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Wer will Premierminister werden?

Von Sibylle Schavoir.

Seit den 80-ziger Jahren gibt es in Brüssel und in der Wallonie den „C.C.E.“ (conseil communaux pour enfants – Gemeinderat für Kinder) in welchem 9-12jährige Grundschulkinder aktiv am Leben ihrer Gemeinde teilnehmen können. Sie haben Mitspracherecht und somit Einfluβ auf das Leben und die Entwicklung ihrer Gemeinde. Kinder sind begeisterungsfähig. Interessieren sie sich für eine Sache, dann sind sie oft voll dabei. Sie möchten gerne Dinge ändern, denn sie erleben den Alltag in ihrer Gemeinde anders als die Erwachsenen.

Im Gemeinderat für Kinder lernen sie, wie man Vorschläge unterbreitet und wie man diese dann umsetzt. Sie erfahren, daβ es nicht nur auf Ideen und Wünsche ankommt, sondern daβ für Änderungen auch das nötige Geld da sein muβ, damit diese Ideen dann umgesetzt werden können. Begeistert und stolz treten sie ein in die Welt der Erwachsenen. Sie haben schon einiges bewegt, wie z.B. zum Thema Mobbing.

In der Schule von Flémalle (nahe Lüttich) haben Kinder aus dem Gemeinderat gemeinsam mit Helfern ein Theaterstück geschrieben, welches das hochaktuelle Thema Mobbing in der Schule behandelt. Das Stück spielt in der Schule, gibt Einblicke in den Schulalltag und natürlich sind Schüler auch die Schauspieler. In mehreren Sketchen wird gezeigt, wie zerstörend sich Mobbing auf das Leben eines gemobbten Schülers auswirkt . Gleichzeitig werden Ratschläge gegeben, wie der betroffene Schüler reagieren sollte. Das Publikum war berührt. „Kinder haben eine ganz andere Art auf Probleme zu reagieren als wir Erwachsenen. Das Theaterstück hilft uns, Kinder besser zu verstehen, so daβ wir ihnen auch besser helfen können“, kommentiert Laurent Léonard (Schöffe im Schulrat) das Theaterstück.

Habe ich es gut oder schlecht gemacht?

In einer Schule in Gerpinnes (Provinz Hennegau) haben die Brüder Sacha und Ulys, beide Mitglied im Gemeinderat für Kinder, besondere Ambitionen. Sacha (14) will später unbedingt in die Politik gehen. „Ich würde gerne Bürgermeister werden. Durch den Beruf hätte ich leicht Kontakt zu Menschen, würde von ihren Sorgen und Problemen erfahren und müsste darauf reagieren. Hinterher weiβ ich dann sofort: habe ich es gut oder schlecht gemacht.“ Das findet er „cool“.

Ulys, der jüngere Bruder, möchte Premierminister werden. Als er 9 Jahre alt war hatten seine Eltern ihn und den älteren Bruder auf eine politische Veranstaltung mitnehmen müssen, weil sie für den abend niemand gefunden hatten, der auf die Jungens aufgepaβt hätte. Auf der Veranstaltung hielt Elio Di Rupo, seinerzeit Premierminister, eine Rede. Zum groβen Erstaunen der Eltern waren ihre Söhne begeistert und wollten mehr über Politik erfahren. Das Interesse hält an.

In Wavre wiederum gibt es Schüler im Gemeinderat, die ihre Umgebung verschönern möchten. Sie wollten Mülleimer dekorieren, da sie so triste aussähen, hatten aber mit dem Vorschlag keinen Erfolg. Erfolg hatten sie jedoch mit der Idee für einen Roboter in Seniorenresidenzen, der älteren Menschen den Alltag erleichtern soll. Noch muβ die Kostenfrage geprüft werden.

Die Anzahl der Gemeinderäte für Kinder hat sich in Brüssel und in der Wallonie in den letzten 20 Jahren verdreifacht. Dies zeigt, daβ Kinder sensibel auf das Geschehen ihrer Umwelt reagieren. Beeindruckend ist folgende Bemerkung, die man immer wieder im Gemeinderat für Kinder hören kann: „Man muβ doch nicht erst erwachsen werden, um Probleme zu verstehen.“

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