Aachen und die Eifel bzw. Ardennen in Belgien als Orte des Aufwachsens, Lebens und Arbeitens – wo liegen die Verwurzelungen, auch im musikalischen Sinne?
OC: Die Verwurzelung für mich als Person liegt darin, Grenzgänger zu sein, weil wir ja als deutschsprachige Belgier Deutsch sprechen und nahe an Deutschland sind, aber Belgier sind, und wiederum auch in der Wallonie leben. Ich sehe mich in dem Grenzgebiet verwurzelt, in dem ich aufgewachsen bin, wo ich geboren bin. Und musikalisch liegen die Wurzeln eigentlich in der klassischen Musik. In der Ausbildung stand ganz am Anfang die Klassik. Dies wurde, wenn ich das so sagen darf, recht bald von der modernen Rock- und Pop-Musik überschattet. Im Jugendalter ging es in den Jazz als persönliche Konsequenz. Da sehe ich auch keine klaren Grenzen; alles ist miteinander verbunden, wenn man über Klassik bis Jazz nachdenkt.
Wenn du eine klassische Ausbildung erhalten hast, heißt das an welchem Instrument. Am Piano?
OC: Nein auf dem klassischen Schlagwerk. Ich habe als Kind mit acht Jahren angefangen und dann parallel auf dem Drumset geübt und gespielt, bis ich dann auf dem Konservatorium gelandet bin.
Du hast in Maastricht Schlagzeug studiert. Warum dort und nicht in Brüssel?
OC: Ich war schon etwas älter und in meinem Arbeitsumfeld eingebunden, sprich ich ging einer beruflichen Tätigkeit nach. Ich wollte aber das Musik- bzw. Instrumentenstudium noch zusätzlich zur Arbeit absolvieren. Wegen der Nähe von Maastricht in der Euregio war es klar, dass ich dort die Aufnahmeprüfung ablege. Ich wurde trotz meines fortgeschrittenen Alters – ich war 26/27 – auch aufgenommen. Ich denke, in Brüssel wäre es schwierig geworden. Es stellte sich diese Frage aber gar nicht. Ich wollte ja Musik studieren, so nah wie möglich an meinem Arbeitsort.
Die erste Ausbildung war das Studium zum Agrarwirt?
OC: Ich habe nach dem Abitur Agrarwissenschaften studiert, auch aus einer Leidenschaft heraus. Als Jugendlicher hatte ich bereits im landwirtschaftlichen Bereich gearbeitet. Ich hatte aber auch immer die Idee mit der Musik, habe mich aber nach dem Abitur nicht direkt getraut, ein Musikstudium in Angriff zu nehmen. Ich habe also erst das Agrarstudium begonnen, um dann mal zu schauen.
Biolandwirt und Musiker – wie lässt sich das verbinden? Ich denke auch an den Albumtitel „Racines“. Das klingt irgendwie nach Ökologie, nach Natur und Naturverbundenheit.
OC: Die Verbindung ist eigentlich mein Lebenslauf- Es sind zwei Leidenschaften, die Landwirtschaft bzw. die Natur an sich sowie die Musik von klein auf. Wobei ich sagen muss, die Musik war vorher da. Als 8-jähriger hatte ich zwar Interesse an Traktoren, aber da war mir die Natur noch nicht so bewusst.
Wie und warum bist du zum Jazz gekommen? Gab es „Schlüsselerlebnisse“ , ein Konzert, eine Platte, ein Musiker?
OC: In meiner Jugend gab es eine Jazzreihe in Eupen, die es bis heute gibt. Das war und ist Jazz im Foyer. Mit 13/14 sind wir mit Freunden dorthin gegangen, um belgische Jazzmusiker zu hören. Und dann gab es in Aachen auch eine Jazzszene. Werner Lauscher, der heute mein Bassist ist, war eines meiner Vorbilder. Ich habe ihn auf der Bühne erlebt und auch den Schlagzeuger Marc Lehan, bei dem ich dann Unterricht genommen habe. Das war das Lokale, was angeboten wurde. Ich habe eigentlich kein Schlüsselerlebnis oder einen Moment, von dem ich sagen würde, ja dieser Drummer zum Beispiel Art Blakey hat mich total gefixt. Es ist eher die Musik und der Musiker, der mich interessiert, ob es ein Schlagzeuger ist oder Bassist, egal welches Instrument er spielt, mich interessiert die Musik.
Kannst du dich noch an ein paar Musiker erinnern, die du damals gehört hast?
OC: Da gab es eine Reihe von Musikern, die immer wieder auftraten, so die Schlagzeuger Bruno Castelluci, Stéphane Galland oder Dré Pallemaerts. Toots Thielemans ist auch in Eupen gewesen.
Wie bist du eigentlich zum Schlagzeug als deinem Instrument gekommen?
OC: Das kam aus einer Kindheitserfahrung heraus. Ich hatte im Urlaub einen Schlagzeuger in einem Blasorchester gehört. Der hat ein Solo gespielt, totales Amateurniveau, aber es hat mich dennoch fasziniert.
Haben deine Eltern deine musikalische Ausbildung gefördert?
OC: Unsere Eltern sind keine Musiker, haben uns aber immer in dem Sinne unterstützt, auf die Musikschule zu gehen und das jahrelang.
Wie definierst du deine Rolle als Schlagzeuger in einem Ensemble wie deinem Quintett?
OC: Ich sehe mich als Musiker wie alle anderen, ob es drei, vier oder fünf sind. Es ist für mich sehr wichtig, dass die Band auf Augenhöhe funktioniert, agiert und musiziert. Es ist natürlich wichtig, gute Solisten zu haben. Es ist genauso wichtig eine gute Basis vom Groove her zuhaben, vom Bass und vom Schlagzeug. Was mir wichtig ist, dass die Musik eine Einheit bildet. Da sehe ich mich als Schlagzeuger als Teil von, als Rhythmusgeber. Aufgrund der Kompositionen, die ich geschrieben habe, ist es mir gleichfalls wichtig, dass die Musik als eine Einheit rüberkommt.
Lass uns über dein Debütalbum „Racines“ sprechen: Wie bist du auf die Kompositionsmotive gekommen? Zu lesen ist unter anderem „Soul, Groove, Jazz und vieles mehr bestimmen den Sound und die Kompositionen des Debüt-Solo-Albums“. Zutreffend oder gänzlich missverstanden?
OC: Die Motive, die die Stücke ja ausmachen, haben sich sehr spontan entwickelt. Ich hatte das Glück, während des Studiums im Nebenfach auch zwei Jahre Klavierspiel lernen zu können. Das hat mich motiviert, nach dem Studium ein Klavier zu kaufen, um das Erlernte nicht zu verlieren. Irgendwann kamen mir dann die Motive in den Sinn und sind am Klavier gleichsam in die Finger geflossen, wenn man so will. Diese Motive habe ich mit dem Handy aufgenommen. Irgendwann war eine Handvoll Motive vorhanden. Und so dachte ich mir, die könnte ich ja mal zu Papier bringen und eine Form daraus machen. Ich denke, es ist ein ganz natürlicher, eigentlich ungewollter Prozess. Ich hatte gar nicht vor, ein Album aufzunehmen.
Spielt das Landleben eigentlich eine Rolle, um daraus zu schöpfen?
OC: Ich denke schon. Das Klavier steht im Wohnzimmer. Wir haben durch die großen Fenster einen schönen weiten Blick auf den Wald und die Wiesen. Das inspiriert mich. Es ist aber auch das Umfeld. Ich bin ja auch beruflich mit der Natur verbunden. Das Hohe Venn ist um die Ecke. Es sind Songs bei Spaziergängen entstanden. Einem Waldspaziergang mit meiner Tochter ist der Song „Lucie“ entsprungen.
Und was hat deine Musik nun mit Soul, Groove und Jazz zu tun?
OC: Ja Soul nicht aus der Soulmusik heraus, sondern aus der Seele heraus. Der Groove ist für mich eines der bestimmenden Elemente eines Songs, als Schlagzeuger sowieso. Und Jazz ist meine Leidenschaft.
Arbeitest du denn momentan auch als Landwirt?
OC: Ich bin im Nebenerwerb Landwirt. Das schon seit 25 Jahren. Es war nie ein Haupterwerb. Nach dem Studium habe ich noch für ein Unternehmen gearbeitet. Das hat mich gar nicht glücklich gemacht. Das war auch mit ein Grund fürs Musikstudium.
Jetzt arbeite ich in einem kleinen Familienbetrieb mit Fleischrindern, und wir bewirtschaften 18 ha. Ziel ist es, das Land der Familie zu erhalten und zu bewirtschaften. Wir betreiben Ackerbau für Kartoffeln und Gemüse. Es muss alles passen. Für mich darf die Landwirtschaft kein Stress werden. Für mich ist sie eher ein Ausgleich zum Alltagsstress.
Das neue Album trägt den Titel „Elements“ warum? Was soll dieser Titel ausdrücken?
OC: Ich habe mir grundsätzlich die Frage gestellt, wenn ich ein zweites Album produziere, wie soll es das erste Album weiterführen. Oder anders, soll es das überhaupt weiterführen? Für mich war schnell klar, dass „Racines“, das Wurzelwerk, die Basis von allem ist, also Fragen nach Natur und dem Bezug zum eigenen Leben. „Elements“ als Song war einer der ersten Songs, der nach dem ersten Album entstand. Ich war beim Schreiben wohl so begeistert von der Natur und den vier Elementen, aber es war eben auch etwas Spontanes. Und „Elements“ passt zu „Racines“. Zudem sind es ja die vier Elemente, die die Natur ausmachen, Luft, Wasser, Erde, Feuer. Die vier Dreiecke auf dem Cover sind die Symbole für die vier Elemente.
Gibt es in Ostbelgien eine Jazzszene? Wen rechnest du dazu?
OC: Es gibt Jazzmusiker, aber keine wirkliche Szene. Ostbelgien ist ein kleiner Landstrich ohne musikalisches Zentrum. Wie gesagt, wir sind ein Volk von Grenzgängern.
Gibt es eine lebendige Clubszene oder eine Veranstaltungsreihe zu Jazz? Wenn ja, würde ich gerne mehr erfahren.
OC: Es gibt Kulturveranstalter, die Jazz programmieren. Dazu zählen: Alter Schlachthof und Kultkomm in Eupen und ArsVitha in St Vith.
Wie siehst du die Perspektive für Jazzmusiker? Ein marginales Genre? Prekäre Lebensbedingungen für Jazzmusiker aufgrund der mehr als bescheidenen Honorierung?
OC: Perspektiven gibt es in jeder Zeit, man muss diese nur wahrnehmen und versuchen zu nutzen. Der Verfall in Lethargie und/oder Nostalgie bringt einen nicht weiter.
Sind deine Alben, Jazz und deine Musik ein politisches Statement? Wenn ja, in welcher Weise?
OC: Ich denke, sobald man etwas kreiert oder veröffentlicht, nimmt man eine Grundhaltung ein. In der Musik ist die Grundhaltung eine gewisse Offenheit. Die Songs, die entstanden sind, sind auch ein Ausdruck dessen, was ich repräsentiere. Ab dem Moment, in dem man etwas repräsentiert, wird man politisch, ohne eine Couleur annehmen zu müssen. Bei mir ist das Thema Natur, aber das heißt noch lange nicht, dass ich ein purer Grüner bin oder eine grüne Ideologie verfolge. Ich bin eigentlich sehr loyal, was Politik betrifft. Ich denke, dass alle demokratischen Parteien gute Ansätze und gute Ideen haben. Das wird teilweise ausgenutzt, um den anderen fertigzumachen. Jeder ist politisch, sei es jemand, der sich verbal äußert oder musikalisch.
Das Gespräch führte Ferdinand Dupuis-Panther © Fotos fdp2025
Website Olivier Chavet: https://www.olivierchavet.com/
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