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Abgehört – dreimal aktueller Jazz aus Belgien

 

Sumooi – Feuersturm oder was?

Diese Band besteht aus folgenden Musikern: dem Akkordeonisten Stan Maris, dem in Düsseldorf geborenen und schon lange in Brüssel beheimateten Pianisten Leonard Steigerwald und dem aus den Niederlanden stammenden und in Brüssel heimisch gewordenen Drummer Daniel Jonkers. Erschienen ist das Album beim Label Off, das seit 2007 existiert.

Wer das Cover des Albums betrachtet, muss an einen Feuersturm denken, wohl eher als einen blutroten Sonnenaufgang. Doch wie ein Feuersturm, das sei angemerkt, klingt die Musik des Trios nicht. Sie unterliegt eher einem ausgereiften, teilweise durchaus poetisch zu nennenden Erzählstil. Und da wäre dann auch der Projektname, der ein wenig Finnisch klingt, oder? So richtig fügen sich allerdings Coverbild und Bandname für den Rezensenten nicht zusammen.

Über weite Strecken ist der Hörer auf den Klang des Zuginstruments fokussiert, das die Klangfärbungen bestimmt. Da ist jedoch nichts von Musette und Tango zu hören, eher von Folklore, wenn man so will auch Shanty-Musik. Hier und da tritt auch der Pianist des Trios sozusagen an den Bühnenrand, lässt einen leicht perlenden Tastenfluss erleben.

Mit gedämpftem, getragenen Tempo wird „September“ vorgetragen. Ein Herbststurm ist nicht zu erleben, eher eine gewisse Melancholie. Man hat den Eindruck, dunkle Wolken liegen schwer auf der Landschaft, so wie es Brel in seinem Chanson über Flandern beschrieben hat. Der Alltag scheint verlangsamt. Der Winter scheint schon an die Tür zu klopfen. Über den Klangteppich des Akkordeons setzt der Pianist seine leichten „Klangarabesken“, die für die Aufhellung der Stimmung sorgen und die Schwere beiseite schieben. In ähnlichem Duktus wie das Eröffnungsstück ist auch „Lullaby“ gehalten. Doch einen Unterschied gibt es: Es ist fröhlicher gestimmt, scheint uns von hopsenden, spielenden Kindern zu erzählen.

The End“ macht mit der hellen Klangfärbung des Akkordeons auf. Dazu setzt der Pianist wenige Tastenzäsuren, ehe sich dann beide Instrumentalisten in einem „Zweiklang“ vereinen. Ohne Frage hat man beim Hören die Vorstellung von Folklore vor Augen, denkt zum Beispiel an Irish Folk jenseits von „Drunken Sailor“ und „Irish Rover“. Das Stück, das dem Album seinen Titel gibt, nämlich „Sumoii“ ist sehr akzentuiert im Rhythmus. Der Pianist lässt bildhaft gesprochen ein Tastenrinnsal entstehen, derweil der Akkordeonist eher im Hintergrund aktiv ist. Weitere Songs auf dem Album sind „Bootwachter“ und „Floraville“, der Schlussakkord eines Albums, das sich ganz der Schönheit des Melodischen verschrieben hat, teilweise auch mit Anlehnungen an die Musik der Romantik, so könnte man formulieren.

Mehr: https://stilll-off.bandcamp.com/album/sumooi

 

Youran – Youran aus der Feder des Klarinettisten Joachim Badenhorst (Antwerpen)

Amorphous Membranes“ ist der Eröffnungstitel des Albums. Klarinetten in Mehrstimmigkeit, von Sopran bis Bass, das scheint das Klangerlebnis, das uns Joachim Badenhorst zukommen lässt. Dabei hat das Stück auch etwas von einem Kanon, eben nur ohne Gesang. Und mischt sich da nicht im weiteren Verlauf der Posaunist in den Klangregen ein?

Glockenschläge sind es, die anfänglich bei „Pulverized Light“ zu hören sind. Zugleich wird ein elektronischer Klangteppich ausgebreitet. Oder ist es schlicht die brummende und brabbelnde Posaune, die dank Nabou Claerhout zu hören ist? Und welche Register trägt der Kirchenorganist zum Klangbild bei? Eine hohe Tonfolge dringt an unser Ohr. Es könnte der Trompeter sein, der vielleicht nur auf dem Mundstück seines Blechbläsers spielt. Klangrausch wird außerdem inszeniert. Es scheinen Samples zu sein, die da zusammengefügt werden. Man meint außerdem, dass der Organist in Flötenregistern vertieft ist, wenn das Stück sich dem Ende nähert. Und wie klingt eigentlich „Rot“? Wir erleben es, wenn in einer Art Kirchenchoral die Bläser aufspielen. Brasslastig ist jedenfalls das, was wir hören. Hintergründig agiert der Organist an seiner Kirchenorgel. Klappernde Rhythmen sind ebenso auszumachen. Nach und nach löst sich der Posaunist aus der musikalischen Umgebung und hat am Ende solistische Momente.

Fernöstliche Instrumentierung ist für „Mineral Rhythm“ charakteristisch. Wir vernehmen den Klang der Koto, einer Wölbbrettzither, die vom Klang her durchaus Ähnlichkeit mit einer Harfe hat. Zusätzlich hört man Gebläse, das aus dem Off kommt und im Off verschwindet. Windrauschen meint man zu hören. Und stets wird die Aufmerksamkeit auf den Saitenklang der Koto gerichtet, oder?

Zwischen einem Stück Poesie und sakraler Kirchenmusik changiert „Still, Not“. Glöckchen sind zu hören, aber auch die in den Tiefen gegründete Posaune, unter der der Klang der Orgel eine Art Klangteppich ausrollt. Fein sind die Klangschraffuren, die dem Trompeter Alistair Payne zu verdanken sind. Klanglich nehmen uns die Musiker nach Fernost mit, wenn „How To Hold“ auf dem Programm steht. Im Fokus steht dabei Tsubasa Hori, die wiederkehrende Muster des Klang präsentiert. Außerdem nehmen wir mehrstimmigen lautmalerischen Gesang wahr. Teilweise geht diese Lautmalerei in lyrischen Text über. Im Kern ist der Gesang jedoch eher als instrumental zu definieren.

Mehr: https://joachimbadenhorst.bandcamp.com/album/youran

 

Tassin / Hermia / Joris – Midnight Sun Live

Gleich im ersten Stück des Albums hören wir ganz intensiv das Berimbau. Es ist ein einsaitiges Perkussionsinstrument aus Brasilien, das aus einem Holz- oder Bambusbogen mit einer Saite und einer Kürbis-Resonanzkammer besteht. Es ist ein zentrales Instrument der afro-brasilianischen Kampfkunst Capoeira und wird mit einem kleinen Stock angeschlagen. Bekannt gemacht hat das Instrument im Jazz Nana Vasconcelos aus Recife. Und nun hören wir Chris Joris an diesem Instrument, das irgendwie einen ins leicht Meditativ-Einsilbige abdriftenden Klang hat. Er wie auch seine Mitmusiker nehmen uns mit in Träumereien, so die Übersetzung des Tracktitels „Rêverie“. Wer sich in die Musik vertieft und dem Berimbau folgt, der mag durchaus in Meditation abgleiten und zudem unter Umständen auch in Trance verfallen.

Schwebend sanfte Saxofonklänge gesellen sich im weiteren Verlauf zum Berimbau und zudem auch Saitenklang, dank an Manu Hermia und Julien Tassin. Mit allen drei Musikern können wir uns dann auch Tagträumereien hingeben, werden wir von den sanften Klängen des Trios mitgenommen, schweben wir gleichsam auf einem Fliegenden Teppich dahin. „Firefly“ heißt es nachfolgend: Stetes Besengewische mischt sich mit feinen Saitenharmonien. Übersetzt bedeutet Firefly Glühwürmchen, die des nachts funkeln. Leichtigkeit strahlt der Song aus. Wenn man so will, könnte man beim Hören auch an eine Schar von bunten Schmetterlingen denken, die von Blüte zu Blüte fliegen. Die Flugbewegung inszeniert Julien Tassin vortrefflich, mal mit Langsamkeit, mal mit nervösem Fliegen. Sonores steuert Manu Hermia zum Stück bei. Manchmal glaubt man, das Saxofon mache klanglich einen Überschlag, um dann wieder in ruhige Fahrwasser einzutauchen.

Dem Elefanten („Elephant“) widmet sich das Trio nachfolgend. Zartes Schlagen an die Becken des Drumsets vereinen sich mit dem Linearen, das Julien Tassin seinem Saiteninstrument entlockt. Nichts von der Behäbigkeit eines Dickhäuters ist zu spüren, sondern Leichtfüßigkeit hören wir. Das trifft auch auf den Saxofonisten zu. Der Hauptstadt Estlands ist „Talinn“ gewidmet: Nimmt uns da etwa Manu Hermia mit auf einen Stadtbummel in der Dämmerung? Lässt er uns nicht eine Stadt erleben, die auch abends und nachts pulsiert? Man könnte es meinen, auch wenn man das Perkussive von Chris Joris wirken lässt. Nachtschwärmer scheinen unterwegs zu sein; Neonlichter scheinen zu flimmern. Bars öffnen ihre Türen; Clubs ziehen junges Volk an. Autos quälen sich durch die Straßen. Und fällt da nicht auch Regen Tropfen für Tropfen – dank an Julien Tassin? Die Unruhe der Stadt wird auf jeden Fall vom Saxofonisten treffend eingefangen. Wie mag wohl die Mitternachtssonne („Midnight Sun“) klingen, fragt man sich angesichts des entsprechenden Tracks: Weichzeichnungen des Klangs erleben wir. Beinah poetisch klingt die Umsetzung. Vorneweg agiert der Saxofonist, in dessen „Schatten“ sich der Gitarrist angesichts der Mitternachtssonne bewegt. „La danse des Larmes“ bildet das große Finale des Mitschnitts. Und damit endet ein klanglicher Hochgenuss. Merci.

Mehr:  https://www.igloorecords.be

Beitrag von Ferdinand Dupuis-Panther

 

 

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