Von Albert J. Kessler.
Die Italiener haben in einem Referendum über eine Verfassungsänderung abgestimmt: sollte der Senat, die zweite Kammer in der repräsentativen römischen Demokratie, umgebaut, finanziell geknebelt und seiner bisherigen Macht beraubt werden? Die Italiener haben Nein gesagt. Dabei hätten sie von den Belgiern lernen können, wie man eine teure und nutzlose Institution abbaut, auch ohne mit einer Volksabstimmung den Bürgern Entscheidungen aufzuzwingen, deren Bedeutung die wenigsten verstehen.
Als Folge der Föderalisierung Belgiens und der damit verbundenen Inflation der Parlamentarier in den Gliedstaaten wurde die Anzahl der föderalen Parlamentarier und vor allem der Senatoren systematisch abgebaut, von 184 im Jahre 1995 auf jetzt noch 60. Von diesen 60 Senatoren werden jetzt 50 durch die Regionalparlamente bestimmt, darunter einer von der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG). Die 10 anderen Senatoren (6 Flamen und 4 französischsprachige) werden kooptiert, aber de facto auf Grund der erzielten Wählerstimmen bei den Kammerwahlen den Parteien zugeteilt.
Die 49 von den Regionalparlamenten bestimmten Senatoren üben diese Tätigkeit neben ihrem Beruf als Regionalabgeordnete (und teilweise auch noch als Mitglied des Parlamentes der Französischen Gemeinschaft) aus und erhalten hierfür kein Basisentgelt. Der Senator der DG übt sein Mandat im Hauptberuf aus, denn er ist auch noch beratendes Mitglied im Parlament der DG und erhält ein volles Gehalt. Die 10 kooptierten Senatoren erhalten ein halbes Gehalt, da man den Beruf eines Senators als Nebenberuf betrachtet. Das Grundgesetz betrachtet den Senat auch als ein ‘nicht permanentes Organ‘ mit 8 Sitzungen im Jahr, die zwischen 15 Minuten und einigen Stunden dauern.
Der belgische Senat kennt eine Geschlechterklausel: maximal 2/3 der Senatoren dürfen dem gleichen Geschlecht angehören.
Bei der letzten Staatsreform wurden dem Senat ab 2014 Aufgaben als Treffpunkt der Gliedstaaten zugedacht. Die ursprüngliche Rolle des Senats wurde dabei stark beschränkt und so ist die Föderalregierung nur noch der Kammer zur Rechenschaft verpflichtet. Da man nicht kontinuierlich über weitere Staatsreformen debattieren kann, hat man dem Senat ein „Evokationsrecht“ (das Recht, Debatteninhalte an sich zu ziehen) gegeben. Dadurch kann der Senat auch allgemeine Gesellschaftsfragen diskutieren, allerdings ohne Gesetze mitbestimmen zu können.
Und immer wieder: das Sprachenproblem
Das Besondere an der belgischen politischen Realität ist die Tatsache, dass in vielen Fragen Entscheidungen von Sprachkompromissen abhängig sind. Daher sind eine Reihe von Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, um zu vermeiden, dass die kleinere französischsprachige Parlamentariergruppe vollständig an die Wand gespielt wird. So können Gesetze, die institutionelle oder Gemeinschaftsfragen berühren, nur mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen werden, etwa mit einer 2/3 Mehrheit im Parlament und der einfachen Mehrheit in jeder Sprachengruppe.
Bei Fragen, die auch die Gliedstaaten irgendwie betreffen könnten, müssen sowohl das föderale Parlament wie auch die Parlamente der Gliedstaaten zustimmen. So werden regelmäßig dem Parlament der DG (welches nur ein hauptberufliches Mitglied kennt, nämlich den Präsidenten) vom Föderalstaat ausgehandelte internationale Verträge zur Annahme vorgelegt.
Der belgische Senat, eine Institution ohne Macht
Belgien hat also eine 2. Kammer, die die Gliedstaaten durch ihre Zusammensetzung vertreten soll, aber gleichzeitig nicht die Macht besitzt, als Vertretung der regionalen Parlamente zu agieren.
Für die Flamen war es undenkbar einen Senat zu akzeptieren, in dem die Gliedstaaten unabhängig von ihrer Bevölkerungszahl etwa gleich viele Senatoren zugeteilt bekämen. Man wäre bei der französischsprachigen Wallonie und bei dem von Französischsprachigen beherrschten Brüssel systematisch in der Minderheit, obwohl die Flamen mehr als 60 Prozent der belgischen Bevölkerung ausmachen. Und auch die Deutschsprachige Gemeinschaft wäre aus flämischer Sicht nicht als Zünglein an der Waage zu gebrauchen. Die DG hat bei der bisher einzigen Krisensituation (es ging um die Aufteilung des Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvorde) bewiesen, dass sie den Frankophonen näher steht als den Flamen.
Umgekehrt war es für die Frankophonen undenkbar, einem nach einem Proportionalsystem zusammengestellten Senat, in dem die Flamen eine deutliche Mehrheit haben, Befugnisse zur Vertretung der Gliedstaaten einzuräumen.
Also bleibt es in Belgien so, dass wichtige institutionelle und Gemeinschaftsfragen nur mit einer besonderen Mehrheit beschlossen werden können und dass zum Beispiel große Handelsverträge durch alle Parlamente der Gliedstaaten mitbeschlossen werden. Der belgische Senat hat hier nichts mehr zu entscheiden.
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