Von Michael Stabenow.
Marc Van Ranst, Benoît Ramacker, Emmanuel André, Steven Van Gucht – Namen, die bis vor wenigen Wochen in Belgien relativ unbekannt waren. Doch sie sind in den Tagen der Coronavirus-Epidemie zu Wegbegleitern geworden.
Täglich um 11 Uhr, außer sonntags, sitzen die beiden Virologen André und Van Gucht im Pressezentrum und geben einen Überblick über die neueste Zahl der Infizierten, der in die Krankenhäuser und Intensivstationen aufgenommenen Patienten sowie der Todesopfer.
Van Gucht ist im Hauptberuf leitender Mitarbeiter bei Sciensano, der führenden belgischen wissenschaftlichen Einrichtung für Epidemiologie und Infektionskrankheiten. André ist Forscher im Diagnostischen Labor für infektiöse Krankheiten an der Universität Löwen. Sie haben eine knifflige Aufgabe übernommen und bemühen sich nach Kräften, die belgische Öffentlichkeit in einer allgemeinverständlichen Sprache über die jüngsten Erkenntnisse zu unterrichten und Ratschläge für den Umgang mit den Gefahren des grassierenden Virus’ zu geben. Die Pressekonferenzen werden daher auch live, zum Beispiel vom Newschannel „LN24“, übertragen.
Van Gucht und André sehen ihre Aufgabe darin, dem Publikum dieser Tage reinen Wein einzuschenken. Beide bedienen sich einer Sprache, die sowohl durch warnende, aber auch beruhigende Töne geprägt ist. „Le Soir“ erklärte André die Aufgabe folgendermaßen: „Gemeinsam nachdenken, über Dinge sprechen, die wahr sind oder auch weniger wahr. Und dann für Schlüssigkeit sorgen. Denn wenn man in unkoordinierter Weise gegen eine Pandemie kämpft, dann sorgt man für mehr Chaos.“
Kein Wunder daher, dass sich bei den Pressekonferenzen die Redebeiträge des Französischsprachigen André und des Niederländischsprachigen Van Gucht nur in Nuancen unterscheiden. Während André sein Temperament, das ihn bei seinen Auftritten in belgischen Fernsehsendern durchaus auszeichnet, sichtlich zügeln muss, setzt Van Gucht, der mit Jackett und Krawatte im Pressesaal auftritt, durchweg auf leise Töne. Das hindert ihn jedoch keineswegs daran, Klartext zu reden. Derzeit liefen Tests mit diversen Arzneimitteln, deren Wirksamkeit sich freilich erst noch erweisen müsse. „Es hat daher keinen Sinn, solcherlei Produkte im Internet zu suchen oder selbst zu nutzen“, warnte Van Gucht dieser Tage.
Andrés Vorgesetzter, der Leiter des Diagnostischen Labors an der Universität Löwen, Marc Van Ranst, hingegen ist für viele Belgier kein Unbekannter. Seit langem klärt er das Fernsehpublikum über die Gefahren der jährlichen Grippeepidemien auf und ruft zu vorsorglichen Impfungen auf. Er ist derzeit in den Medien ebenfalls im Dauereinsatz. Seine väterlich-joviale Art kommt beim Publikum gut an, und sein täglich wechselnder Shetland-Pullover sorgt im Internet für Rätselraten, welche Farbe es denn am nächsten Tage sein soll. „Ich weiß es“, antwortete er, augenzwinkernd, über sein Twitter-Account.
All dies hindert Van Ranst keineswegs daran, knallharte Töne anzuschlagen. Eindringlich appelliert er immer wieder an Verantwortungsbewusstsein und Bürgersinn. Es gelte, den Verboten und Empfehlungen von Behörden und Wissenschaftlern, die aktuell bis zum 19. April verlängert wurden, unbedingt Folge zu leisten. Einige der Teilnehmer der sogenannten “Coronavirus-Partys”, die noch unmittelbar vor Verkündung der Ausgangsbeschränkungen Mitte des Monates stattfanden, lägen jetzt auf Intensivstationen, schimpfte Van Ranst. Andererseits weckt er immer wieder Hoffnungen auf bessere Zeiten und deutlich weniger Infektionen. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die Bürger die notwendigen Schutzvorkehrungen entsprechend beherzigten. „Aber wenn man über eine vollständige Normalisierung der Lage sprechen will, dann denke ich, dass wir noch auf den Impfstoff warten müssen, der kommen wird. Das wird mindestens ein Jahr dauern“, sagte Van Ranst im Fernsehsender VRT.
Das Experten-Quartett wird vervollständigt von Benoît Ramacker, dem Sprecher des Nationalen Krisenzentrums. Er war bereits vor vier Jahren nach den Terroranschlägen auf den Flughafen in Zaventem und die Brüsseler U-Bahnstation Maelbeek im ständigen Einsatz. Seine jetzigen Ratschläge an die Bevölkerung lassen ebenfalls nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Aus dem Bierchen unter Freunden am Freitag, dem Kicken am Samstag und dem sonntäglichen Besuch mit den Kindern bei den Großeltern werde es vorerst leider nichts. „Aber wir müssen uns daran halten“, ermahnt Ramacker und fügt hinzu: „Halten Sie durch. Darum geht es jetzt. Und vergessen Sie nicht, die Informationen zu verbreiten – und nicht das Virus!“
Foto Residence Palace: FED Health
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