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Jazz Brügge – zum siebten Mal und kein bisschen leise

jazzbruggeheptatomicDSC04371 Der Auftakt des Jazzfestivals war für jeden Jazzkenner ein Ohrenschmaus. Ein klanglich opulentes Mittagsmahl wurde im altehrwürdigen St. Janshospitaal aufgetischt: Anlässlich der Herausgabe der jüngsten CD des Quintetts Mâäk spielten Laurent Blondiau, Jeroen Van Herzeele, Guillaume Orti, Michel Massot und João Lobo vor ausverkauftem Haus auf. Sie bildeten den Auftakt zum „Belgischen Tag“ bei Jazz Brügge 2014.

Ihnen folgte das Trio des blutjungen Brügger Jazzpianisten Hendrik Lasure, der mit eigenen Kompositionen und seinem Trio die Zuhörer im Foyer des Konzerthauses in seinen Bann zog. Nachfolgend lud ein weiteres Trio, bestehend aus der Pianistin Nathalie Loriers, der Altsaxofonistin Tineke Postma und dem Bassisten Philippe Aerts, in den Kammermusiksaal ein. Ein Klangspektakel der besonderen Art boten dann zum Abschluss des ersten Abends die Flat Earth Society und Mauro Pawlowski. Spätestens jetzt wird klar, dass Jazz in Belgien mehr ist als Toots Thielemans und Philip Catherine.

SONY DSCMusik provoziert Bilder

Nicht erst seit „Bilder einer Ausstellung“ erscheint Musik ohne Bilder kaum denkbar oder Musik ohne Geschichten, die mittels Noten, Harmonien und Akkorden erzählt werden. Auch die Musik von Mâäk provozierte Bilder. Mal glaubte, man auf dem Markt von Fez nordafrikanischen Klängen zu lauschen, mal , dass man an einem Fluss stehe, der langsam dahingleitet. Waren das nicht gerade Harmonien einer Street Marching Band, die in getragenem Tempo den Trauerzug anführt? Jeroen Van Herzeele und Laurent Blondiau entlockten ihren Blasinstrumenten „lyrische Klänge“ und man meinte, Weisen eines höfischen Tanzes zu vernehmen. Nicht zu überhören und doch fernab von Humpdahumpda-Musik dringt das dumpfe Bummbummbumm von Euphonium und Tuba ans Ohr der Zuhörer. Meisterlich beherrscht wurden beide Instrumente von Michel Massot, der auch für einige Kompositionen auf der neuen CD verantwortlich zeichnet. Bei dem Stück „Nine“ – namensgebend für die aktuelle CD – sprang Massot sogar von der Bühne und tanzte mit seinem Instrument so, als ob er gerade Hiphop, House und Acid höre. Doch weit gefehlt, Jazz war zu hören. Ja, auch zu Jazz kann man tanzen. Das ist heute in Vergessenheit geraten, aber die Musik von Tommy Dorsey und Duke Ellington war zu ihrer Zeit Popmusik und Tanzmusik. Also, warum nicht auch heute zu Jazz eine kesse Sohle aufs Parkett legen? Vielleicht im Café des Konzerthauses, wo nach dem letzten Konzert jeden Abends Djs auflegen.

Doch nochmals zurück zu Mâäk, einer der ältesten, stets noch gemeinsam spielenden Jazzformationen Belgiens und in den 1990er Jahren entstanden: Hm, welche Geschichten erzählen denn die Musiker nun? Hören wir ein Streitgespräch, sind wir dem Stimmgewirr eines Jahrmarkts ausgesetzt? Nein, Bänkellieder hören wir nicht, aber bei der Musik können wir uns vorstellen, dass Moritaten zum Besten gegeben werden. Aufmerksam lauscht das Publikum den Saxofonläufen und dem dezenten Schlagzeugspiel. Überwiegend ergraute Damen und Herren sitzen vor und neben uns. Nur vereinzelt hat sich die Generation 30plus ins St. Janshospitaal „verlaufen“. Aufmerksam muss man zuhören, sonst verpasst man Sequenzen, die man als eiliges Hin- und Herlaufen interpretieren könnte. Oder ist hier gar ein dramatisches Bühnenstück in Jazzphrasierungen umgesetzt worden? Orti und Van Herzeele scheinen sich bei einem nächsten Stück in ihrem Zusammenspiel mitten in einem Roadmovie mit waghalsiger Verfolgungsjagd zu befinden. Töne über Töne, auch schrille, lassen plötzlich aufhorchen, so wie bei der berühmten Symphonie von Beethoven mit dem Paukenschlag.

SONY DSCBilder aus Tönen

Leisere Töne schlug im Foyerkonzert Hendrik Lasure an, ein blutjunger Musikstudent und Pianist aus Brügge, für den Jazz schlicht Freiheit bedeutet, Freiheit im Sinne von Improvisation statt nur streng gesetzter Komposition. Insbesondere nach dem intensiven Joggen, so verriet er im Gespräch, kämen ihm Bilder und Ideen für seine Eigenkompositionen. Diese Bilder spiegeln sich nicht nur in den Kompositionen, sondern auch in den Titeln wieder, so bei „Viscositeit“ oder „Transitions“. Bei „Tot hier was ik gekomen“ vernimmt man hastige und auch verhaltene Schritte, das Suchen nach dem Ziel und das Hin- und Herirren, Bilder aus Tönen, die sich einprägen.

Neben Mâäk präsentierte auch die Pianistin Nathalie Loriers mit dem Bassisten Philippe Aerts und der Saxofonistin Tineke Postma ihre neuste CD, und das auf dem W.E.R.F.-Label. Doch der Abend verlief etwas enttäuschend. Der Kammermusiksaal – ein Rechteck mit umlaufenden Galerien über mehrere Etagen – erwies sich aufgrund seiner eher kalten Architektur m. E. als ungeeignet für das melodisch-lyrische Spiel des Trios, dem es selbst beim Titel „Funk for Fun“ nicht gelang, das Publikum mitzureißen.

jazzbruggeflatearthsocietyDSC04386Im Konzertsaal, der gut gefüllt war, erlebten die Zuhörer dagegen gleich zwei Konzerte von Jazzformationen mit großer Besetzung. Zunächst stellte Eve Beuvens – auch sie wie Loriers und Lasure am Piano – ihr 2013 auf dem Jazz Festival Gaume entstandenes Project Heptaomic (Titelfoto) vor. Bei Beuvens’ Septett dominierte der Bläsersatz mit dem Trompeter Laurent Blondiau, dem Altsaxofonisten Grégoire Tirtiaux und dem Tenorsaxofonisten Gregor Siedl das Klangbild. Bestechend waren insbesondere die langen Soli von Tirtiaux. Wenn man so will, stellte Heptatomic die Ouvertüre für den Auftritt von Flat Earth Society mit dem aus Limburg stammenden Gitarristen Mauro Pawlowski als Gast. Der Musik des Anarchorockers Franz Zappa – für viele heute kein Begriff mehr, für die ergrauten Babyboomer und Alt68er wohl schon – nahm sich die Band um den Klarinettisten Peter Vermeersch an, und das mit „Pauken und Trompeten“, nein, mit Alt-, Tenor- und Baritonsaxofon, mit Basstuba, Posaunen, Klarinetten sowie Vibraphon. Oh, ja Kontrabass und Piano gehörten selbstverständlich auch dazu, um eine Klangfülle zu schaffen, die im sehr gut gefüllten Konzertsaal das Publikum im übertragenen Sinne von den Sitzen riss. Leider gab es keinen Platz, um mit den Hüften zu schwingen und den Pogo zu tanzen, so wie das der Gitarrist Pierre Vervloesem auf der Bühne tat. Was wohl Zappa denken würde, könnte er der Flat Earth Society zuhören? Das Publikum jedenfalls wollte mehr, vor allem nach „Take your clothes off when you dance“. Eigentlich hätte der Abend noch andauern können, doch es gibt bestimmt ein nächstes Mal, um die Band um den Autodidakten und Liebhaber von Ligeti, Kagel und Stockhausen Peter Vermeersch in einem Konzert zu erleben. Dann gibt es wieder einen unvergesslichen Hörgenuss, eine Melange aus Big Band, Brass Band, Hard Rock, Marching Band, Gospel und …

 

Informationen Jazz Brugge: www.jazzbrugge.be

CD Releases

Natalie Loriers/Philippe Aerts/Tineke Postma: Le Peuple Dessilencieux, W.E.R.F 120

Mâäk Nine, W.E.R.F. 122

W.E.R.F. Label

www.dewerfrecords.som

 

Text und Fotos Ferdinand Dupuis-Panther

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