Das sommerliche Ereignis ist in Ath der Umzug der Riesen, der einst als mittelalterlicher religiöser Festumzug aus Anlass einer Kirchweihe im 15.Jahrhundert begann, nun aber längst ein folkloristisches Ereignis ist, zu dem Besucher aus nah und fern erwartet werden. Seit mehr als fünf Jahrhunderten begeht man den Umzug der Riesen in Ath. Dabei müssen Riesenfiguren von kräftigen Schultern getragen werden, die zwischen 110 und 130 Kilogramm wiegen. Doch einige wie das Ross Bayard sind noch gewichtiger.
Den revolutionären Jakobinern, die 1794 die politischen Geschicke Aths bestimmten, waren die Riesen als Symbole des „Ancien Regime“ ein Dorn im Auge. Sie sorgten dafür, dass die Riesen verbrannt wurden und es einige Zeit keinen Umzug in Ath gab. Erst 1805/07 nahm man die Tradition des Riesenumzugs wieder auf.
Im Laufe der Zeit kamen lebendige Historienbilder zu den Riesen hinzu. Für diese Historienbilder wurden prächtige Prunkwagen gebaut. Anlässlich des 500.Geburtstags des Riesen Goliath im Jahr 1981 flammte die Begeisterung für die Riesen wieder auf, nachdem Jahrzehnte zuvor bei den Bewohnern der Stadt kaum mehr Interesse an der Tradition des Umzugs vorhanden war. Neben anderen Riesen und Riesenumzügen in Belgien ist der von Ath seit 2005 Teil des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO.
Die Fassaden der Häuser entlang der Strecke des Umzugs der Riesen sind mit den Stadtfarben Mauve und Zitronengelb geschmückt. Auch in den Auslagen der Geschäfte hat man sich auf die Riesen eingestellt. Am Rande der Route sind Zelte aufgebaut, wo für das leibliche Wohl gesorgt wird. Bereits zu früher Stunde haben sich die Fanfarenzüge eingefunden, stimmen die Blechbläser ihre Instrumente, trommeln sich einige Trommler warm. Am Bahnhof erklingt, sobald ein Zug einfährt, fetzige Blasmusik, die die Ankommenden willkommen heißt: „Bonne Ducasse“ wünscht man sich in Ath, wenn Ende August jeden Jahres die Riesen durch die Straßen und Gassen ziehen.
„Ducassis“ – mit 3% vol.alc. ein leichtes süffiges Johannisbeerbier – wird ausgeschenkt, und auch anderer Gerstensaft rinnt durch die Kehlen vieler Schaulustiger. Die beim Bäcker bestellte Mastelle-Torte wird am Tag des Umzugs der Riesen nach Hause gebracht. Mit dem Läuten der Glocken von St-Julien beginnt dann das Spektakel, angeführt von dem doppelköpfigen Adler, auf dem ein kleiner Knirps hockt. Immer wieder dreht sich diese Riesenfigur um die eigene Achse.
Doch nicht nur dieser Riese ist beim Umzug präsent, sondern auch Samson in einer blau-roten Uniform und mit einer Tempelsäule im Arm, der 3,75 Meter große, gallische Krieger Ambiorix in glänzender Rüstung, das Pferd Bayard mit den vier Haimonskindern im Sattel und das Fräulein Victoire in Gestalt einer „Nike“. Doch die Hauptpersonen des Umzugs sind der 3,95 Meter große Goliath und seine fast ebenso große Gemahlin.
Wenn auch religiösen Ursprungs – Goliath und Samson sind schließlich biblische Figuren –, so hat sich der heutige Umzug längst zu einem volkstümlichen Spektakel gewandelt, in dem in „lebenden Bildern“ und mit einigen Prunkwagen an die Zeit der habsburgischen Niederlande ebenso erinnert wird wie an die belgische Revolution, die in der Nationaloper in Brüssel begann. Unter den Prunkwagen ist besonders der Wagen der neapolitanischen Fischer recht auffallend. An Bord befindet sich neben den Fischern auch ein angeketteter wilder „Schwarzer“, der immer wieder versucht, sich seiner Ketten zu erledigen. Es gelingt ihm, ein Glas Bier in die Hände zu bekommen. Ein tiefer Schluck, die Backen werden aufgebläht und der Gerstensaft wird dem Nächststehenden ins Gesicht gespuckt.
Schwergewichtige Riesen, starke Männer
Leicht sind die Riesen nicht, sodass schon eine Schar von starken und wohlbeleibten Männern gebraucht wird, um beispielsweise das mehr als 632 Kilo schwere Pferd Bayard zum Tanzen zu bringen. Sattelfest müssen die vier Jungen sein, die auf dem tanzenden und sich auf die Hinterläufe stellenden Ross in luftiger Höhe sitzen. Gleiches gilt auch für den Knaben, der auf dem doppelköpfigen Adler Platz genommen hat, der den Umzug der Riesen eröffnet. Wenn sich dieser gefiederte Riese um die eigene Achse dreht, ist Schwindelfreiheit das A und O – für die Träger ebenso wie für den kleinen Knirps auf dem Rücken des Vogels.
In prächtiger Rüstung und mit wallenden Haaren sowie einem imposanten Schnauzbart zieht der legendäre keltische Kriegerfürst Ambiorix an den am Straßenrand Ausharrenden vorbei. Gewichtig ist das mehr als vier Meter große Fräulein Victoria, das 124 Kilo Lebendgewicht nicht davon abhält, beschwingt durch die Gassen der Stadt zu tanzen.
Mit viel Ohs und Ahs werden Herr und Frau Goliath begleitet, die sich zur Freude der Umstehenden unterwegs mehrfach küssen. Mit dieser „Liebelei“ endet dann auch der zweimal durch die Stadt geleitete Umzug, der seinen Ausgang an der Kirche St-Julian nimmt. Also dann „Bonne Ducasse“ bis zum nächsten Mal.
Weitere Informationen
Office du Tourisme Ath
Maison des Geants
www.ath.be
Haus der Riesen (Maison des Geants)
Rue de Pintamond 18
http://www.maisondesgeants.be
2014: Umzug der Riesen 24. August ab 9.45 Uhr
Text und Fotos: © Ferdinand Dupuis-Panther
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