst belgischer Außenminister und später EU-Kommissar, war fast zwei Jahrzehnte lang liberaler Bürgermeister der Stadt.

Die Route führt vom hübschen zentralen Platz von Mélin aus zunächst in nördlicher Richtung und dann rechts ab auf einem Feldweg weiter. Es eröffnet sich nach Westen ein schöner Blick auf Dorf und Kirche von Mélin. An der Stelle, an der die asphaltierte Straße einmündet, beschleichen den Wanderer kurz Zweifel. Beim näheren Hinsehen zeigt sich, dass ein Pfosten mit der blauen Wegmarkierung umgekippt ist. Aber auch wer dies nicht bemerkt, wird unweigerlich an der Stelle nach rechts abbiegen, da es linkerhand in eine Sackgasse geht.

Anschließend führt die Wanderroute links ab und – nicht zum letzten Mal – über Kopfsteinpflaster durch einen Hohlweg hinauf auf ein Plateau. Dort lässt sich die Fruchtbarkeit des ausgedehnten Ackerlandes gut ermessen. Rechterhand taucht eine Miniaturkapelle mit einer hinter einem Gitter aufgestellten kleine Marienstatuen auf.

An dieser Stelle begegnen wir dem „Gobertange-Stein“. Es handelt sich um einen in dieser Gegend vor knapp 50 Millionen Jahren abgelagerten hellbeigen Sandstein, dessen Vorkommen inzwischen weitgehend erschöpft sind. Nicht nur viele Häuser der Region, auch berühmte Bauten wie die gotischen Rathäuser in Brüssel und Löwen sowie die Kathedrale „Saints-Michel-et-Gudule“ in Brüssel sind aus „Gobertange-Stein“ entstanden.

Gobertange ist der Name eines kleinen Nachbarorts von Mélin, aber auch eines von dort her fließenden Bachs. Beim Durchqueren des Weilers, aber auch des weiter östlich gelegenen Dorfs Saint-Remy-Geest mit den zum Teil renovierten, aber im ursprünglichen Stil belassenen Bauten kommt es dem Wanderer zuweilen vor, als sei die Zeit stillgestanden. Es drängt sich der Eindruck einer Kulisse für einen in tieferer Vergangenheit spielenden Film auf.

Sehenswert ist in Gobertange die rechts der Wanderroute gelegene Fassade der „Chapelle Sainte-Marie-Madeleine“. Die Ursprünge des kleinen einschiffigen, in heimischen Sandstein errichteten Baus reichen wohl in das ausgehende Mittelalter zurück. Ebenfalls aus „Gobertange-Stein“, allerdings erst im 18. Jahrhundert erbaut, ist die Kirche im benachbarten Dorf Saint-Remy-Geest, das weiter im Osten auftaucht. So imposant die an einer abfallenden Kopfsteinpflasterstraße stehende Kirche auch von außen anmutet – im Inneren bietet sie, wie die Kirche von Mélin, nur wenig Reize.

Die Wanderroute führt in einer Linkskurve weiter ins Tal und etwas später, der blauen Wegmarkierung weiter folgend, abermals nach links aus dem Ort heraus. Auf einem schmalen Weg läuft man an Weihern entlang und biegt später nach rechts auf eine asphaltierte, kaum befahrene Straße ein. Nach Überquerung einer Kreuzung geht es durch eine Siedlung auf einen breiten, durch ausgedehntes Ackerland führenden Feldweg.

Schließlich erreicht man entlang der von Westen kommenden „Grande Gette“ Jodoigne. Über eine Brücke überquert man den Fluss und erklimmt auf steil ansteigenden Stufen die Innenstadt  mit ihrem von der – natürlich – in „Gobertange-Stein“ erbauten Kirche „Notre-Dame-du-Marché“, aber auch von Gaststätten gesäumten Marktplatz.

Von dort geht es wieder bergab, abermals über die „Grande Gette“ und etwas später auf einem steil bergauf führenden Weg aus dem Städtchen heraus. Auf der Höhe überraschen weniger die großen Felder, sondern ausgedehnte, im Norden bis in die Region des flämischen Tienen reichende Ausblicke.

Nach einer Weile führt ein Weg von der Kopfsteinpflasterstraße linkerhand ab und in der Senke an einem alten Bauernhof vorbei. Das nun sehr holprige Kopfsteinpflaster scheint hier sich selbst und den Wanderer seinem Schicksal überlassen zu haben. Entschädigt wird man nach Passieren des Gehöfts durch einen deutlich angenehmer zu bewandernden Weg, der über eine Kuppe bergab nach Gobertange führt.

Wer gedacht haben soll, jetzt bald am Ziel der Wanderung zu sein, muss sich noch etwas gedulden. Der Weg führt zunächst an der Gobertange und an oft putzigen Bauten entlang. Erst nach einem großen Bogen auf einer asphaltierten Straße erreicht man über einen breiten Feldweg wieder Mélin und damit den Ausgangspunkt dieser beschaulichen Rundwanderung.

(Länge: 13,5 Kilometer, Ausgangspunkt: Place de Mélin, Mélin, 1370 Jodoigne)


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