Von Heide Newson.
Es ist Montagmorgen in Brüssel, die Straßen sind vereist, das Thermometer zeigt drei Grad an, die Sonne lacht vom strahlend blauen Himmel. Ich verlasse mein Haus, das an den Teichen von Ixelles liegt. Die Gänse schnattern um die Wette, Studenten joggen an mir vorbei, alles ist friedlich. Hier scheint die Welt in Ordnung.
Alles kommt mir wie ein ganz normaler Arbeitstag vor, aber der Schein trügt. Ich befinde mich auf dem Weg in mein Büro, das sich direkt gegenüber vom Berlaymont befindet. Plötzlich ist am Flagey, wo ich gewöhnlich den 59 oder 60er Bus nehme, die Angst da. Der sonst so belebte Platz, wo tagtäglich um diese Zeit Araber, Belgier, Deutsche, Engländer friedlich ihren Kaffee genießen, ist unheimlich leer, das Cafe Belga, Dreh-und Angelpunkt für Treffs junger Leute, ist noch geschlossen. Kein Mensch scheint heute in Richtung Rond Point Schuman, den Bus zu nehmen.
«Jetzt erst recht», mache ich mir Mut. Eins der normal funktionierenden öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, scheint mir das Gebot der Stunde. Aber so leicht läßt sich mein mulmiges Gefühl nicht ausblenden. Siren heulen auf, fünf Polizeiautos rasen an mir vorbei. Brüssel befindet sich immer noch im Ausnahmezustand: am dritten Tag in Folge bleiben öffentliche Gebäude geschlossen, U-Bahnen stehen weiter still. Die Furcht vor einem Anschlag nach Pariser Muster, sitzt mir in den Knochen, um so mehr, da von dem noch nicht gefassten Hauptverdächtigen Salah Abdeslan, eine ganz konkrete Bedrohung ausgeht, und Ministerpräsident Charles Michel wohl nicht umsonst die höchste Warnstufe ausgerufen hat.
Brüssel steht still
Der 60iger Bus ist wie sonst selten pünktlich. «Es gibt kaum Verkehr, Brüssel steht auch heute still», sagt der marokkanische Busfahrer, der mich in der Vergangenheit immer wohlbehalten am Rond Point Schuman absetzte. Und dennoch würde ich lieber wieder austeigen. Vielleicht wäre es besser gewesen, der Empfehlung von Charles Michel Folge zu leisten und zu Hause zu bleiben, denke ich. Vor meinen Augen spielt sich das Attentat von Paris ab, alles scheint in meiner Vorstellungskraft auch in Brüssel möglich.
Wenige Minuten später erreiche ich mein Ziel, den heute unheimlichen Rond Point Schuman. Von den üblichen morgendlichen Staus keine Spur, dafür patrouillieren schwerbewaffnete Soldaten verstärkt im Europaviertel. Norwegens Botschaft wird bewacht, das jüdische Zentrum in der Rue Froissart ebenso, und beim Berlaymont wurde die Sicherheitsstufe erhöht. Dabei sind Banken und etliche Restaurants geschlossen. Europas Beamte arbeiten zum Teil, während im EU-Ministerrat mehrere Sitzungen von Fachbeamten abgesagt wurden.
An den Zufahrten der EU-Garagen zu Gebäuden der Europäischen Gemeinschaft wurden Mitarbeiter stichprobenartig gebeten, die Kofferräume zu öffnen. An «business as usual» ist kaum zu denken. Hinzu kommt, dass viele EU-Kantinen heute geschlossen haben und somit etliche Beamte auf ihr Mittagsessen verzichten müssen. Trotz verstärkter Polizei und Armee wagen sich nur wenige auf die Straße, um im verwaisten Europaviertel ein Sandwich zu erhaschen. Dabei heulen immer wieder die Sirenen, während die Gerüchteküche, wie lange die höchste Terrorwarnstufe noch anhalten wird, brodelt.
Wie im Gefängnis
«Ich habe mich hier in Brüssel über das Wochenende wie im Gefängnis gefühlt, und heute am Montag ist es auch nicht besser. Als ich heute in der Gemeinde Woluwe Tennis spielen wollte, stand ich wegen der akuten Terrorgefahr vor einem geschlossenen Platz», so eine Tennisfreundin. «Am Wochenende wollten wir ins Taverne in der Passage, hatten aber Angst», so mein älterer Nachbar, der sich momentan nicht mehr aus dem Hause traut. «Abgesehen davon war ja auch kein Markt auf dem Flagey-Platz, alles wurde abgesagt», sagt er.
Auch die heutige Abendveranstaltung zum Gedenken von Elisabeth Königin der Belgier in der Bayerischen Vertretung in Brüssel wurde kurzfristig abgesagt. «Wie soeben telefonisch angekündigt, wird aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Brüssel die Veranstaltung zum Gedenken des 50. Todestages von Königin Elisabeth auf einen späteren Zeitpunkt verschoben», hieß es. Dennoch machte die Belgisch-Bayerische Gesellschaft eine Anfrage an die Polizei, ob man an der Gedenkstätte von Königin Elisabeth zumindest einen Blumenstrauß niederlegen dürfe. «Wir haben den Strauß mit Rosen, Lilien und Gerbera für unsere Gesellschaft in der Nähe der Grand Place niedergelegt, und hatten für das Atelier Hastir auch weiße Orchideen dabei, so die Generalsekretärin der Belgisch-Bayerischen Gesellschaft überglücklich.
Weniger glücklich ist dagegen die Griechin Anna, die vor drei Tagen von Athen nach Brüssel einreiste, um ihre Tochter und deren Familie zu besuchen, sowie Brüssel im strahlenden Weihnachtsglanz zu erleben.«Wir haben genug Probleme in Griechenland, und jetzt ist in Brüssel alles viel schlimmer, es gilt die höchste Alarmstufe, es fahren keine U-Bahnen, mein Enkel kann nicht in die Schule, ich gehe nicht aus dem Haus, und dabei hatte ich mich so auf Brüssel gefreut. Hoffentlich ist der Spuk bald vorbei, damit ich in der Stadt, die ich so liebe, ein normales Leben führen kann.
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