Rund 500 Jungs und Mädchen konnten dieses Jahr nicht ihre Wunschschule besuchen, denn die Sekundarschule ihrer Wahl hatte keinen freien Platz mehr für sie. Die Folge: Oft stundenlange Busfahrten zu weitentfernten Schulen, in denen die Kinder niemanden kennen. In Zukunft werden immer mehr Schüler von diesem Problem betroffen sein. Eine Initiative aus Eltern und Lehrern will das jetzt ändern und hat eine Petition gestartet.
Fabien ist zwölf Jahre alt und hat gerade sein Certificat d’études de base (CEB), also den Abschluss der 6-jährigen Grundschule geschafft. Doch anstatt sich zu freuen und den Sommer zu genießen, grübelt er über seine Zukunft. An welcher Schule soll er bloß weiter lernen? Seine Mutter hat schon vor Monaten auf einem Formular die sechs favorisierten Sekundarschulen aufgelistet. Doch überall mit dem selben Ergebnis: Keine der Schulen in Fabiens Heimatort kann ihn aufnehmen. Nach den Sommerferien wird er wohl oder übel eineinhalb Stunden mit dem Bus zu einer weit entfernten Schule fahren müssen.
Immer mehr Schüler finden keine passende Schule
Das fiktive Beispiel von Fabien verdeutlicht das ganz reale Schicksal Hunderter von Mädchen und Jungs in Brüssel und Umgebung. Hier ist das Problem am deutlichsten zu sehen. „Brüssels Bevölkerung wächst und wächst, so dass im Jahre 2020 8.000 Plätze fehlen werden“, warnt Philippe De Vleeschouwer. Er ist Direktor der frankophonen Grundschule La Fermette in Wezembeek-Oppem am östlichen Rand von Brüssel. Von 36 Schülern der Abschlussklasse haben zwar 25 einen Platz in ihrer Wunschschule bekommen, doch 9 mussten auf andere Schulen ausweichen und zwei hat es ganz hart getroffen. „Zwei haben bis jetzt noch gar keinen Platz. Sie wissen aktuell noch nicht, wo sie am 1. September zur Schule gehen werden“, sagt De Vleeschouwer.
Seit 2008 müssen die Eltern im März in einem Formular die sechs favorisierten Sekundarschulen für ihren Nachwuchs auflisten. Nummer eins ist dabei die ideale Schule, Nummer zwei und drei mit wenigen Abstrichen und so geht die Hierachie weiter bis zur sechsten Schule. Zu dieser müssen die SchülerInnen gehen, wenn in den ersten fünf kein Platz mehr ist. Diese letzte Wahl stellt natürlich keine optimale Schule dar, was die jungen Schülern in der oft fremden Umgebung verunsichern und belasten kann.
Fatales Ungleichgewicht
Direktor Philippe De Vleeschouwer erläutert das belgische System: „Es gibt einige Schulen mit einem guten Ruf, bei denen die Eltern denken, dass ihre Kinder dort eine gute Ausbildung erhalten. Und dann gibt es leider andere Schulen, bei denen vielleicht die äußeren Umstände nicht optimal sind. Deshalb gibt es einige Schulen, die zwei-, drei- und vierfach häufiger nachgefragt werden als andere. Auf der anderen Seite gibt es Schulen, in denen zwar Plätze frei bleiben, in die aber niemand gehen möchte.“
Ein fatales Ungleichgewicht entsteht. Besonders stark ist das im zweisprachigen Brüssel und im umliegenden Wallonisch-Brabant ausgeprägt. Hinzu kommt, dass viele frankophone Paare aus Flämisch-Brabant ihre Kinder in den französischsprachigen Süden schicken. So wird hier die Konkurrenz um Schulplätze noch intensiver.
Petition für Schulpolitiker
In der Grundschule La Fermette in Wezembeek-Oppem wollen die Betroffenen die Situation nicht weiter hinnehmen. Die Elternvereinigung unter der Leitung von Cécile Willocx beschloss zu handeln und holte Direktor Philippe De Vleeschouwer mit ins Boot. Gemeinsam haben sie eine Petition verfasst, die sie an die zuständige Schulministerin der frankophonen Gemeinschaft Marie-Dominique Simonet (rechts) richten. Diese Forderung nach mehr Schulplätzen haben bis jetzt schon mehr als 500 Personen unterschrieben. Der Pädagoge De Vleeschouwer erkennt falsche Prioritäten in der aktuellen Politik: „Im Moment wird in unserem Land viel Geld in neue Gefängisse gesteckt. Ich denke, es wäre vielleicht besser, etwas weniger Geld in Gefängnisse und dafür mehr in Schulen zu investieren. Schließlich sind die Kinder unsere Zukunft.“
„Jeder hat das Recht auf Bildung in der Achtung der Grundrechte und Freiheiten […] Alle Schüler und Studenten, Eltern, Personal und Bildungseinrichtungen sind vor dem Gesetz oder einer Verordnung gleich“, zitieren die Eltern einen Ausschnitt des Artikel 24 aus der belgischen Verfassung. Die Initiative will nicht das gesamte Schulsystem revolutionieren, sondern fordert einfach nur genügend Schulplätze, so dass jedes Kind einen geeigneten Platz in der Sekundarschule erhält. De Vleeschouwer weiß, dass es bis dahin ein langer Weg sein wird: „Die Politik plant etwas zu verändern, aber es wird nicht gesagt wann genau.“ Bis jetzt haben er und seine MitstreiterInnen noch keine Antwort erhalten.
Fotos: Christoph Niekamp, Archiv
Mehr Infos und natürlich die Petition zum Unterschreiben finden Sie unter folgendem Link:
Die Petition der Elterninitiative
Autor: Christoph Niekamp
Beiträge und Meinungen