Kultur

Pol Bury: Die Bewegung der Langsamkeit

Von Ferdinand Dupuis-Panther.

Zeit in Bewegung“ ist durchaus ein angemessener Titel für die Präsentation kinetischer Kunst. Doch auch „Die Langsamkeit der Bewegung“ wäre passend, vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass viele der von Bury konstruierten Objekte sich sehr, sehr langsam bewegen, ob es sich nun um Objekte mit Holzwürfeln, Holzzylindern oder Nylondraht handelt. Der Besucher ist also gefordert, vor den Objekten längere Zeit zu verweilen, obgleich Besucher in Kunstausstellungen, wie man aus einschlägigen Untersuchungen weiß, nur wenige Sekunden lang ihren Blick auf Kunstgegenständen ruhen lassen.

Surreales Intermezzo

Gewiss, das Hauptaugenmerk der Schau im Brüsseler BOZAR richtet sich auf die kinetischen Objekte, doch zu Beginn begegnen wir dem surrealistischen und abstrakten Künstler Pol Bury, der weitgehend als Autodidakt anzusehen ist. Nur ein Jahr besuchte er ohne jedes Engagement die Kunstakademie in Mons (Bergen). Stattdessen wurde der Dichter und Anarchist Achille Chavée, Gründer der Surrealistengruppe Rupture, sein Lehrer. Bury gehörte Künstlervereinigungen wie CoBrA ebenso an wie Jeune Peinture Belge.

Erste künstlerische Meriten verdiente sich der nahe La Louvière geborene Künstler mit surrealistischen Arbeiten, die er kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf zwei Ausstellungen zeigte. Stark an Magritte angelehnt scheint eine unbetitelte Arbeit von 1940, die einen aus einem grauen Himmel herausgeschälten Frauenkopf zeigt. In diesem sind ein stark geädertes Blatt und ein Pferdehinterteil zu sehen. Eher an Paul Delvaux jedoch fühlt man sich erinnert, betrachtet man „Titre perdu“. Delvaux hatte eine Leidenschaft für Eisenbahnen und Bury anfänglich wohl auch, betrachtet man die Gleise und Signalanlage im Bild. Nur einen Zug sucht man vergeblich.

Abstrakte Kompositionen

Nach dem kurzen surrealistischen Intermezzo folgte die „abstrakte Phase“ Burys. Zu dieser gehört u. a. die in Blaunuancen und sattes Gelb getauchte „Komposition“ (1948). Bury scheint hier schon Elemente der Mobile verarbeitet zu haben. Zugleich aber hat man den Eindruck eines maritimen Themas. Maritim geht es auch im Werk „Im Meer“ zu. Ist da nicht eine Seejungfrau zu sehen und dort eine Robbe? Obgleich es sich um eine Komposition in Blau und Rot handelt, ist hier schon der Weg über das Figurativ-Abstrakte zur Abstraktion hin angedeutet. Sichelförmige Gebilde unterschiedlicher Ausmaße bilden den Kern der unbetitelten Arbeit von 1949, in der man mit einiger Fantasie auch Möwen entdecken kann.

Calder als Quelle der Inspiration

Bury entdeckte Alexander Calders Skulpturen und Mobile 1950 in der Galerie Maeght in Paris, lange bevor er sich zu einem der Protagonisten der kinetischen Kunst entwickelte. Insbesondere seine frühen Plans mobiles zeigen auch wegen der Farbigkeit in gewisser Weise eine Nähe zu den Arbeiten Calders. Die Plans mobiles sind Objekte mit geometrischen Formen, die einst von den Besuchern in Gang gesetzt werden mussten. Elektrische Antriebe fehlten diesen Objekten.

Am Anfang standen perforierte Scheiben

Langsam rotieren bei Bury übereinandergelegten Scheiben mit Perforationen, so dass sich Punktgebilde im Auge des geduldigen Betrachters einstellen. Geduldig muss der Betrachter nicht nur bei diesen Kunstobjekten, sondern auch bei anderen von Bury geschaffenen sein. Beinahe zeitgleich schuf Bury auch Objekte aus Nylondraht auf rotem oder schwarzem Grund. Wie Halme im sanften Wind bewegen sich die Drähte, die alle einen weißen Kopf tragen. Hier und da karikierte Bury auch das Gesetz der Schwerkraft. Müsste die weiße Kugel auf der weißen schiefen Ebene nicht zu Boden fallen?, fragt sich der Betrachter von „Kugel auf einer schiefen Ebene“ (1963). Doch die Kugel ist verdrahtet, und nur mittels Motor bewegt sie sich sehr, sehr langsam auf den Abgrund hin und auch wieder weg.

Meditative Bewegungen

Würfel und Zylinder aus Holz verarbeitet Bury, so in „75 Zylinder“, die in einer Zapfenform auf einem Holzbrett angebracht wurden. Diese Zylinder richten sich auf, „krümmen“ sich und fallen wieder zurück, sich dabei gegenseitig streifend. Wer eine Weile vor diesen Objekten verharrt, verspürt sicherlich Ruhe und eine meditative Wirkung.

Großobjekte aus Holz und Metall

Zu den Großobjekten Burys gehören nicht nur Assemblagen, die der Künstler als Möbel bezeichnet, sondern auch ein stehpultartiges Zickzack-Gestell, auf dem 49 Kugeln ruhen. Sie rollen zu sehen, verlangt minutenlanges Warten. Wie in einem Paternoster bewegen sich die Kugeln, die Bury in ein kreuzförmiges Kastengebilde montiert hat („19 Kugeln in einer offenen Form“). Einen Paravent von 2,70 mal 7,10 Metern mit Clustern von sich bewegenden Zylindern zeigt man zudem in der sehenswerten Überblicksschau, die einen Künstler ins Rampenlicht rückt, der in den letzten Jahrzehnten beinahe in Vergessenheit geraten ist.

Mit den späten 1960er Jahren beginnend schuf Bury Objekte aus rostfreiem Stahl, durchaus in Dimensionen, die an Kunst im öffentlichen Raum denken lassen, so auch „19 Elemente in einer gebogenen Stahlform“ oder die paarig angeordnete Skulptur „43 Elemente, sich gegenüber befindend“, bei deren Anblick man an flirrende Bänder im Wind denken muss.

Die als opulent zu bezeichnende Ausstellung schließt mit den Brunnenanlagen und den öffentlich ausgestellten Skulpturen. © ferdinand dupuis-panther

Zur Ausstellung ist ein umfänglicher Katalog jeweils in Englisch, Französisch und Niederländisch erschienen. Die Ausstellung ist im Brüsseler BOZAR bis zum 4. Juni 2017 zu sehen.

Bildnachweis:

Pol Bury, Losange disque triangle bleu jaune –
1972, Aquatinta auf Papier, Privatsammlung,
Brüssel © Luc Schrobiltgen, Brüssel

Pol Bury, 19 boules sur 12 plans formant un zigzag – 1966
Eléments de bois bruns et boules de liège teintées et mues
à l’électricité, 60 x 122 x 10,2 cm Musées royaux
des Beaux-Arts de Belgique, Bruxelles © Photo: J. Geleyns

Pol Bury, Boule sur un plan incliné – 1963
Bois peint, moteur électrique, 50 x 50 x 35 cm
Collection privée, Bruxelles © Luc Schrobiltgen, Brussel

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