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„Bartje Premier, Bartje Premier“

Warteschlange vor einem Brüssler Wahllohkal | Foto: J. Klute

Nach dem überraschenden Wahlerfolg seiner Neu-Flämischen Allianz (N-VA) scheint Bart De Wevers Traum vom Amt des belgischen Regierungschefs ein Stück näher zu rücken.

Von Michael Stabenow

Es ist kurz nach 20:30 Uhr, als Bart De Wever in einem Hotel am Brüsseler Botanischen Garten vor die jubelnden Anhänger tritt. Beide Arme reckt der Parteichef der Neu-Flämischen Allianz (N-VA) zum Zeichen des Wahlsiegs in die Höhe. Nicht auf Niederländisch, sondern wie er es bei feierlichen Anlässen gerne tut, mit einem lateinischen Zitat, beginnt De Wever seine Ansprache: „Ad astra per aspara“ – zu Deutsch: „Auf mühseligen Pfaden gelangt man zu den Sternen.”

Dem 53 Jahre alten Antwerpener Bürgermeister ist die Erleichterung über den Wahlausgang deutlich anzumerken. Bis zuletzt lag seine Partei in Umfragen im Norden Belgiens  mehrere Prozentpunkte hinter dem fremdenfeindlichen und rechtsextremen Vlaams Belang. Am Ende hat die N-VA, wie die im Lauf des Abends veröffentlichen Wahlergebnisse zeigen (Ergebnisse in Zahlen [1] | Wahl 2024 (belgium.be), weitgehend ihr Ergebnis von 2019 erreicht, als sie auf einen Stimmenanteil von 24,8 Prozent gekommen war – damals ein Verlust von gut sieben Prozentpunkten gegenüber der Parlamentswahl im Jahr 2014.

Entscheidend für De Wever ist jedoch am Wahlabend, dass die N-VA die Konkurrenz vom ganz rechten Rand hinter sich gelassen hat, obwohl der Vlaams Belang um gut vier Prozentpunkte gegenüber jenen 18,5 Prozent zugelegt hat, die er 2019 erreicht hat. „Gebt es doch zu: Das hattet Ihr nicht erwartet“, ruft De Wever den jubelnden Anhängern zu.

Abermals schließt der N-VA-Chef am Abend ausdrücklich ein Regierungsbündnis mit dem Vlaams Belang aus. Dennoch legt er, noch ehe ein klares Bild der veränderten politischen Landschaft im französischsprachigen Teil Belgiens herrscht, seine Vision für den Umbau des Königreichs auf den Tisch:  „Flandern hat mehr denn je für Autonomie gestimmt. Selbstverwaltung ist die beste Kur“, sagt De Wever – was sich im niederländischsprachigen Original schön reimt: „zelfbestuur is de beste kur.“

Schon bei seinem Eintreffen ist De Wever von seinen Anhängern im Sprechchor mit „Bartje, Premier, Bartje, Premier“ begrüßt worden. Der Wähler, so De Wever habe in beiden Landesteilen mit der Vivaldi-Regierung aus Liberalen, Sozialdemokraten, Grünen beider Landesteile und den flämischen Christlichen Demokraten abgerechnet. Nun sei es an der Zeit, mit einem neuen Bündnis das Land aus dem Haushaltschlamassel zu führen und umzuformen – ein klarer Hinweis auf das Ziel der N-VA, weitere Zuständigkeiten vom Bundesstaat auf die Regionen zu übertragen.

Aber wird es so weit kommen? Bei aller Euphorie in den Reihen des Wahlsiegers zeichnet sich ab, dass es, wie so oft in Belgien, ein langwieriges Ringen um eine neue Koalition geben wird. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass in vier Monaten, am 13. Oktober, Kommunalwahlen stattfinden werden und sich vor diesem Termin wohl kein Parteichef zu sehr aus dem Fenster lehnen dürfte.

Die Aussichten De Wevers, Chef einer föderalen Mitte-Rechtsregierung zu werden, erscheinen am Wahlabend besser als zuvor erwartet – trotz des katastrophalen Abschneidens und laut Projektionen am Abend von zwölf auf acht Mandate abgestürzten flämischen Liberalen (Open VLD). Die flämischen Christlichen Demokraten (CD&V) scheinen trotz leichterer Verluste ihre bisherigen 12 Mandate halten zu können. De Wevers N-VA kann mit 24 statt bisher 25 Sitzen rechnen. Das gute Abschneiden von Les Engagés, der französischsprachigen Schwesterpartei, sowie der Liberalen (MR) lässt aber am Abend auch eine Fünfparteienkoalition nicht ausgeschlossen erscheinen.

Die seit langem im Süden dominierende PS muss hingegen offenbar eine empfindliche Schlappe hinnehmen. Dafür ist die flämische Schwesterpartei „Vooruit“ mit ihrem, nach fremdenfeindlichen Sprüchen im Suff, aus der politischen Verbannung zurückgekehrten Ex-Parteichef Conner Rousseau, nun mit einem Plus von gut drei Prozentpunkten drittstärkste Kraft in Flandern.

Müssen die Sozialisten jetzt in die Opposition? So weit ist es am Sonntagabend noch nicht. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, wie es der N-VA gelingen konnte, den lange in den Umfragen in Flandern unangefochten führenden Vlaams Belang doch noch zu überflügeln. De Wever meinte am Wahlabend, er habe den Meinungsumschwung zugunsten seiner Partei zuletzt durchaus gespürt. Am Abend spricht sich allerdings Open VLD-Parteichef Tom Ongena im Fernsehsender VRT unter Hinweis auf das miserable Ergebnis seiner Partei für den Gang in die Opposition aus.

Bei der Analyse der Wahlergebnisses werden in den Sendungen belgischer Fernsehsender vor allem zwei Gründe genannt. Die von Vlaams Belang-Parteichef Tom Van Grieken losgetretene „Genderdebatte“ sei nach hinten losgegangen. Und vor allem habe De Wever zuletzt mit seiner, nach zweideutigen Bemerkungen erklärten Absage an ein Bündnis zwischen N-VA und Vlaams Belang erreicht, dass eine Reihe von Wählern eine Stimme für den ganz rechten Rand als sinnlos erkannt und schließlich doch die N-VA gewählt habe.

 

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