Von Michael Stabenow.
Belgien setzt resolut auf weitere Lockerungen der bisherigen Corona-Einschränkungen. In vier Schritten sollen – zwischen dem 9.Juni und dem 1. September – die meisten der Einschränkungen wegfallen. Der detaillierte Zeitplan ist unter folgendem Internet-Link auf Deutsch abrufbar: Neueste Nachrichten | Coronavirus COVID-19 (info-coronavirus.be).
Der sogenannte Sommerplan, den Premierminister Alexander De Croo am Mittwoch vorstellte, soll eine Wende bei der Bekämpfung der Pandemie darstellen. Bisher sei es darum gegangen, durch generelle Einschränkungen die Ausbreitung des Virus möglichst zu verhindern. Nun komme es darauf an, „mehr Spielraum hin zu einem normalen Leben zu geben“ und dabei mehr „individuelle Verantwortung“ zu übernehmen, sagte De Croo.
Die Regierung erwartet, dass die Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen bis zum 9.Juni auf rund 500 oder sogar darunter sinken könnte und dass es mit dem Impfungen weiter rasch vorangeht. Bis Mittwoch hatten insgesamt mehr als 3,6 Millionen Menschen (31,6 Prozent der Bevölkerung), darunter 90 Prozent der über 65-Jährigen, eine erste Impfdosis bekommen; 1,1 Millionen (9,6 Prozent der Bevölkerung) sind vollständig geimpft. De Croo stellte in Aussicht, dass in Kürze rund eine Million Menschen pro Woche einen der vier zugelassenen Impfstoffe erhalten werde.
Die vier Stufen
Sollten am 9. Juni die Voraussetzungen für weitere Lockerungen erfüllt sein, dann dürfen wieder vier Personen – und nicht immer dieselben – zuhause empfangen werden und Cafés und Restaurants können ihre Innenräumlichkeiten bis 22 Uhr öffnen. Die schon jetzt geöffneten Außenbereiche müssen künftig abends erst um 23.30 Uhr schließen. An Festen und Empfängen in Innenräumen dürfen bis zu 50 Menschen teilnehmen, solange – nach dem Muster der Regeln für Gaststätten – nicht mehr als vier an einem Tisch sitzen und ein Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Tischen gewahrt wird. Für Gottesdienste, Hochzeiten sowie Trauerfeiern gelten dann Obergrenzen von 100 in Innenräumen sowie 200 unter freiem Himmel. Auch für Kultureinrichtungen, Flohmärkte, Sportveranstaltungen sowie Jugendcamps sind großzügigere Regeln vorgesehen. Telearbeit wird zwar weiter dringend empfohlen, allerdings können Beschäftigte künftig an einem Tag pro Woche an ihren angestammten Arbeitsplatz zurückkehren.
Anfang Juli sollen, sofern 60 Prozent aller über 18-Jähringen eine erste Dosis erhalten haben, die Beschränkungen für Einkäufe (derzeit maximal zu zweit und nicht länger als 30 Minuten pro Geschäft) verschwinden. Ab Ende Juli sollen die Obergrenzen für die Teilnehmerzahl bei Festen und Veranstaltungen deutlich steigen.
Für Mitte August ist die belgische Variante eines „Corona-Passes“ geplant. Die Vorteile für Pass-Inhaberinnen und Inhaber stellen sich aktuell noch als sehr überschaubar dar. Insbesondere eine Teilnahme, ohne Testpflicht, an Festivals ist vorgesehen. Ob der Corona-Pass für freies grenzüberschreitendes Reisen („Digitales grünes Zertifikat“) genutzt werden kann, ist noch unkar. De Croo hofft, dass das EU-Gipfeltreffen am 25. Mai darüber näheren Aufschluss geben wird. Der Regierungschef verband die Bekanntgabe der belgischen Lockerungsbeschlüsse am Mittwoch mit dem Aufruf, die noch weiter geltenden Einschränkungen „so viel wie möglich“ zu befolgen. „Es liegt an uns, nicht vom Weg abzuweichen“, sagte er.
Eine Reihe von Wissenschaftlern äußerte jedoch Bedenken gegen eine weitreichende Öffnungsstrategie zum jetzigen Zeitpunkt. Auch Margot Cloet, Vorstandsvorsitzende der Dachvereinigung der flämischen Krankenhäuser und Pflegeheime (Zorgnet-Icuro), zeigte sich „sehr besorgt“ über die beschlossenen Lockerungen. „Wir haben die Bewertung der vorigen Lockerungen noch nicht vorgenommen“, sagte sie dem Rundfunksender VRT. Es gäbe noch keine Erkenntnisse zu den möglichen Folgen der erst am vergangenen Samstag wieder geöffnet Außenbereiche von Gaststätten. Die neuesten, von der Gesundheitsbehörde Sciensano veröffentlichten Zahlen zeigen jedoch, dass die Zahl der Neuinfektionen derzeit nicht mehr rückläufig ist und sich auf einem Stand von knapp 3.000 pro Tag eingependelt hat.
Ein Lichtblick ist, dass selbst die steigende Zahl von Test – durchschnittlich 51200 am Tag- keinen Anstieg positiver Ergebnisse erkennen lässt. Der Anteil ist innerhalb von zwei Wochen von 8,9 auf 6,5 Prozent gesunken – immer noch ein Stück oberhalb der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als kritisch betrachteten Schwelle von fünf Prozent, aber in die richtige Richtung verlaufend.
Foto: Heide Newson
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