
Entsetzen, Unverständnis, Schande und Antisemitismus pur. So lauten die Reaktionen auf die Absage des für kommenden Donnerstag in Gent vorgesehenen Konzerts unter Leitung des israelischen Dirigenten Lahav Shani
Von Thomas A. Friedrich
Die knapp 20 Zeilen umfassende Pressemitteilung des „Flanders Festival Ghent“, am Abend des 10. September in Englisch abgefasst, hat in den belgisch-deutschen Beziehungen wie eine Bombe eingeschlagen. Es wurde offenkundig eine rote Linie in den bilateralen freundschaftlichen Beziehungen überschritten.
Der langjährige deutsche Botschafter in Belgien, Martin Kotthaus, reagierte auf die Absage umgehend auf der Plattform X: „Die Entscheidung únd Begründung sind nicht nachvollziehbar. Ich begrüße, dass der belgische Außenminister Prévot und der Ministerpräsident Flanderns, Diependale, von der Entscheidung des Festivals sich distanziert haben.“
Weniger diplomatisch äußerte sich der Staatsminister beim Bundeskanzler und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, Wolfram Weimer: „Die Ausladung ist ein Kniefall vor dem Antisemitismus.” Dies könne nicht akzeptiert werden. Gleichzeitig reichte die Bundesregierung schriftlich Protest bei der belgischen Regierung ein.
Blamabel für Belgien, dass das ausgeladene Münchner Ensemble nun in Berlin auftritt.
Nach dem gestrichenen Auftritt der Münchner Philharmoniker mit dem israelischen Dirigenten Lahav Shani in Ghent tritt das Orchester nun kurzfristig in der deutschen Hauptstadt auf. Das Musikfest Berlin lädt die Münchner Philharmoniker und ihren künftigen Chefdirigenten am kommenden Montagabend (15. September) zu einem Gastspiel ein.
Belgische Föderalregierung entsetzt über flämische sozialistische Kulturministerin
Premierminister Bart De Wever hat die Ausladung des jüdischen Dirigenten beim Musik-Festival in Gent verurteilt. Die Entscheidung sei “unüberlegt und unverantwortlich”, teilte De Wever am Donnerstagabend mit.
Jemandem allein aufgrund seiner Herkunft ein Berufsverbot aufzuerlegen, “ist, gelinde gesagt, dreist und unverantwortlich“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme: „Es kommt auch kaum vor, dass Künstler ihre Gedanken schriftlich begründen müssen. Ich denke, das ist das Gegenteil von künstlerischer Freiheit. Dies wird den Ruf Flanderns und Belgiens schädigen”, erklärte De Wever.
Auch Außenminister Maxime Prévot von der frankophonen Zentrumspartei Les Engagés äußerte Zweifel an der Entscheidung. „Wir sollten nicht verallgemeinern und denken, dass jeder Israeli oder Jude automatisch Benjamin Netanjahus Politik unterstützt“, sagte Prévot im französischsprachigen Radiosender RTBF: „Wir dürfen keine Verallgemeinerungen zwischen der jüdischen Gemeinde, dem israelischen Volk und Netanjahus Politik treffen“, erläuterte Prévot.
Offener Dissens in der Israel-Frage in der flämischen Koalition
Die flämische Kulturministerin Caroline Gennez stellte sich ausdrücklich hinter die Veranstalter. Die sozialistische Politikerin hatte schon Anfang 2024 für erhebliche Irritationen wegen ihrer unnuancierten Einschätzung des Meinungsbilds zum Gaza-Konflikt in Deutschland für erhebliche Irritationen gesorgt: Siehe hier: ,Steht Deutschland auf der falschen Seite der Geschichte?’ – Belgieninfo und hier: ‚FAZ-Journalist Stabenow: “Den Holocaust mit den Ereignissen in Gaza in Verbindung zu bringen, ist inakzeptabel“’. Gennez gilt als eigentliche treibende Kraft hinter der Absage. Ihre Position: Angesichts der schrecklichen Lage in Gaza müsse ein Zeichen gesetzt werden. Konkret müsse jegliche Zusammenarbeit mit Partnern und Unternehmen, die sich nicht eindeutig vom, “Völkermordregime in Tel Aviv”, so Gennez wörtlich, distanzierten, unterbunden werden.
Beim Koalitionspartner N-VA stößt diese Haltung auf scharfe Kritik. Er könne die Entscheidung nur zutiefst bedauern, sagte der flämische Ministerpräsident Matthias Diependaele. Er verstehe zwar, dass es angesichts der Gräuel in Gaza Signale geben müsse. Aber er glaube nicht, dass man sich deswegen zum Richter über individuelle Bürger Israels aufschwingen dürfe.
Auch in den sozialen Medien herrscht Empörung unter belgischen Politikern. Ben Weyts und Annick De Ridder, N-VA-Minister in der flämischen Regierung, sprechen beide von Diskriminierung. Der föderale Verteidigungsminister Theo Francken, ebenfalls N-VA, bezeichnete die Entscheidung des Festivals als „reine Schande“.
MR-Parteivorsitzender Bouchez fordert flämische Kulturministerin zum Rücktritt auf
Der Parlamentsabgeordnete Denis Ducarme (MR, frankophone Liberale) fragte sich auf X, ob Belgien ein antisemitisches Land sei. MR-Parteichef Georges-Louis Bouchez bezeichnete die Genter Absage als „Schande für unser Land“ . Er vertrat die Meinung, dass Kulturministerin Gennez zurücktreten sollte.
Die flämische Sozialistin nahm die Festival-Verantwortlichen ausdrücklich in Schutz und teilte mit, sie könnten weiter auf ihre Unterstützung zählen. Gennez gilt als scharfe Kritikerin Israels und hatte erst letzte Woche abermals einen kulturellen Boykott des jüdischen Staates gefordert.
Deutsche Botschaft kündigt Zusammenarbeit mit Flanders Festival auf
Die Deutsche Botschaft in Belgien hat wegen der Absage an die Münchner Philharmoniker und den israelischen Dirigenten Shani die Zusammenarbeit mit dem Flanders Festival in Gent beendet. Man habe das Botschaftslogo von der Website des Festivals entfernen lassen und Hinweise auf die Konzerte aus den eigenen Social-Media-Kanälen genommen, teilte eine Sprecherin der Botschaft in Brüssel mit.
Die veröffentlichte Absage der Genter Festival-Direktion nimmt auf die Vorgabe von Kultusministerin Gennez ausdrücklich Bezug. In der veröffentlichen Erklärung heißt im Wortlaut als Begründung der Konzert-Anullierung: „Lahav Shani hat sich in der Vergangenheit mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen, aber angesichts seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra können wir keine ausreichende Klarheit über seine Haltung gegenüber dem völkermörderischen Regime in Tel Aviv schaffen. In Übereinstimmung mit dem Aufruf des Kulturministers, des Stadtrats von Gent und des Kultursektors in Gent haben wir uns entschieden, keine Zusammenarbeit mit Partnern zu pflegen, die sich nicht eindeutig von diesem Regime distanziert haben.“
Unverständnis und Entsetzen in Bayern
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnete die Entscheidung als “unerträglich”. Kunst solle verbinden und nicht ausgrenzen, aber offenkundig gebe es im Kunstbetrieb eine “stärkere Form von Antisemitismus”, sagt Söder im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk (BR) am Freitag. “Den Dirigenten jetzt für die politische Situation im Nahen Osten so verantwortlich zu machen, ist ein völlig falsches Signal.”
Stadt München wertet Annullierung als Angriff auf demokratische Werte
Ebenso „entsetzt“ zeigten sich die Stadt München und die Philharmoniker. Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit von der Bühne zu verbannen, sei ein Angriff auf wesentliche demokratische Werte. Der Münchner Kulturreferent Marek Wiechers verteidigte die Persönlichkeit des israelischen Dirigenten “Unser designierter Chefdirigent Lahav Shani steht mit seinem integrativen Wirken und seiner Haltung wie kaum ein anderer für Menschlichkeit, Versöhnung und Verständigung”, heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung der Stadt München.
Kritik vom Zentralrat der Juden
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, kritisierte die Ausladung sei mit dem Anspruch einer offenen, pluralistischen Gesellschaft nicht vereinbar. Künstlerische Freiheit dürfe nicht selektiv gewährt werden – “und schon gar nicht auf Grundlage von Herkunft oder Religion”. Er fühle sich an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte erinnert, sagte Schuster im BR-Fernsehen. Im Nationalsozialismus habe man als Künstler nur dann auftreten können, so Schuster, wenn man das Regime aktiv unterstützt habe.
Shani übernimmt ab der Saison 2026/27 den Posten des Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker. Der 36-Jährige leitet derzeit das Rotterdam Philharmonic Orchestra und ist Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra.
Solidarität in Berlin mit Chefdirigent Lahav Shani
Die deutsche Hauptstadt Berlin übt derweil kurzfristig Solidarität mit dem israelischen Dirigenten. Das Musikfest Berlin lädt die Münchner Philharmoniker und ihren künftigen Chefdirigenten kurzfristig für den 15. September zu einem Gastspiel ein.
Die Einladung erfolge als gemeinsame Initiative der Berliner Festspiele und der Stiftung Berliner Philharmoniker in Zusammenarbeit mit dem Konzerthaus Berlin. Damit solle ein Zeichen gesetzt werden „für die verbindende Kraft der Kunst, die Grundwerte unserer demokratischen Gesellschaften in Europa und gegen Antisemitismus, Diskriminierung und den Boykott in Kunst und Wissenschaft“.
Belgien und Gent hätten ein kulturpolitisches Problem heraufbeschworen, dass die belgisch-deutschen Beziehungen in einer nie dagewesenen Weise belasteten, heißt es aus dem Umfeld betroffener deutscher EU-Beamten in Brüssel.
Jüdische Gemeinde in Deutschland entsetzt über Genter Kulturbehörde
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat die Ausladung der Münchner Philharmoniker mit dem Dirigenten Shani als „puren Antisemitismus“ , bezeichnet. »Die Musiker, Besucher und Sponsoren des Festivals kommen aus aller Welt. Ausgerechnet der Dirigent aus Israel wird jedoch ausgeladen – das ist purer Antisemitismus«, sagte Prosor den Zeitungen der Funke Mediengruppe.







Den ersten Teil meines Vor-Kommentators kann ich akzeptieren. Ich widerspreche dem Kommentar aber deutlich in einem wichtigen Punkt: Es ist ein unerhörter und nie dagewesener Akt, dass ein Künstler vor seinem Auftritt einer schriftlichen Gesinnungsprüfung unterzogen wird. Weiterhin wird Herr Shani ausschließlich aufgrund seiner Staatsbürgerschaft und / oder Religionszugehörigkeit ausgeschlossen (denn das Israel Philharmonic ist ja eben KEIN Staatsorchester). Ich glaube kaum, dass Lang Lang vor einem Auftritt in Belgien zur chinesischen Regierung befragt wird, oder Anna Netzrebko zur russischen. Da es sich also ausschließlich auf Israel und Jüdisch bezieht, ist es eben doch purer Antisemitismus. (Dass die Festivalleitung ungeprüft die wörtliche Formulierung von Frau Gennez übernimmt und die Hauptstadt Israels nach wie vor in Tel Aviv verortet, ist Beleg einer unfassbaren Unkenntnis und Ignoranz.) Danke der Redaktion für die detaillierte Berichterstattung!
Welche “Politik” soll “zu verurteilen” sein ? Dass die kriminellen Vergewaltiger der “Hamas” einen Krieg begonnen haben und ihre Bevölkerung aushungern, sich selbst in Gräben verstecken, aber ihre Bevölkerung den Angriffen aussetzt und hungern läßt und dafür Israel die Schuld aufzudrücken versucht ? Dafür sollen israelische Orchester bestraft werden, ja ?
Aussagen wie Ihre sind der Boden, auf dem der Judenhass nicht nur in Flandern wächst.
Wenn man ein israelisches Staatsorchester Staatsorchester ausgeladen hätte, wäre die Entscheidung als akzeptabler Protest gegen eine in der Tat zu verurteilende Politik sogar zu begrüßen gewesen. Diese Vorgang wird zu Recht kritisiert. Man sollte die Entscheidung aber als falschen Weg eines im Grundsatz berechtigten Protestes gegen eine unmenschliche Regierung und nicht als Antisemitismus bewerten
Wenn man ein israelisches Staatsorchester Staatsorchester ausgeladen hätte, wäre die Entscheidung als akzeptabler Protest gegen eine in der Tat zu verurteilende Politik sogar zu begrüßen gewesen. Diese Vorgang wird zu Recht kritisiert. Man sollte die Entscheidung aber als