© Foto: Helmut Reinelt
Von Ferdinand Dupuis-Panther
Berlinde De Bruyckere lebt und arbeitet in Gent. Die 1964 geborene Künstlerin gehört zu den bedeutendsten internationalen Bildhauer*innen der Gegenwart. Faszinierend und zugleich aufwühlend sind ihre Skulpturen. Sie gehen beim Betrachten sprichwörtlich »unter die Haut«. So kommt mit Berlinde De Bruyckere nicht nur eine einzigartige Künstlerin ins Arp Museum Bahnhof Rolandseck, sondern auch eine Ausstellung, die wie keine andere die empathische Auseinandersetzung mit der gezeigten Kunst fordert.
Bisweilen irritiert und provoziert Kunst. Das gilt auch für die Belgierin De Bruyckere. So erklärt Petra Spielmann, kommissarische Leiterin des Museums: „Die Skulpturen Berlinde De Bruyckeres legen Zeugnis ab vom Leiden in der Welt. Die große ästhetische Kraft der Werke entsteht aus den Transformationsprozessen, die sie sehr detailliert abbildet.“ Und Jutta Mattern, die Ausstellungskuratorin, ergänzt: „Mit ihren Werken verwandelt Berlinde De Bruyckere die lichtdurchfluteten Räume Richard Meiers in eine Bühne, die uns eindrücklich vor Augen hält, was ›Leben‹ sein kann.“
Im Vorwort zum Katalog finden sich Bemerkungen zu Fragen von Verletzungen und Verletzlichkeit, von Schönheit und Vergänglichkeit. Was wir in der Ausstellung sehen, sind vergängliche Körper, ist die Transformation, ist das scheinbar Lebendige in den Pferdebälgen, die jedoch keine Nüstern, Augen und Mäuler haben. Es sind schlicht Felle, Leder, die Haut von Pferden, die mit naturalistischer Anmutung präsentiert werden, hängend von der Wand, aufgebockt in voller Größe.
Die Künstlerin ergeht sich nicht in dramatisch aufgeladenen „Skulpturen“, sondern zeigt eher den Tod, das Ableben, das, was am Ende auf Zeit übrig bleibt, ehe auch das Organische zu Staub und Asche wird. Man möchte bei den Arbeiten in Teilen von textilen Formungen sprechen, auch wenn hier und da Figuratives zum Vorschein kommt. Ob Jutta Matterns Statement im Katalog stimmig ist, dass wir uns bei den Arbeiten der Genter Künstlerin zwischen Abscheu und Anziehung, Schmerz und Lust, Verletzlichkeit und Schönheit, Brutalität und Würde bewegen, muss der Betrachter für sich entscheiden. Übrigens: „Ich brauche keine Köpfe oder Gesichter, weil sie Limitierungen sind. Ich möchte, dass die Skulptur zum Betrachter über die Bewegung oder ihre Haltung spricht.“ So äußert sich die Künstlerin, wie wir im zweisprachigen Katalog nachlesen können.
De Bruyckere ist nicht Tierpräparatorin, die für ein Naturkundemuseum arbeitet, sondern Bildhauerin, die ihre „Gestalten“ verfremdet, so auch in „Head“ und „Corps“. Dabei sehen wir keine ausgestopften Pferdekörper, sondern Lagen von Fellen, die zu einem Pferdekopf und einem Pferdeleib zusammengefügt sind. Wie schwere Stoffbahnen hängen teilweise verfärbte Pferdehäute von der Decke, wie dies auch in Gerbereien der Fall ist. Allerdings werden diese eigentlich auf Gerüsten nach dem Gerben zum Trocknen gehängt oder aber auf Rahmen gespannt. Das Abhängen von Häuten von der Decke lässt eher daran denken, dass noch nicht entschieden ist, welcher Verwendung diese Häute zugeführt werden sollen. Abfall oder nicht – das ist die Frage, oder?
Zugleich muss man bei dieser Figuration auch an Szenen aus Schlachthöfen denken. Dort wird geschlachtetes Vieh zur weiteren Verarbeitung aufgehängt und dann an Transportbändern zur nächsten Station gebracht. Figurativ oder nicht, das stellt sich als Frage bei „Met tere huid I“ und „Met tere huis II“. Der eine oder andere muss an ein Konglomerat von Klebefleisch denken, ein Dritter an ein Joch, in das Arbeitspferde eingespannt werden, um als Rücke- oder Brauereipferde eingesetzt zu werden.
Doch auch menschliche Formen und „Abgüsse“ finden wir im Werkkanon von De Bruyckere, so zwei Füße und ein Blumenkissen in einem alten Holzrahmen. Auf einem Holzbalken ruhen zwei Füße eines Torsos, wohl eines weiblichen, betrachtet man die zarten Füße und Unterschenkel. Der Körper ist mit Hautbahnen bedeckt. Über die Schulter scheint Wildbret geworfen zu sein. Kopf und Arme sehen wir nicht. Die Verhüllung scheint im Fokus zu stehen. Wie ein Schaustück aus einer anatomischen Sammlung mutet die Rückenansicht einer Liegenden an. Diese befindet sich in einer Vitrine, die aus einer Naturwissenschaftlichen Sammlung des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu stammen scheint. Schließlich befasst sich die Ausstellung auch mit dem Bezug von Körper und Tanz, insbesondere der Kooperation zwischen De Bruyckere und dem Tänzer Romeu Runa.
Die Ausstellung “Berlinde De Bruyckere – PEL / Becoming the figure” ist bis zum 8. Januar 2023 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Hans-Arp-Allee 1 D-53424 Remagen zu sehen. https://arpmuseum.org/
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