1939 veranstalteten die nationalsozialistischen Behörden in Luzern eine Auktion, bei der Kunstwerke aus deutschen Museen versteigert wurden, die von ihnen als „entartet“ empfunden wurden. Zahlreiche dieser Werke werden ab 17. Oktober im Lütticher Kunstzentrum La Cité Miroir in Lüttich zu sehen sein, darunter Gemälde von Gauguin, Chagall, Matisse, Kokoschka oder Picasso.
Die Luzerner Auktion fügte sich in einen umfassenderen Prozess ein, der die Haltung des NS-Regimes gegenüber moderner Kunst betrifft. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wollten sich die NS-Behörden der modernen, „entarteten“ Kunst entledigen. Betroffen waren die Museen von zweiunddreißig deutschen Städten. „In den staatlichen Museen wurden etwa 7.000 Kunstwerke konfisziert“, erklärt Jean-Patrick Duchesne, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Lüttich und wissenschaftlicher Kurator der Ausstellung. „Umgekehrt hat das Regime Privatverkäufe nie verboten. Das Konzept der entarteten Kunst ist sehr unklar und voller Widersprüche. Es herrschte daher keine einheitliche Meinung beim Regime.“ Manche der beschlagnahmten Werke wurden zerstört, zum Glück waren das verhältnismäßig wenige.
„Testlauf“ für die Nazis
Fachleute wählten 1939 sorgfältig jene Stücke aus, die zu einem guten Preis abgestoßen werden konnten. Sie wurden am 29. Juni 1939 – sozusagen als Testlauf – in der Galerie Theodor Fischer in Luzern angeboten. Bei dieser Auktion, die in die Geschichte einging, gelangten 125 Werke zum Verkauf. Im Katalog sind 108 Gemälde und 17 Skulpturen von 39 Künstlern verzeichnet: Vorläufer des Expressionismus (wie Ensor, Gauguin und Van Gogh), deutsche Impressionisten (etwa Corinth, Liebermann und Mataré), französische und ausländische Mitglieder der Ecole de Paris (Braque, Chagall, Derain, Marie Laurencin, Matisse, Modigliani, Picasso, Vlaminck u. a.) und vor allem deutschsprachige Expressionisten (die Deutschen Dix, Grosz, Hofer, Macke, Marc, Nolde, der Österreicher Kokoschka und die Schweizer Amiet und Klee).
Lüttich wirft sich in die Bresche
Über die Vorbereitungen der Luzerner Auktion wurde nicht in den Medien berichtet, sie fanden im Gegenteil unter größter Diskretion statt. Dennoch erfuhr Jules Bosmant davon, ein Lehrer und einflussreicher Kunstkritiker in Lüttich (und zukünftiger Direktor des dortigen Musée des Beaux-Arts de Liège). Bosmant witterte ein gutes Geschäft für die Stadt und trieb innerhalb eines Monats in einem wahren Kraftakt 5 Millionen belgische Francs auf (was 3.300.000 Euro entspricht) – eine enorme Summe zu jener Zeit. Das Geld stammte von der Stadt Lüttich, dem belgischen Staat und von Mäzenen. Der in aller Eile nach Luzern entsandte Delegation gelang es, neun außergewöhnliche Gemälde zu erwerben (zehn hatte man erhofft), die heute zu den Hauptwerken der städtischen Sammlungen zählen und permanent im Musée des Beaux-Arts ausgestellt sind.
Sechs weitere Gemälde für Belgien
In Luzern war noch eine zweite – staatliche – belgische Delegation anwesend, die aus der Commission d’Achat des Beaux-Arts (Kunstankaufskommission) hervorgegangen war. Sie verfügte über ein bescheideneres Kapital (100.000 belgische Francs) und erwarb sechs Gemälde von Lovis Corinth, Georges Grosz, Karl Hofer, Oskar Kokoschka, Emil Nolde und Jules Pascin für die Königlichen Museen der Schönen Künste in Antwerpen bzw. Brüssel. Bei den anderen Käufern der Luzerner Auktion handelte es sich um Händler, Sammler, Experten und Museumsbeauftragte aus den USA und der Schweiz, aber auch Engländer, Franzosen, Holländer und Schweden.
Heute sind die in Luzern versteigerten Werke über die ganze Welt verstreut und befinden sich in renommierten öffentlichen und privaten Sammlungen. Erstmals in Europa werden rund dreißig dieser Werke an einem Ort versammelt und exklusiv in La Cité Miroir in Lüttich gezeigt.
Marion Schmitz-Reiners
„Hitlers entartete Kunst – Die Luzerner Aktion“, La Cité Miroir, Place Xavier Neujean 22, B-4000 Lüttich.
17. Oktober 2014 bis 29. März 2015, geöffnet Mo. bis Fr. von 9 bis 18 Uhr, Sa. und So. von 10 bis 18 Uhr.
Eintritt ab 12 Euro.
Führungen auf FR/DE/NL/EN.
Den Besucherguide gibt es auch auf Deutsch.
Info: www.citemiroir.be
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