Auch auf der Eupener Tagung des Rats für deutsche Rechtschreibung scheiden sich daran die Geister
Von Marion Schmitz-Reiners
Muss es nun „der*die Präsident*in“ sein? Oder „der:die Präsident:in“? „Der_die_ Präsident/in“? Im Bereich der geschlechterneutralen Schreibung herrscht Wildwuchs, und der bezieht sich nicht nur auf Satzzeichen innerhalb eines Wortes. Was mit Arzt und Ärztin? Muss es „Ärzt/in“ sein? Oder was? Fühlt sich ein Arzt (m!) durch diese Konstruktion eventuell auf die Füße getreten?
Vom 12. bis 14. Juli traf sich der Rat für deutsche Rechtschreibung zu einer turnusmäßigen Sitzung in Eupen. 36 der 41 Ratsmitglieder aus sieben deutschsprachigen Ländern einschließlich Ländern mit deutschsprachigen Minderheiten waren anwesend. Auf der Tagesordnung stand eine Aktualisierung des Amtlichen Wörterverzeichnisses der deutschen Sprache, dessen letzte Fassung von 2018 stammt, aber auch das Thema „geschlechtergerechte Schreibung“. Vor allem letzteres Thema interessierte die Journalist*innen, die zur abschließenden Pressekonferenz im Kloster Heidberg in Eupen gekommen waren, brennend.
Wer auf eine eindeutige Positionierung gehofft hatte, die auf einen einfachen Nenner zu bringen war, wurde enttäuscht. Wohl aber war zu erfahren, wie anschließend aus den Schilderungen des Ratsvorsitzenden Josef Lange hervorging, dass die Diskussion des Themas während der Tagung „äußerst kontrovers“ war.
Seit einigen Jahren wird vor allem in Deutschland die geschlechterneutrale Schreibung erbittert diskutiert. Der Rat bemüht sich um Klärung und Einheitlichkeit, ist jedoch selber ziemlich ratlos. „Sprachhistorisch stehen wir am Anfang einer neuen Entwicklung“, erklärte dies der Mannheimer Linguistikprofessor Henning Lobin, Direktor des dort ansässigen Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache. „Wohin sie führt, wissen wir nicht. Aber in Zeiten der Künstlichen Intelligenz ist ein Regelwerk erforderlich“, sagte Lobin.
„Wir wissen es noch nicht“ – dieser Satz schien sozusagen das Leitmotiv der Tagung zu sein. „Die wissenschaftliche Untersuchung ist noch nicht vorbei“, erläuterte der Ratsvorsitzende Lange. „Die Entwicklung ist nicht abgeschlossen.“ Der Rat sei genauso gespalten wie die Gesellschaft. Und damit sprach er ein brisantes Thema an.
„Die neuen Entwicklungen beschränken sich möglicherweise auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen“, gab Lange zu. „Wir werden wahrscheinlich Gegenwind aus zwei Richtungen bekommen.“ Im Klartext: Politisch rechts angesiedelte Bürgerinnen und Bürge in Deutschland und anderswo protestieren gegen das „Gendern“; Kreise, die sich als fortschrittlich und emanzipatorisch definieren, jubeln ihm zu. Insofern sei, so Lange, Rechtschreibung immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Entwicklungen.
Sind geschlechtergerecht formulierte Texte, wie immer sie sich auch künftig darstellen werden, noch (vor-)lesbar? Was mit Menschen, die eine geringe „Literarität“ haben, sprich des Schreibens und Lesens nur beschränkt mächtig sind? Sind derartige Texte durch Menschen und Computer überhaupt noch übersetzbar? Stellt die geschlechtergerechte Schreibung Lehrkräfte nicht vor riesige Herausforderungen?
Nur auf letztere Frage weiß der Rat eine eindeutige Antwort. An den Grundschulen sollen weiterhin Wortschatz, Basis-Rechtschreibung und Zeichensetzung gelehrt werden. An weiterführenden Schulen soll die geschlechtergerechte Schreibung eingeführt, aber vor allem mit den Schülerinnen und Schülern diskutiert werden, auch zum Zweck der gesellschaftlichen Bewusstwerdung. „In der demokratischen Entwicklung sind Prozesse von Selbstfindung von Gruppen im Gange, die sich auch auf die Sprache auswirken“, erläutert der Linguist Lobin. Einvernehmen herrscht darüber, dass Satzzeichen innerhalb von Wörtern künftig die Regel sein werden.
Warum ist vor allem in Deutschland die geschlechtergerechte Schreibung ein solch kontroverses Thema, frage ich den Mannheimer Professor. „Gesellschaftliche Diskussionen werden in Deutschland stets mit großer Verbissenheit geführt“, antwortet er. „Uns stünde eine gewissen Portion Gelassenheit gut zu Gesichte. Eine Gelassenheit, wie ich sie hier in Belgien spüre.“ Lobin fordert auf zu „rezeptiver Toleranz“. Erläuternd fügt er hinzu: „Was wir hören oder lesen, muss man verstehen können.“ So soll es Pressemedien, Rundfunkanstalten oder Verlagen zunächst überlassen bleiben, zu „gendern“, wie sie es für richtig halten, einschließlich der Atempause zwischen „Bürger-“ und „-innen“ durch Rundfunksprecher.
Bis hierhin und demnächst weiter – nur wie? Der Rat wird den deutschsprachigen (Bundes-)Ländern seine Empfehlungen Ende August zur Beschlussfassung vorlegen. Voraussichtlich im Dezember sollen sie verbindlich werden für Schulen, Ämter und die Gerichtsbarkeit. Aber was beispielsweise mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch? Muss es umgeschrieben werden? Wieder lautet die Antwort: „Mittelfristig wird uns nichts anderes übrigbleiben. Aber wir wissen es noch nicht.“
Jemand zitiert nach der Pressekonferenz Bertold Brecht: “Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen // Den Vorhang zu und alle Fragen offen” (Der gute Mensch von Sezuan).
Mehr Informationen unter: www.rechtschreiberat.com.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung legt die offizielle deutsche Rechtschreibung fest und gibt das verbindliche Amtliche Regelwerk für die deutsche Rechtschreibung heraus.
Der Rat tagt normalerweise zweimal jährlich am Leibniz-Institut in Mannheim. Nach Eupen eingeladen hatte Heinz Bouillon, emeritierter Germanistik- und Linguistikprofessor an der Université Catholique de Louvain-la-Neuve (UCL) sowie belgisches Mitglied des Rats.
Fotos: Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens
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