Von Egon C. Heinrich.
Fünfzig Jahre lang diente die Riesenorgel an der Rückwand des Podiums im großen Konzertsaal des Palais des Beaux-Arts in Brüssel als eine fotogene Dekoration bei Konzerten und anderen Aufführungen. Manche Besucher mochten die riesigen Orgelpfeifen gar für eine Art Staffage oder Imitation gehalten haben – oder sie stellten die Frage, warum diese Orgel wohl nie zu hören war.
Es handelt sich sehr wohl um eine echte Orgel, die bereits im Jahre 1930. also zwei Jahre nach der Eröffnung des Palais des Beaux-Arts, installiert worden war. Sie leistete gute Dienste, bis sie Jahre 1967 wegen eines Brandes verstummte. Seit dem Jahre 1988 hat das Leitungsteam von BOZAR an der Restaurierung dieser monumentalen „Königin der Instrumente“ mit ihren 4200 Pfeifen gearbeitet. Dabei war der belgische Komponist und Organist Bernard Foccroulle ein äußerst wichtiger Begleiter und Ratgeber. Die Restaurierungsarbeiten selbst wurden von der Luxemburger Orgelmanufaktur der Gebrüder Westenfelder sehr kompetent ausgeführt.
BOZAR-Generaldirektor Paul Dujardin und sein Team verweisen mit Stolz auf die „unglaubliche Vielseitigkeit“ der wieder bespielbaren Orgel in ihrem Hause. Dieses einmalige Instrument sei sowohl für die traditionelle als auch für die moderne Musik und damit für die unterschiedlichsten Repertoires geeignet. Dies nicht zuletzt dank der modernsten elektronischen Technik.
Uraufführungen von Benoit Mernier und Bernard Foccroulle
Es versteht sich von selbst, dass dieses Ereignis unter dem originellen Titel „InORGuration“ mit viel Musik, ja gar mit einer Orgel-Festwoche gefeiert wurde. Für das Eröffnungskonzert hatte BOAR bei dem belgischen Komponisten Benoit Mernier eine Komposition für Orgel und Orchester in Auftrag gegeben. Deren Welturaufführung wurde vom Orchestre Natonal de Belgique (ONB) unter Leitung seines neuen, amerikanischen Dirigenten Hugh Wolff in perfekter und begeisternder Manier gemeistert. Die Orgel wurde von Olivier Latry, dem Organisten der Kathedrale Notre-Dame in Paris, gespielt. Auch das zweite Stück des Eröffnungsabends, das berühmte „Klavierkonzert für die linke Hand“ von Maurice Ravel, wurde von einem französischen Pianisten interpretiert. Es war Pierre-Laurent Aimard, der in diesem Jahr mit dem Musikpreis der Siemens-Stiftung ausgezeichnet wurde. Dieser Preis mit seinen 150 000 Euro gilt als der am höchsten dotierte Musikpreis der Welt.
Das zweite Konzert der Eröffnungswoche wurde vom Orchester der Brüsseler Oper „ La Monnaie/De Munt“ gegeben; es stand unter dem Titel „Dialoge der Orgel“ und wurde von Alain Altinoglu geleistet. Im Mittelpunkt stand auch hier die Welturaufführung einer von der Oper La Monnaie bei Benoit Mernier in Auftrag gegebenen Komposition, und zwar die „Dickinson Songs“. Diese gaben dem weiblichen Jugendchor „Choraline“ der Oper die Gelegenheit, sein sängerisches Können zu zeigen.
Das dritte Eröffnungskonzert stand unter dem Leitthema „Des Enfers au Paradies“, überwiegend mit Musik aus dem italienischen Barock. Das größte Interesse galt jedoch auch hier einer Uraufführung, diesmal von Bernard Foccroulle. Mit seiner Komposition „E vidi quattro stelle“ (Ich habe vier Sterne gesehen) hatte er sich vom „Purgatorium“ aus Dante´s „Göttlicher Komödie“ inspirieren lassen.
UFA-Stummfilm mit Orgel-live-Musik
Schließlich war auch bei den „UFA Film Nights“ im BOZAR die restaurierte Orgel zusammen mit dem Orchester „Brussels Philharmonic“ zu hören. Der Musiker Karol Beffa hatte für den Stummfilm „Der letzte Mann“ ( 1924) von F.W. Murnau ein Werk für Orgel, Klavier und Orchester komponiert. Im Rahmen der Orgel-Festwoche gab es dann noch Konzerte des „Estonian National Male Choir“ (Estländischer Nationaler Männerchor) und des „Orchestre Philharmonique Royal de Liège“. Es war eine Orgelwoche, die der Einweihung dieses herausragenden Instruments würdig war. Man kann alle Mitwirkenden dazu nur beglückwünschen.
Für seine Klassik-Saison 2017/2018 hat BOZAR als Leitthema „The Sound of Change“ gewählt. Damit soll an wichtige Jahrestage und Ereignisse erinnert werden, deren in diesen beiden Jahren gedacht wird: 500 Jahre Reformation, 100 Jahre Russische Revolution, die Unabhängigkeit von Finnland und Estland nach dem II. Weltkrieg und schließlich die Protestbewegungen im Mai 1968 in den westlichen Ländern. BOZAR stellt die Frage, wie sich diese Veränderungen in der Musik niedergeschlagen haben.
Bewährte Festivals im Programm
Trotz aller Neuerungen finden sich im Klassik-Programm 2017/2018 wieder einige traditionelle und bewährte Events und Festivals: BOZAR Electronic Festival, die Sufi Night, das Balkan Trafik Festival, Brussels Flamenco Festival, Klara Festival und schließlich das Brussels Celebration Weekend. Einige Weltstars werden an der Rue Ravenstein zu hören sein: Daniel Barenboim wird am 17. Januar 2018 das für ihn von der Brüsseler Pianomanufaktur „Pianos Maene & Steinway“ speziell entwickelte Klavier einweihen. Mariss Jansons kommt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und am 18.02. können die Jazzfreunde den Trompeter Wynton Marsalis live erleben.
Die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli und die argentinische Cellistin Sol Gabetta gastieren am 29. 11. mit Barockarien „Für Stimme und Cello“, begleitet von der „Cappella Gabetta“. Dieser Abend verspricht ein Feuerwerk an Höhepunkten der Barockmusik. Die Eintrittspreise sind allerdings dementsprechend hoch, sie reichen von 38 bis 162 Euro. Noch im Dezember werden die Pianisten Igor Levit und Boris Giltburg (Preisträger Concours Reine Elisabeth) zu hören sein. Stardirigenten und Spitzenorchester bietet auch die Konzertreihe „European Galas“ , die sich auf die gesamte Saison erstreckt.
Zum Abschluss der Saison die Neunte
Jedenfalls schließt die Saison im BOZAR am 30.06. 2018 mit einer Aufführung der 9. Symphonie „ An die Freude“ von Ludwig van Beethoven. Es spielen zwei Orchester und es singen zwei Chöre sowie überwiegend erfahrene deutsche Solisten. Auf dieses Schlusskonzert können sich die Brüsseler Musikfreunde schon heute freuen.
Informationen und Tickets
Tel. 02-5078200
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