Aktuell, Wirtschaft

Flughafen Lüttich im Strukturwandel

Von Michael Stabenow.

Wer tagsüber auf der Autobahn am Flughafen Lüttich vorbeikommt, nimmt ihn entweder gar nicht oder bestenfalls als verschlafen wirkenden Flughafen wahr. Das ändert sich in den Abendstunden, wenn Maschinen aus ganz Europa landen, Fracht abladen, andere aufnehmen und vor dem Morgengrauen wieder in alle vier Himmelsrichtungen abheben.

Nun hat die Ankündigung des amerikanischen Logistikkonzerns Fedex, mit Abstand wichtigster Akteur auf dem Flughafen, dort 671 von 1700 Stellen zu streichen, große Befürchtungen geweckt. Immerhin sorgt der Flughafen, laut einer Studie der Universität Lüttich, direkt oder indirekt für mehr als 9000 Arbeitsplätze im Großraum der wallonischen Stadt. Begründet hat Fedex seinen Beschluss mit Synergiesteigerungen. 2016 hatte das Unternehmen den ebenfalls am Lütticher Flughafen ansässigen niederländischen Konkurrenten TNT Express für rund 4,4 Milliarden Euro übernommen. Jetzt will Fedex die Größenvorteile der Fusion nutzen und jährlich um die 250 Millionen Euro an Kosten einsparen – mit der für Lüttich unangenehmen Folge, dass künftig der Pariser Flughafen „Charles de Gaulle“ europäisches Hauptdrehkreuz („Hub“) des Unternehmens sein soll.

Das Passagieraufkommen in Lüttich, ohnehin fast nicht der Rede wert, ist 2020 Corona-bedingt, um fast 75 Prozent im Jahresvergleich auf gerade einmal 44.478 Fluggäste gesunken. Dafür wuchs das Frachtaufkommen stark an. Ausgelöst zum einen durch den vermehrten Transport von Medikamenten und Impfstoffen sowie einen regelrechten Boom beim elektronischen Handel (E-Commerce). Die Anzahl der in Lüttich abgefertigten Päckchen und Pakete stieg von 320 Millionen auf mehr als 500 Millionen. Damit festigte Lüttich seine Stellung unter den zehn größten Frachtflughäfen Europas.

Folge der Fedex-Ankündigung war ein 48 Stunden dauernder, auch mit der fehlenden Unterrichtung der Mitarbeiter begründeter, Streik und große öffentliche Aufmerksamkeit. Zulieferer und Vertragspartner von Fedex zeigten sich besorgt. Und auch beim Flughafenbetreiber sorgte die Ankündigung für Unmut. „Die Umstrukturierung von Fedex ist eine Überraschung und wurde nicht mit der Leitung des Flughafens erörtert“, zitierte die Wirtschaftszeitung „L´Echo“ einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter. Er bezifferte den für 2022 durch den Teilrückzug von Fedex zu erwartenden Rückgang des Frachtvolumens auf 20 Prozent.

Dennoch herrscht am Lütticher Flughafen auch hoffnungsvolle Stimmung. Gegenüber „L´Echo“ wurde die Erwartung geäußert, dass sich der Rückgang zum Teil durch andere in Lüttich präsente sowie sich dort neu ansiedelnde Unternehmen ausgleichen lasse. Kürzlich hat der chinesische Internethändler Alibaba entschieden, seine europäischen Vertriebsgeschäfte hauptsächlich über Lüttich laufen zu laufen. So will das Unternehmen bald am Flughafen die Geschäfte aufnehmen und dort zunächst 300 Stellen schaffen. Zudem könnte das, unter anderem auf den Transport von Arzneimitteln und lebenden Tieren, zum Beispiel Turnierpferden, spezialisierte Unternehmen Liège Air Cargo Handling Services (LACHS), das derzeit in Lüttich 400 Mitarbeiter zählt, die Stellenzahl im Laufe des Jahres verdoppeln. Und Air Belgium, eine kleine, bisher auf Passagierflüge fokussierte Gesellschaft, will künftig von Lüttich aus mit vier Maschinen den Frachtbetrieb aufnehmen. Niky Terzakis, der Chef der Fluggesellschaft, kennt sich vor Ort bestens aus. Bis 2014 war er – vor der Übernahme des niederländischen Unternehmens durch Fedex – der TNT-Hauptgeschäftsführer auf dem Lütticher Flughafen.

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