The Blind Leading the Blind 67,2014, Courtesy Konrad Fischer Galerie,
Foto Dirk Pauwels
von Ferdinand Dupuis-Panther
Ja, es gibt sie die Sammler von Dingen, von Materialien, von Objekten. Und zu diesen gehört auch der Genter Künstler Peter Buggenhout. Seine Objekte sind auf Zeit nunmehr Teil des Parcours im Skulpturenpark Waldfrieden (Wuppertal). Aufgrund seiner Hanglage und der Vegetation erinnert dieser Skulpturenpark nicht an das Museum Middelheim in Antwerpen, aber an den Osloer Skulpturenpark in Ekeberg. Und noch etwas unterscheidet den Skulpturenpark Waldfrieden von anderen ähnlichen Präsentationen von Kunst im öffentlichen Raum. Gestiftet vom britischen Bildhauer Tony Cragg wird man in Wuppertal mit einem Querschnitt aus dessen Schaffen konfrontiert. Ergänzt wird dies um Arbeiten von Miró, Heinz Mack, Ulrich Rückriem, Markus Lüpertz, Erwin Wurm, Mischa Kuball und anderen.
Concrete #1, 2024/25, Courtesy of the Artist
Dies ist kurz gesagt, der Kontext der Begegnung mit Peter Buggenhout, der eben nicht wie Jean Tinguely aus Motorenteilen und anderen Elementen der Industriewelt kinetische Kunst schuf. Auch mit der Kunst aus Cadillac-Schrott eines John Chamberlain gibt es keine direkte Beziehung zu Buggenhouts Schaffen, ganz abgesehen von Edward Kienholz und Wolf Vostell, die sich teilweise mit der Transformation von Straßenkreuzern in Kunstinstallationen befasst haben.
Babel Variation II, 2025, Courtesy of the Artist
Ein umtriebiger Sammler von Material ist der aus Flandern stammende Künstler gewiss. Da sieht man Elemente wie Plastikbedachungen in Wellblechform, T-Träger, Nut- und Federbretter, Bauschaum, Beton, Stahlrohr, Alufolie, Plastik in allerlei Form, LKW-Auflieger-Unterbauten mit kleiner und großer Doppelbereifung, Wassercontainer im „Stahlrohrkäfig“. Epoxidkleber, Acryl, Folie, Polyurethan, Schaumstoff, PET und Spüllappen finden bei Buggenhout eine neue Verwendung. Es scheint, als habe der Künstler die „Eingeweide der Wegwerfgesellschaft“ nach Nutzbarem durchsucht, als wolle er dem eigentlich funktionslosen verbrauchten Material eine zweite Chance geben. Warum allerdings einige Werke mit „On Hold“, also dt. Warteschleife, bezeichnet sind, erschließt sich aus der Formgebung im einzelnen nicht. Dabei ist schon bei all dem „Gigantismus“ deutlich, dass die Arbeiten durchaus fragil sind, umfallen können, eigentlich instabil sind, obgleich sie stabil wirken. Also stellt sich Frage, ob die Materialien und deren Verbindungen halten oder nicht.
On Hold #4, 2017, Courtesy of the Artist
„Concrete #1“ ist schon näherliegend als Titel, betrachtet man das Werk vor der mittleren Ausstellungshalle. Bei „Concrete #1“ – auf einem amorphen Betongebilde ruht ein Wassercontainer – könnte man auch an einen modernen Hochsitz denken. Ein wenig lässt uns der Aufsatz aus Plastiktank und Einfassung auch eine Verbindung zu einem Einkaufswagen herstellen, der sich irgendwo im Gestein festgefahren hat. Selbst der Gedanke an ein Kinderbett mit Einfassungsstangen ist nicht ganz fern. Und noch etwas könnte man in der Arbeit sehen: Ein von einem Hubkran gelöster Arbeitskorb, um in Höhenlagen Baumschnitt vorzunehmen, will man nicht als Industriekletterer unterwegs sein. Schließlich ist noch eine Assoziation möglich: Sehen wir vielleicht gar einen Teil eines demontierten künstlerisch gestalteten Schrägaufzugs?
Und man fragt sich zugleich, wenn das ausgestellte Werk die Seriennummer #1 hat, wie sehen dann die weiteren Objekte der Serie aus. Warum arbeitet Buggenhout in Serie? Will er dem Betrachter eine Entwicklungslinie vorstellen? Sind es nur Zustände von ein und demselben Kunstobjekt? Irgendwie erinnert das aufgrund des Seriellen an Druckgrafik, die wie beispielsweise bei Pablo Picasso Zustände einfängt und so das Werk facettenreich ausbaut.
On Hold #9 Courtesy of the Artist
Im Inneren der mittleren Ausstellungshalle stehen wir vor dem fast raumfüllenden Werk „The Blind Leading the Blind“. Hm, Figürliches ist nicht zu entdecken, sprich zwei Blinde mit Blindenbinde und weißem Blindenstock. Schwarzer Ruß, so der Eindruck, überzieht das Gebilde, das von zwei Wassercontainern als Gegengewichte gehalten wird. Muss man nicht an die Welt untertage denken, wenn man vor dem Werk steht? Sind da nicht Pyrit-Adern im Gestein zu sehen, nichts weiter als augenscheinlich Alufolie auf dem kohlschwarzen Untergrund. Ist da nicht ein Teil einer Entlüftungsanlage verbaut worden? Ach, da sieht man ja auch ein Fallrohr. Und zudem hat man den Eindruck, man sieht zwei Gesichter, eines davon mit Pausbacken und „Erdbeermund“. Doch irgendwie will sich das Bild von zwei Blinden nicht wirklich einstellen. Eher assoziiert man die Arbeit mit einem eingestürzten Bergstollen oder einem sogenannten Wilden Mann. Alles, was keine Funktion mehr hat, wurde unter Tage gebracht – Recycling auf eine besondere Art, oder?
Der Turmbau zu Babel ist der Titel mehrerer Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren. Auch Buggenhout hat sich wohl assoziativ dem biblischen Thema gewidmet und „Babylon Variation II“ geschaffen. 13 Meter ist dieser Turm hoch, ein Bruchteil dessen, was den legendären Turm zu Babel auszeichnet: Dieser sollte so hoch sein, dass der Himmel erreicht wird, so nachzulesen in der Genesis 11. Mit Bruegel verbindet Buggenhout so gar nichts. Sein Turmbau in der Außenanlage zeigt Teile eines LKW-Chassis mit Doppelbereifungen unterschiedlicher Größe, und diese Elemente sind vertikal aufgerichtet. Insgesamt sind es 12 Tonnen, die da inmitten des Baumbestandes des Parks gen Himmel ragen. – Hm, sieht man da nicht in einem weißen Faltengewand einen Turmkletterer? Je nach Standpunkt zum Objekt wandelt sich das, was man vermeint zu sehen und dechiffrieren zu können. So könnte man auch die Ruine eines zerstörten Hauses ausmachen, mit und ohne Fensteröffnungen. Allerdings lenken die Reifenpaare von dieser Vorstellung ab.
Eines ist klar, Buggenhout begnügt sich nicht mit Flohmarktfundstücken wie die Dada-Künstler. Auch Strandgut ist nicht wie bei Niki de Saint Phalle Ausgangspunkt für Materialbilder. Nein, Buggenhout sucht das Monumentale. Er ist ein Mann für Zufall und Ordnung, für Schöpfung und Zerstörung, für Implosionen, für Schnitte, für eine Assemblage mit diversen Elementen. Die Kunst, die er uns zeigt, ist rau und brutal, neigt zu Gigantismus. So wie der Turmbau zu Babel scheiterte und manch gotischer Kirchbau, der himmelwärts strebte, in sich zusammenfiel, so hat man auch bei Buggenhout den Eindruck, dass seine Materialobjekte nicht auf Dauer angelegt sind. Sie scheinen eher in situ zu entstehen und dann auch bei Wegfall des Ortes dem Vergehen zu unterliegen, der bewussten Zerstörung.
On-Hold 20; 2021, Courtesy of the artist, Foto Michael-Richter
Vor der oberen Ausstellungshalle scheint ein gigantischer Gartenzwerg mit roter Zipfelmützen seinen Platz gefunden zu haben. Das ist aber nur eine der möglichen „Bildbetrachtungen“ von „On Hold #9“. Man könnte auch an einen aus dem Wasser emporschießenden Wal denken, oder? Auch die Vorstellung von einer überdimensionierten Silvesterrakete drängt sich auf, wenn man aus einer bestimmten Blickrichtung auf das Werk zugeht.
In der oberen Ausstellungshalle finden sich weitere Materialobjekte mit dem Titel „Warteschleife“, nämlich „On Hold #4“, „On Hold #26“ und „On Hold #20“. Und was ist mit 5, 6, 7 usf.? Nut- und Federholz als Unterkonstruktion sehen wir; hier und da meinen wir eine Aufsicht auf einen riesigen Lastenschlitten zu erhalten. Und kann man nicht auch einen Ausguck eines Großseglers in einer der Arbeiten sehen? Ja, die Gedanken sind frei – und das schafft Raum für individuelle Kunstbetrachtung. Es ist ja ohnehin so, dass der Künstler sich der Werkinterpretation dadurch entzieht, dass es in der sehenswerten Schau keine O-Töne von ihm zu den Werken gibt. Das eröffnet Räume für Assoziationen. Diese sollten wir nutzen, nicht nur im Rahmen der Wechselausstellung, sondern auch in der Dauerausstellung. Übrigens, die Ausstellung mit Arbeiten von Peter Buggenhout ist noch bis 10. August 2025 zu sehen.
© Fotos ferdinand dupuis-panther 2025
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