Wirtschaft

Die Kernkraft erweist sich als belgischer Spaltpilz

Von Michael Stabenow.

Die Genehmigung für ein neues belgisches Gaskraftwerk in Vilvoorde sorgt für politischen Zündstoff zwischen den flämischen Nationalisten (N-VA) und der föderalen „Vivaldi“-Regierung. Hintergrund des Streits ist der auf 2003 zurückgehende Beschluss zum Atomausstieg und eine Abmachung aus dem letzten Jahr, eine Entscheidung über die Abschaltung der Reaktorblöcke Doel 4 und Tihange 3 davon abhängig zu machen, ob sich die Stromversorgung des Landes ohne die beiden Anlagen sicherstellen lässt.

Doch tatsächlich entscheiden laut Gesetz die Regionen über Betriebsgenehmigungen. Und so hatte die Führungsspitze der Provinz Flämisch-Brabant, zu der Vilvoorde gehört, auf Betreiben eines N-VA-Vertreters im Sommer die Pläne für das Gaskraftwerk abgelehnt. Nicht weniger als sechs weitere Gremien, darunter auch der flämischen Region, hatten sie dagegen gutgeheißen. Dennoch entschied die regionale flämische Umweltministerin Zuhal Demir (N-VA) gegen das Gaskraftwerk. Offizielle Begründung: Der Stickstoffausstoß der geplanten Anlage übersteige die Grenzwerte. Zur Kritik von Grünen und Sozialisten, die ihr politische Spielchen vorwarfen, sagte sie im Regionalparlament: „Es geht um die Beachtung der Regeln und um Rechtssicherheit für Betriebe.“

Die föderale Energieministerin Tinne Van der Straeten von den Grünen äußerte den Verdacht, Demir und der N-VA gehe es nicht um das Gaskraftwerk. Vielmehr solle mit einem politischen Manöver die Vereinbarung der Vivaldi-Koalition zum Kernausstieg ausgehebelt werden. Auch die Spitzen der anderen Regierungsparteien zeigten sich verstimmt. Es gebe ein Vertrauensproblem, wenn eine Ministerin eine so gewichtige Entscheidung treffe, ohne die Koalitionspartner rechtzeitig zu informieren.

Mit dem Beschluss Demirs ist nicht das letzte Wort im Streit um die Anlage – und den Kernausstieg – gesprochen. Energieministerin Van der Straeten zeigte sich im Parlament zuversichtlich, dass es beim Zeitplan für den  Kernausstieg bleiben werde. Es gebe nicht nur Möglichkeiten zur Berufung durch Engie Electrabel, sondern auch zur Anpassung und Neueinreichung des Antrags auf Genehmigung der Anlage.

Als denkbarer Kompromiss gilt, dass im Gegenzug zur Schließung der sieben bestehenden Reaktorblöcke in Doel und Tihange, der Einsatz von Mini-Reaktoren geprüft werden soll. Eine Entscheidung könnte schon diesen Freitag getroffen werden. Kann der Beschluss Demirs nicht rückgängig gemacht werden, steht das Energiekonzept der belgischen Regierung auf ziemlich tönernen Füßen.

Ein Zerbrechen der Regierungskoalition an dieser Frage ist unwahrscheinlich. Aber der Konflikt zeigt: Die derzeitige Verteilung der Befugnisse in Belgien lässt es zu, grundlegende Entscheidungen wie den Kernausstieg in Frage zu stellen oder gar zu hintertreiben. Damit ist ein – wohl nur schwer zu behebender – Konstruktionsfehler des belgischen Bundesstaats bloßgelegt worden.

 

 

 

 

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