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Konsens über Muscheln

Es ist wieder Zeit für Belgiens Nationalgericht

Konsens über MuschelnEs klingt wie ein Klischee, aber, so stellt sich aus eigener Erfahrung und zahllosen aufgeschnappten Gesprächsfetzen heraus, stimmen tut’s: Der Belgier wartet auf seine Miesmuscheln wie der Franzose auf seinen Beaujolais nouveau. Doch auf den Beaujolais nouveau wartet mit dem Franzosen die ganze Welt – oder mindestens ein Großteil davon. Die Leidenschaft des Belgiers für Miesmuscheln hingegen versetzt die meisten Ausländer erst einmal in ein amüsiertes Staunen.

Dass die Muscheln wesentlich zur Herausbildung einer belgischen Nationalkultur beigetragen haben, ist unbestreitbar. Muscheln mit Fritten gibt es von Ostende bis Arlon. Und die besten, meinen die Experten, bekommt man nicht unbedingt in den Restaurants an der belgischen Küste. Tatsächlich spielt in diesem Fall die Nähe zum Meer keine Rolle, denn die meisten hierzulande konsumierten Miesmuscheln kommen nicht aus Belgien, sondern aus dem nördlichen Nachbarland.

Welthauptstadt Yerseke

Die Welthauptstadt der Muschel liegt in der niederländischen Provinz Seeland. Das Städtchen Yerseke verdankt seinen Ruf ausschließlich der Muschel- und Austernkultur und hat den gewinnbringenden Weichtieren sogar eine Riesenplastik errichtet. Dort werden auch jedes Jahr im Juni oder im Juli der Weltmarkt für geöffnet verkündet und, im etwas ernsteren Register, die Preise festgelegt – und gerade in den letzten Jahren leisteten sich die seeländischen Muschelzüchter dreiste Erhöhungen.

Doch wie dreist die Preise auch – einen Absatz findet sich in Belgien immer. Die Muscheln haben’s hier einfach in sich, ob marinières, mit Knoblauch-Rahmsoße, Weißwein, Curry oder in ausgefalleneren Rezepten. Sie passen auch wohl perfekt in die hierzulande tief verwurzelte Konsenskultur. Nichts scheuen die gemütlichen Belgier mehr als den offenen Konflikt und heikle Diskussionen.

Unerschöpflich

Da bieten die Miesmuscheln, mit der unbegrenzten Anzahl ihrer Größen und Formen und Zubereitungsweisen, ein nahezu unerschöpfliches und dazu allenfalls ungefährliches Gesprächsthema.


Von  Philipp Bekaert

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