Von Rainer Lütkehus.
Die belgische Regierung überdenkt einen Vorschlag von Finanzminister Vincent Van Peteghem, die Mehrwertsteuer auf Strom und Gas vorübergehend von 21 auf 6 Prozentzu senken. Der Druck, ihn anzunehmen wächst, denn die Preishausse an den Strombörsen fängt an, auf die Einzelhandelspreise von Privathaushalten und mittelständischen Betrieben durchzuschlagen, weil Festverträge auslaufen und viele Energieversorger neue verweigern. „Für Familien der Mittelschicht wird die Energierechnung immer schwerer zu schultern“, so Finanzminister Van Peteghem.
Die hohen Energiepreise und der damit einhergehende allgemeine Anstieg des Preisniveaus gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Wirtschaft. Laut Angaben der belgischen Nationalbank betrug die Inflation in Belgien im Dezember 6,5 Prozent, also deutlich mehr als im Durchschnitt des Euroraums (5 Prozent).
Noch mehr Inflation ist in Belgien durch den automatischen Inflationsausgleich zu erwarten. Fast alles wird im Königreich automatisch der Inflation angepasst: Löhne, Renten, Arbeitslosengeld, Steuern, Freibeträge, Bahntickets, Briefmarken, Versicherungspolicen usw. Sie werden „indexiert“. Der automatische Indexierungsmechanismus wurde in den 70er Jahren eingeführt und keine Regierung traute sich, ihn abzuschaffen. Durch eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie könnte dieser Spiraleffekt gebremst werden, denn der Warenkorb für den Index beinhaltet Energieprodukte.
Laut Angaben der Regulierungsbehörde Creg sind die Gas und Stromrechnungen in Belgien schneller gestiegen als in seinen Nachbarländern Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien. Die Strompreise der Privathaushalte und mittelständischen Betriebe lagen im Dezember in Belgien am höchsten. Bei Gas nimmt Belgien den zweiten bzw. dritten Platz unter diesen vier Ländern ein.
Regulator erwartet keine große Auswirkung auf die Gas- und Stromnachfrage
In Zusammenarbeit mit der Universität UCL und dem belgischen Verband der Gas- und Stromnetzbetreiber Synergrid hat die Creg eine Studie über die Auswirkungen einer möglichen Mehrwertsteuersenkung verfasst. Grundlage dafür waren Daten aus dem Zeitraum April 2014 – September 2015, während dessen Belgien vorübergehend die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom von 21 auf 6 Prozent gesenkt hatte. Demnach stieg die Nachfrage nach Gas und Strom in diesem Zeitraum lediglich um 2 Prozent, während die Energierechnungen der Verbraucher sanken, was die Creg als Hinweis für das gute Funktionieren des Wettbewerbs deutet.
Sollte die Sieben-Parteien-Regierungskoalition für den Vorschlag des Finanzministers stimmen, würde Belgien dem Beispiel Spaniens folgen, das bereits die Mehrwertsteuer auf Strom und Gas von 21 Prozent auf 10 Prozent gesenkt hat. Frankreich erwägt diesen Schritt auch, und zwar von 20 auf 10 oder gar 5,5 Prozent.
Allerdings kann die belgische Regierung nur schwer auf die Mehrwertsteuereinnahmen verzichten Das Haushaltsdefizit Belgiens ist mit 9,4 Prozent des BIP das vierthöchste in der EU und seine Staatsverschuldung mit 114 Prozent des BIP die sechshöchste .
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